Erbschaftssteuer: Angst vor der Firmenübernahme
Am Mittwoch entscheidet das Bundesverfassungsgericht, ob Unternehmer künftig mehr Steuern zahlen müssen, wenn sie ihren Betrieb vererben. Wenn es so kommt, könnte das für viele Firmen das Aus bedeuten, fürchtet die Wirtschaft.
Lutz Goebel hat Nägel mit Köpfen gemacht. Aus Angst vor dem Bundesverfassungsgericht hat der Chef des Krefelder Maschinenbauers Henkelhausen frühzeitig die Weichen für eine steuersparende Übergabe seiner Firma gestellt. „Meine Frau und ich haben bereits jeweils 20 Prozent der Firmenanteile an unsere Töchter übertragen“, erzählte Goebel kürzlich im Tagesspiegel-Interview. „Jeder, der volljährige Kinder hat, macht das.“ Goebel hat den Überblick. Als Präsident des Verbandes der Familienunternehmen repräsentiert er rund 5000 Firmen mit zwei Millionen Arbeitnehmern.
Am Mittwoch entscheidet das Verfassungsgericht über die neue Erbschaftssteuer
Andere Unternehmer sind nicht so weit. Glaubt man der deutschen Wirtschaft, so steht sie vor einer Schicksalswoche. Am Mittwoch entscheidet das Verfassungsgericht, ob Unternehmer künftig mehr Steuern zahlen müssen, wenn sie ihren Betrieb vererben oder verschenken. Beobachter rechnen damit, dass der Erste Senat unter Vorsitz des Vizepräsidenten Ferdinand Kirchhof die seit 2009 geltende Besserstellung von Unternehmern als verfassungswidrig beanstanden wird. Das ergibt sich aus den kritischen Fragen, die die Richter während der mündlichen Verhandlung im Juli gestellt haben. „In Fachkreisen ist schon sehr lange klar, dass die derzeitige Fassung des Erbschaftsteuerrechts für Betriebsvermögen verfassungsrechtlichen Bedenken begegnen kann“, sagt der Berliner Unternehmeranwalt Ulrich Schellenberg. Offen ist eigentlich nur, wie radikal die Korrekturen sein werden, die die acht Verfassungsrichter verlangen dürften.
Bisher genießen Betriebserben Privilegien
Bisher genießen Betriebserben enorme Privilegien. Wer als Erbe den Betrieb fünf Jahre lang weiterführt, muss nur 15 Prozent des Wertes versteuern. Wer das Unternehmen sieben Jahre lang hält, wird gar nicht zur Erbschaftsteuer herangezogen. Begründet wird das mit der Erhaltung von Arbeitsplätzen. Die liege im Interesse aller und rechtfertige die Verschonung von der Steuer. So weit die Theorie. Praktisch jedoch ist das Weiterbestehen von Arbeitsplätzen in 95 Prozent der Fälle gar keine Voraussetzung für die Schonung. Denn nur Betriebe mit mehr als 20 Beschäftigten müssen über die Lohnsumme belegen, dass die Arbeitsplätze weitgehend erhalten wurden. In Deutschland sind das aber rund fünf Prozent der Betriebe. 95 Prozent haben weniger als 20 Beschäftigte. Eine Kontrolle des Arbeitsplatzerhalts findet dort nicht statt.
Der Bundesfinanzhof hält die Vorteile für überzogen
Die Privilegien für Betriebsvermögen schießen nach Meinung des Bundesfinanzhofs weit über das Ziel hinaus. Die Münchner Richter haben Karlsruhe deshalb das Erbschaftsteuerrecht zur Überprüfung vorgelegt. Ob das Verfassungsgericht nur eine strikte Kontrolle verlangt oder die Privilegien für Betriebserben radikal kappt, entscheidet sich am Mittwoch. Für die Unternehmen geht es um einiges. 10,8 Milliarden Euro entgingen den Ländern – sie erhalten die Erbschaftsteuer – 2012 durch die Verschonung von Betriebsvermögen. Kein Wunder, dass die Wirtschaft Horrorszenarien an die Wand malt. Über 40 Prozent der Familienunternehmer müssten ohne die Verschonung des Betriebsvermögens Teile oder das gesamte Unternehmen verkaufen, stellte das Münchner Ifo-Institut in einer Studie für die Stiftung Familienunternehmen fest. In der vergangenen Woche legte der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) nach – mit noch schärferen Tönen: Fast zwei Drittel aller familiengeführten Industrieunternehmen sähen den Bestand ihres Unternehmens gefährdet, wenn die Privilegien wegfallen, teilte der Verband die Ergebnisse einer aktuellen Mittelstandsumfrage mit. Fast die Hälfte der Firmen gehe davon aus, Stellen abbauen zu müssen.
Das Steuerrecht sollte der Generationenfolge nicht entgegenstehen, fordert die Politik
In der Politik fallen derartige Drohungen auf fruchtbaren Boden. „Zu einer guten Wirtschafts- und Finanzpolitik gehört aus unserer Sicht, dass das Steuerrecht die Generationenfolge in den Betrieben nicht behindert“, sagte Unionsfraktionsvize Ralph Brinkhaus dem Tagesspiegel. „Wir wollen die einzigartige Unternehmensstruktur in Deutschland mit den vielen mittelständischen, familiengeführten Betrieben erhalten. Vor allem sollen auch die Arbeitsplätze, die diese Betriebe sichern, nicht aufs Spiel gesetzt werden“, argumentiert der Finanzpolitiker. Sollte das Verfassungsgericht der Politik Hausaufgaben mit auf den Weg geben, will Brinkhaus diese zügig abarbeiten. „Für die Unternehmen und Betriebe ist rasche Rechts- und Planungssicherheit wichtig.“
Unternehmer sehen eine Verschärfung des Erbschaftsrechts kritisch
Auch in Berlin hört man solche Ankündigungen gern. „Der Erbfall bedeutet ja auch, dass ein enges Familienmitglied aus der Familien- und Betriebsmitte herausgerissen wurde und somit hier auch eine sehr starke emotionale Belastung für die Hinterbliebenen besteht“, gibt Olaf Höhn zu bedenken. Vor 30 Jahren hat er Florida-Eis gegründet und das Unternehmen groß gemacht. Der Familienunternehmer weiß, wie schwierig es werden kann, wenn unglückliche wirtschaftliche Konstellationen hinzukommen oder eine klare Nachfolgeregelung fehlt. „Ein solches Unternehmen wird in kürzester Zeit mit dem ausgestellten Erbschaftsteuerbescheid mit dem Rücken an der Wand stehen“, warnt Höhn. Den Firmen bleibe dann nur noch der Weg zur Bank, um sich Geld zu borgen. „Doch gerade die Unabhängigkeit von Banken, die viele Familienunternehmer auszeichnet, hat dafür gesorgt, dass Deutschland die Krise gut überstanden hat“, gibt Höhn zu bedenken.
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