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Während der Chef will, dass Mitarbeiter länger bleiben, müssen die mitunter früher nach Hause, um Kinder zu betreuen. Foto: istock
© Getty Images/iStockphoto

Diskussion um Arbeitszeiten: Alle wollen Flexibilität - nur anders

Viel zu starr, komplett veraltet: Die Debatte um den Achtstundentag ist zurück – und wird nun auch zum Thema der laufenden Jamaika-Gespräche.

Eigentlich wollen alle das Gleiche – weniger starre Arbeitszeiten und damit mehr Freiheiten, den Tag zu gestalten. Aber was ein Unternehmer darunter versteht, ist etwas ganz anderes als das, was sein Mitarbeiter meint. Dieser Konflikt beschäftigt Gewerkschaften und Arbeitgebervertreter seit Jahren, und nun auch die große Politik bei den laufenden Jamaika-Sondierungen.

Die Debatte wurde neu angestoßen, als sich die Wirtschaftsweisen für eine Lockerung des Arbeitszeitgesetzes aussprachen. „Flexiblere Arbeitszeiten sind wichtig für die Wettbewerbsfähigkeit deutscher Unternehmen“, sagte der Vorsitzende Christoph Schmidt der „Welt am Sonntag“. „Firmen, die in unserer neuen digitalisierten Welt bestehen wollen, müssen agil sein und schnell ihre Teams zusammenrufen können.“ Die Vorstellung vom klassischen Achtstundentag sei veraltet – und Unternehmen bräuchten die Sicherheit, „dass sie nicht gesetzwidrig handeln, wenn ein Angestellter abends noch an einer Telefonkonferenz teilnimmt und dann morgens beim Frühstück seine Mails liest“.

Es dauerte nicht lange, bis der Deutsche Gewerkschaftsbund dem widersprach: „Arbeitsgesetz und Tarifverträge bieten schon lange eine Fülle an flexiblen Möglichkeiten“, sagte DGB-Chef Reiner Hoffmann. Länger im Büro bleiben, samstags zu Hause am Schreibtisch sitzen, weil die knappe Abgabefrist ansonsten nicht eingehalten werden kann – das, wozu die Wirtschaftsweisen aufrufen, ist für viele Menschen schon längst Realität.

In den vergangenen zehn Jahren ist die Zahl derer, die außerhalb der üblichen Zeiten arbeiten, stetig gestiegen. Allein im vergangenen Jahr wurden 1,8 Milliarden Überstunden geleistet – die Hälfte davon unbezahlt. Statt Flexibilität zugunsten der eigenen Interessen zu verlangen, sei es aus Gewerkschaftssicht vielmehr notwendig, dass Arbeitszeiten präziser erfasst und bezahlt werden.

Thema wird zum politischen Streitpunkt

Andreas Hoff hat vor mehr als 30 Jahren die erste deutsche Arbeitszeitberatung mitgegründet und die Debatte um mehr Flexibilisierung seitdem verfolgt. Er ist sich sicher, „da passiert jetzt definitiv etwas.“ Den aktuellen Vorschlag findet er allerdings überflüssig, weil es „schon Öffnungsmöglichkeiten ohne Ende“ gebe. Hoff findet vielmehr, dass man den Vollzeitbegriff komplett ersetzen müsse – hin zu Konzepten wie dem lebensphasenorientierten Arbeiten oder der Wahlarbeitszeit, wie das beispielsweise die Grünen wollen.

Gleichzeitig sind die Grünen – anders als FDP und Union – klar gegen eine Aufweichung täglicher Höchstarbeitszeiten und Ruhezeiten, was bei den derzeitigen Sondierungsgesprächen zum Streitpunkt wird. Nachdem Parteichefin Simone Peter vor zwei Wochen erklärt hatte, das Arbeitszeitgesetz sei „nicht Teil der Verhandlungsmasse“, schloss sich FDP-Präsidiumsmitglied Michael Theurer jetzt öffentlich der Position der Wirtschaftsweisen an.

Nach dem Willen der Liberalen sollten die hiesigen Regelungen an die EU-Arbeitszeitrichtlinie angepasst werden. Diese sieht statt der in Deutschland geltenden täglichen Höchstarbeitszeit von acht Stunden nur eine wöchentliche Maximaldauer von 48 Stunden vor. „Das sorgt für mehr Freiheit und damit Chancen“, sagte Theurer. Die Sorgen der Gewerkschaft teile er nicht.

Die Linke hat die Jamaika-Parteien umgehend davor gewarnt, der FDP-Forderung nachzugeben. Die Liberalen wollten etwas legalisieren, „was zum Schaden der Beschäftigten bereits Praxis ist: überlange, gesundheitsschädliche Arbeitszeiten und unbezahlte Überstunden“, sagte die Linken-Abgeordnete Jutta Krellmann. Hoff meint ebenfalls, dass man mit der Lockerung der gesetzlichen Ruhezeiten vorsichtig sein müsse. „Man weiß doch zum Beispiel, dass Schlafstörungen zunehmen, wenn man um 23 Uhr noch E-Mails schreibt“, sagt er.

Freiräume der Beschäftigten werden blockiert

Interessant ist auch, wann die Unternehmen Flexibilität gar nicht mehr so toll finden: Bei dem Wunsch der Beschäftigten nach mehr Freiräumen – ob es nun um ein Sabbatical geht oder um die Möglichkeit, seine Stundenanzahl für eine Weile zu reduzieren und später wieder seine volle Stelle zurückzubekommen. Dann heißt es nicht selten: Nein, nein, das würde die Personalplanung massiv erschweren.

In der letzten Wahlperiode hatte die damalige sozialdemokratische Arbeitsministerin Andrea Nahles einen Gesetzentwurf vorgelegt, der ein solches Rückkehrrecht in Vollzeit vorsah. Doch obwohl das Vorhaben im Koalitionsvertrag stand, scheiterte die SPD-Politikerin am Widerstand des Kanzleramts. Der Druck aus der Wirtschaft gegen ein entsprechendes Vorhaben war zu groß.

Hoff, der Betriebe bei der Einführung neuer Arbeitszeitmodelle berät, meint: „Ein moderner Betrieb hat heute Arbeitszeitkonten und flexible Strukturen, die es erlauben, Lücken zu füllen und Vertretungen zu regeln. Das ist auch nicht so kompliziert, wie es Arbeitgeber gerne darstellen.“ Oft stimme aber die Personalbemessung nicht. Wenn also jemand seine Stundenzahl reduzieren wolle, würde das nicht aufgefangen werden, sondern bedeute eine Arbeitsverdichtung für die anderen Mitarbeiter. Der häufigste Grund, weswegen Beschäftigte hierzulande Überstunden machen. Zu Zeiten, in denen sie es eigentlich gar nicht dürfen.

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