Barrierefreiheit am Arbeitsplatz: Alle inklusive
Damit auch Beschäftigte mit Behinderung uneingeschränkt arbeiten können, setzen Unternehmen auf barrierefreie Kommunikation.
Alltag in deutschen Büros: Wie selbstverständlich schreiben wir E-Mails, greifen zum Telefonhörer und lesen die Post. Doch nicht für jeden sind diese Handgriffe ohne Hilfe machbar. Menschen, die eine Sehbehinderung haben oder gehörlos sind, benötigen spezielle Arbeitsplätze, die ihnen ihren Arbeitsalltag ermöglichen.
„Es gibt heute viele technische Möglichkeiten“, erklärt Manfred Bührmann von der Commerzbank. Er ist Teil des Diversity-Teams in Frankfurt. „Screenreader, die Mails vorlesen, vorlesbare PDFs, Braille-Tastaturen und -Drucker oder Telefoniesysteme, die sich per Bluetooth mit dem Hörgerät vernetzen, sind bei uns einige der Produkte, die eingesetzt werden“. In der Commerzbank haben derzeit 1740 Beschäftigte einen Grad der Behinderung. Natürlich brauchen nicht alle spezielle Softwareangebote oder Hörhilfen, aber die barrierefreie Kommunikation ist für die Commerzbank ein wichtiges Anliegen. „Von diesem neuen technischen Know-how profitieren auch unsere Kunden“, betont Sofia Strabis, Inklusionsbeauftragte der Bank.
Die Nutzerfreundlichkeit erhöht sich dadurch auch an den Bankterminals oder beim Onlinebanking. „Zehn Millionen Menschen in Deutschland haben eine Behinderung, dazu kommen viele Menschen – gerade auch Senioren – mit Einschränkungen beim Hören und Sehen. Es handelt sich um eine große Nutzergruppe, die von der Einfachheit der Bedienung profitiert. Und wir dürfen nicht vergessen: Wir alle können in diese Lage kommen“, sagt Bührmann.
„Wir müssen unsere Sprache ändern“
Die meisten Behinderungen sind nicht angeboren: Mehr als 90 Prozent werden im Laufe des Lebens erworben – und das betrifft auch den Alltag in unserer Arbeitswelt. Ein Mitarbeiter, der ein Hörgerät benötigt, fällt genauso darunter, wie jemand, der zum Beispiel durch grauen Star nicht mehr die volle Sehkraft hat. „Bei Betriebsversammlungen reicht es nicht, das Gesagte in Gebärdensprache zu übersetzen. Viele Hörbeeinträchtigte beherrschen diese spezielle Sprache nicht, weil sie erst zu einem späten Zeitpunkt im Leben schwerhörig wurden“, erklärt Denise Hottmann, Verantwortliche von „Diversity + Inclusion“ bei Boehringer Ingelheim. „Wir arbeiten daher beispielsweise mit der Vertextung von Reden. Diese Texte werden dann parallel auf Deutsch und Englisch an die Wand gebeamt und ermöglichen so das Mitlesen. Davon profitieren auch Mitarbeitende, die kein Deutsch sprechen“, führt sie weiter aus.
Auf den Begriff „Mitarbeitende“ legt sie Wert, denn das Pharmaunternehmen in Ingelheim hat seit Jahren einen ganzheitlichen Ansatz rund ums Thema Barrierefreiheit und Kommunikation: Diskriminierung soll auf allen Ebenen verhindert werden, egal ob es um die Gleichstellung der Geschlechter geht oder um Kollegen mit Schwerbehinderung. „Wertschätzende Kommunikation“ steht betriebsintern im Fokus. „Wir müssen unsere Sprache ändern, denn mit dieser prägen wir auch unsere Welt.“ So vermeidet sie etwa die Formulierung, dass ein Rollstuhlfahrer an den Rollstuhl „gefesselt“ sei. „Es sind Menschen, die in ihrer Mobilität eingeschränkt sind, aber sehr wohl am Leben teilnehmen, arbeiten, Leistungsträger sind“, sagt Hottmann.
Barrierefrei – ein Wort, das mittlerweile bekannt ist. Es beschreibe aber nicht nur die Stufe an der Eingangstür, die man für Rollstuhlfahrer entfernen müsse. Oftmals seien es die Barrieren in den Köpfen, „die wir abbauen müssen“, sagt Judyta Smykowski. Sie sitzt im Rollstuhl und arbeitet als freie Journalistin sowie als Referentin und Redakteurin bei leidmedien.de, einem Portal, das sich für klischeefreie Sprache über behinderte Menschen in den Medien einsetzt.
Unsere Gesellschaft ist keine inklusive
Die Themen von Arbeitnehmern mit Behinderung müssen in den Fokus gerückt werden, ist sie sicher. „Unsere Gesellschaft ist vielfältig. Das Stichwort ‚Diversity’ ist ein guter Wegweiser, es muss nur wirklich im Alltag stattfinden können“, sagt die 29-Jährige. Immer noch gebe es Berührungsängste gegenüber behinderten Menschen. Es sei für Arbeitssuchende, die eine Behinderung haben, schwierig einen Job zu finden. Natürlich steht unter jeder Stellenausschreibung der oft gelesene Satz „Bei gleicher Eignung werden schwerbehinderte Menschen bevorzugt“. Doch dies ist dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz, kurz AGG, geschuldet. Es spiegele selten die tatsächliche Unternehmenspolitik wider, meint Smykowski. „Ein Unternehmen sollte ehrlich zeigen, dass es Interesse daran hat, schwerbehinderte Menschen ins Kollegium aufzunehmen.“
Unsere Gesellschaft ist keine inklusive, viele Arbeitnehmer mit einer Behinderung kommen nicht mit dem ersten Arbeitsmarkt in Berührung. Der vorgezeichnete Weg über Förderschulen und spezielle Behindertenwerkstätten ist alltäglich. Denise Hottmann kennt dieses Problem aus dem Recruiting-Alltag. „Immer wieder erleben wir, dass Bewerber ihren Grad der Behinderung nicht angeben mögen, weil sie Vorurteile fürchten“, erzählt sie. „Wir müssen uns hinterfragen, was wir als Gesellschaft mit dem Begriff der Behinderung verbinden. Er ist auf keinen Fall gleichzusetzen mit Bildern wie ,nicht leistungsfähig’ und ,krank’.“
Judyta Smykowski fragt: „Warum wollen wir unsere Arbeitswelt nicht so vielfältig gestalten, wie es die Realität nun einmal ist?“ Änderungen, gerade bei Konzernen, die Inklusionsbeauftragte beschäftigen oder die Stelle von Diversity Managern besetzen, begrüßt sie. „Diversity darf nicht nur ein Wort sein, wir müssen diese auch leben.“ Informationen zu barrierefreier Kommunikation erhalten die Konzerne bei Blinden- und Gehörlosenverbänden und den jeweiligen Behörden. Inklusion sei kein Problem, sondern eine Chance, sagt Sofia Strabis von der Commerzbank. „Behinderte Bewerber haben bei uns faire Chancen. Wir wollen uns die besten Talente sichern – ob mit oder ohne Behinderung.“
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