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Der Neue. Herbert Diess ist ab sofort neuer Vorstandsvorsitzender des Volkswagen-Konzerns. Sein Vertrag läuft fünf Jahre.
© Odd Andersen/AFP

Volkswagen und Herbert Diess: Als wäre nichts gewesen

Herbert Diess tritt als VW-Chef an und verspricht mehr Tempo und einen Wandel der Unternehmenskultur. Doch seine Machtfülle erinnert an frühere Zeiten. Ein Kommentar.

Wenn man mit VW-Mitarbeitern in der Wolfsburger Zentrale Fahrstuhl fährt, kommt das Gespräch unweigerlich auf Martin Winterkorn. Noch in Amt und Würden, so erzählen sie, habe sich der Potentat ohne Zwischenhalt mit dem Aufzug auf die Chefetage fahren lassen. Begegnungen mit dem Volk seien unerwünscht gewesen. Winterkorn regierte von oben herab, protegiert von Aufsichtsratschef Ferdinand Piëch und dessen Familienclan, gestützt vom Großaktionär Niedersachsen. Und natürlich von der IG Metall und Betriebsratschef Bernd Osterloh.

Heute ist Winterkorn aus bekannten Gründen hoch dotierter Betriebsrentner, und der VW-Fahrstuhl hält auf jeder Etage. Mitarbeiter berichten, das Betriebsklima und die Umgangsformen hätten sich in der kurzen Amtszeit von Winterkorns Nachfolger Matthias Müller gebessert. Zumindest ein kleiner Kulturwandel sei gelungen.

Mit Kollateralschaden an die Spitze

Doch die Zeit für einen großen wollten die VW-Mächtigen – Aufsichtsratschef Hans Dieter Pötsch, die Familie und Niedersachsen – Müller nicht geben. Er ist nun kein VW-Chef mehr, sondern hoch dotierter Berater seines Nachfolgers.

Nun also Herbert Diess. Mit überraschendem Tempo und erheblichen Kollateralschäden wird der 59-Jährige an die Spitze gehoben. Dass er gleich eine neue Unternehmensstruktur mitbringt, zeigt, von welch langer Hand der Wechsel vorbereitet wurde. Damit hat sich der ehrgeizige Neue nicht nur Freunde im Top-Management gemacht. Dabei ist er auf dessen Mitarbeit angewiesen. Denn Diess ist mit einer Aufgaben- und Machtfülle ausgestattet, die an alte Winterkorn-Zeiten erinnert: Konzernchef, VW-Marken-Chef, Forschungs- und Entwicklungschef, Fahrzeug-IT-Chef. Nebenbei will er sich auch noch um die Weiterentwicklung der Top-Führungskräfte kümmern. Alle Achtung!

Schieflagen im Machtgefüge vermieden

Mit Fleiß und Entscheidungsfreude, die man ihm nachsagt, wird Diess dieses Programm allein nicht bewältigen können. Deshalb haben der Aufsichtsrat und der frühere BMW-Mann selbst dafür gesorgt, dass im Wolfsburger Machtgefüge keine Schieflagen entstehen. Mit Gunnar Kilian zieht ein Osterloh-Vertrauter in den Vorstand ein, der Diess die Instrumente zeigen wird, wenn der es mit der Effizienz übertreibt. Audi-Chef Rupert Stadler wiederum, der die Familie Porsche/Piëch hinter sich weiß, erhält mehr Einfluss.

So fügt sich alles bei Volkswagen, als wäre nichts gewesen. Doch zweieinhalb Jahre nach Ausbruch der Dieselkrise hat das Unternehmen – anders als Pötsch behauptet – die Vergangenheit noch nicht bewältigt. Sollen nicht nur die Geschäfte laufen, sondern VW auch zu einem nachhaltig integren Autobauer werden, muss Herbert Diess mehr liefern als Tempo und Tatendrang.

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