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Gesundes Essen wird immer teurer. Können sich Menschen mit wenig Einkommen das bald nicht mehr leisten?
© Getty Images/iStockphoto/Elizaveta Elesina

Entlastung der Bürger für teure Lebensmittel: Alle sollen sich gesundes Essen leisten können

Lebensmittel werden immer teurer, das trifft vor allem arme Haushalte. Experten raten zu direkten Hilfen. Mehrwertsteuer auf null zu senken, sei keine Lösung.

Wenn es um Lebensmittelpreise geht, ist jeder Experte. Denn dass im Laden fast alles teurer wird, merkt man bei jedem Einkauf im Supermarkt. Nachdem Aldi die Preise für Hunderte Produkte heraufgesetzt hatte, haben praktisch alle Konkurrenten nachgezogen. Auch in der Statistik schlagen sich die Erhöhungen bereits nieder: Im März meldete das Statistische Bundesamt eine Inflation von 7,3 Prozent, Nahrungsmittel verteuerten sich im Vergleich zum Vorjahresmonat um 6,2 Prozent.

Bei einigen Waren waren die Ausschläge aber noch deutlich höher: So kostete Sonnenblumenöl 30 Prozent mehr, wenn man es denn überhaupt ergattern konnte, Mehl war 17 Prozent teurer, frisches Gemüse knapp 15 Prozent, und der Kaffeepreis legte um fast neun Prozent zu.

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Dafür gibt es viele Gründe: Der Krieg in der Ukraine führt zu Lieferengpässen bei Weizen und Ölen und treibt zudem die Kosten für Energie und Dünger in die Höhe. Logistikprobleme verschärfen die Krise. Schon 2021 hatten sich die Preise für Container verglichen mit der Zeit vor Corona mehr als vervierfacht, der Lockdown im Hafen von Shanghai verstärkt den Engpass jetzt noch.

Lebensmittel werden noch teurer

Klar ist: Essen wird noch teurer. Denn noch profitieren die Kunden von länger laufenden Lieferkontrakten der Lebensmittelhändler mit den Erzeugern. Doch der rasante Anstieg der Erzeugerpreise zeigt, wohin die Reise geht. Praktisch alle Hersteller verhandeln derzeit mit den Handelsketten außerplanmäßig über eine zügige Erhöhung der Preise.

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„Wir rechnen damit, dass sich Lebensmittel in diesem Jahr um rund acht Prozent im Vergleich zum Vorjahr verteuern“, sagte Inflationsexperte Sascha Möhrle vom Ifo-Institut dem Tagesspiegel. Vergleichen mit dem Vorcorona-März 2019 mussten deutsche Haushalte im März 2022 im Schnitt bereits elf Prozent mehr für Lebensmittel ausgeben, hat der Wissenschaftler ausgerechnet.

Vor allem Arme leiden unter den Verteuerungen

Die Preissteigerungen treffen vor allem arme Haushalte. „Sie geben überproportional viel Geld von ihrem Einkommen für Wohnen und Essen aus“, weiß Alexander Kriwoluzky, der beim Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) die Abteilung Makroökonomie leitet. Wohlhabendere Haushalte hätten größere Puffer und würden, wenn sie mehr Geld für Essen ausgeben müssen, einfach weniger auf die hohe Kante legen. „Wer wenig verdient, mit einer kleinen Rente oder Grundsicherung zurecht kommen muss, verzweifelt an den immer weiter steigenden Preisen“, kritisiert die Präsidentin des Sozialverbands VdK, Verena Bentele. „Es darf nicht sein, dass gesundes Essen immer mehr zum Luxusgut wird“, sagte Bentele dem Tagesspiegel. „Schon heute können sich Familien, die Arbeitslosengeld II beziehen, meist nicht gesund und ausgewogen ernähren“, warnt auch Anne Markwardt, Leiterin des Teams Lebensmittel, beim Bundesverband der Verbraucherzentralen (VZBV).

[Lesen Sie dazu auch: Wenn der Einkauf zum Luxus wird, T+]

Schon seit Monaten fordern Sozialverbände, Gewerkschaften und Verbraucherschützer eine Entlastung für Haushalte mit kleinem Geldbeutel. Das bisherige Entlastungspaket mit einer Energiepauschale und einem Familienzuschlag für alle plus einer Einmalzahlung für Empfänger von Sozialleistungen reicht nicht, meinen sie. Sie fordern eine zügige Erhöhung der Regelsätze für Hartz IV und Grundsicherung. Und sie wollen einen radikalen Schritt bei der Mehrwertsteuer. Für Grundnahrungsmittel soll sie auf null gesenkt werden.

Weniger Lebensmittel fürs Geld: Dass die Preise steigen, hat viele Gründe.
Weniger Lebensmittel fürs Geld: Dass die Preise steigen, hat viele Gründe.
© dpa/Fabian Sommer

Verbände fordern: Weg mit der Mehrwertsteuer

Eine Abschaffung der Mehrwertsteuer auf Obst, Gemüse und Hülsenfrüchte würde nicht nur den Geldbeutel entlasten, sondern es den Verbrauchern zugleich ermöglichen, sich gesund zu ernähren, wirbt Markwardt für den Vorstoß. Hinzu kommt: Auch mit EU-Recht wäre das jetzt vereinbar, weil eine neue, vor kurzem in Kraft getretene Richtlinie solche Steuerbefreiungen für Lebensmittel erlaubt. „Die Bundesregierung sollte dem folgen und dies nun zügig umsetzen“, sagte Markwardt dem Tagesspiegel.

Bisher gilt hierzulande für Grundnahrungsmittel wie Eier, Fleisch, Obst und Gemüse ein Mehrwertsteuersatz von sieben Prozent, für verarbeitete Lebensmittel fallen 19 Prozent an. Das System birgt allerdings einige Kuriositäten. So wird auf Kuhmilch sieben Prozent, auf Hafermilch aber 19 Prozent Steuer fällig.

Die Idee mit dem temporären Aussetzen der Mehrwertsteuer findet nicht nur Linken-Fraktionschef Dietmar Bartsch, sondern auch Agrarminister Cem Özdemir gut. Die Verbraucher beim Einkauf von Obst und Gemüse zu entlasten und damit auch noch eine gesunde Ernährung zu fördern, wäre ein „Vorschlag mit doppelter Dividende, wie ich sie bevorzuge“, betont der Grünen-Politiker. Bisher hatte sich Özdemir in der Frage, wie man Bürgern beim Einkauf im Supermarkt helfen kann, eher bedeckt gehalten.

Agrarminister Cem Özdemir findet die Senkung der Mehrwertsteuer gut.
Agrarminister Cem Özdemir findet die Senkung der Mehrwertsteuer gut.
© dpa/Moritz Frankenberg

Wissenschaftler haben Zweifel

Der Weg über die Steuer sieht einfach aus, aber Wissenschaftler haben Zweifel, ob damit gerade die Menschen entlastet werden, die Hilfe besonders nötig hätten. „Von einer Senkung der Mehrwertsteuer auf Lebensmittel halte ich nichts“, kritisiert DIW-Experte Alexander Kriwoluzky. „Diese würden vor allem besser situierte Haushalte entlasten, die in Euro und Cent gerechnet mehr Geld für Lebensmittel ausgeben als einkommensschwache Bürger“.

Und auch beim Ifo-Institut ist man nicht begeistert. „Wir raten von allgemeinen Steuersenkungen ab, da diese für den Staat teuer sind und es fraglich ist, ob diese wirklich beim Konsumenten ankommen“, gibt Möhrle zu bedenken. Er plädiert stattdessen für gezielte Maßnahmen zugunsten einkommensschwacher Haushalte, etwa der Erhöhung des Hartz-IV Regelsatzes.

100 Euro für jeden Transferempfänger

Doch es gibt noch andere Möglichkeiten. „Sinnvoll wäre eine einmalige Lebensmittelpauschale von 100 Euro für Transferempfänger“, schlägt Kriwoluzky vor. Auch DGB-Vorstandsmitglied Stefan Körzell fordert als Sofortmaßnahme einen finanziellen Zuschlag für Bezieher von Sozialtransfers, um die stark steigenden Preise für Energie und Lebensmittel abzufedern.

Nötig sei aber auch ein wirkliches Mobilitätsgeld, das die Pendlerpauschale ersetzt und unabhängig vom Einkommen und dem genutzten Verkehrsmittel gewährt wird. Zudem sollte eine Senkung der Mehrwertsteuer nicht nur für Lebensmittel, sondern auch für Strom und Gas auf den Weg gebracht werden, fordert der Gewerkschafter.

Es gibt auch andere Vorschläge: So könnte man die Regelsätze für Hartz IV und in der Grundsicherung erhöhen.
Es gibt auch andere Vorschläge: So könnte man die Regelsätze für Hartz IV und in der Grundsicherung erhöhen.
© imago images/imagebroker

FDP: Das ist der falsche Weg

Die FDP lehnt das ab. „Der Versuch, mit weiteren Subventionen gegen die kriegsbedingten Preissteigerungen bei den Lebensmitteln vorzugehen, wäre ein Kampf von David gegen Goliath“, meint der landwirtschaftspolitische Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion, Gero Hocker.

Ansetzen müsse man an einer anderen Stelle: „Wir dürfen keine Flächen aus der Lebensmittelproduktion nehmen“, sagte der Liberale dem Tagesspiegel. Statt ökologische Vorrangflächen nur für Tierfutter freizugeben, wie Özdemir es will, sollte man die Flächen total freigeben. „Je mehr Flächen unsere Landwirte bewirtschaften können, desto besser ist das mit Blick auf bezahlbare Preise“.

SPD: Gesund heißt nicht teuer

Auch der Koalitionspartner SPD hält sich mit neuen Hilfszusagen zurück. "Durch die Energiepreispauschale, die Rentenerhöhung sowie die finanzielle Unterstützung von Familien und Sozialleistungsempfängern hat die Bundesregierung wichtige und effiziente Maßnahmen beschlossen, die alle Bürgerinnen und Bürger, aber vor allem die, die es am nötigsten brauchen, entlasten", sagte die ernährungspolitische Sprecherin der Fraktion, Rita Hagl-Kehl, dem Tagesspiegel.

„Sich gesund zu ernähren, bedeutet nicht gleich, einen höheren Preis zu zahlen“, meint die Ex-Justizstaatssekretärin. Wie sich die Menschen ernähren, hänge nicht nur vom Preis, sondern auch von der Wertschätzung der Lebensmittel und des Essens im Allgemeinen ab. „Wenn wir nicht zu viel, sondern effizient und durchdacht einkaufen und unsere Lebensmittel nicht wegwerfen oder verschwenden, werden wir uns auch eine gesunde Ernährung leisten können."

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