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Die große Leere. Passagiere brauchen starke Nerven. Fluggesellschaften melden Insolvenz an, hinzu kommen Streiks von Airline-Beschäftigten oder dem Sicherheitspersonal wie hier am Flughafen Tegel. Während Kunden bei Streiks oder Pleiten meist leer ausgehen, gibt es bei normalen Pannen Geld.
© imago/Stefan Zeitz

Flugchaos in Deutschland: Airlines müssten Kunden 780 Millionen Euro erstatten

Immer mehr Flüge werden gestrichen oder sind verspätet. Viele Kunden verzichten auf Entschädigungen.

Erst die Pleite von Germania, dann die Insolvenz des britischen Billiganbieters Flybmi – der Start ins neue Reisejahr ist ziemlich missglückt. Zehntausende Kunden, die Flüge gebucht und bezahlt haben, werden ihr Geld kaum zurückbekommen. Denn bis heute fehlt ein Insolvenzschutz für die Vorauszahlungen in Milliardenhöhe, die Fluggesellschaften jedes Jahr beim Ticketverkauf sofort kassieren.

Ein schwacher Trost für Kunden: Wenn der geplante Flug Teil einer Pauschalreise ist, muss der Reiseveranstalter laut Gesetz für Ersatz sorgen. Weit über 100 000 Urlauber sind bundesweit bereits auf andere Jets umgebucht worden, soweit verfügbar. Denn Germania flog für viele große deutsche Veranstalter, die nun ähnlich wie die Reisebüros einen Riesenaufwand haben. Kleinere Anbieter fürchten gar um ihre Existenz, weil Ersatzflüge oft viel teurer sind.

Ärger mit Veranstaltern

Manche kündigen ihren Kunden nun einfach die Reiseverträge, was Experten als klaren Rechtsbruch betrachten. Andere Reisende werden mit veränderten Flugzeiten oder Abflug- sowie Ankunftshäfen konfrontiert. Viel neuer Ärger ist damit programmiert. Auch vor Gericht, denn immer mehr Verbraucher haben gelernt, wie man sich wehren kann.

Internetportale helfen

Dafür genügen schon ein paar Klicks im Internet oder einige Wischer auf dem Smartphone. Online bieten laut Experten inzwischen rund 30 kommerzielle Fluggastrechte-Portale ihre Hilfe an, wenn es darum geht, berechtigte Forderungen bei Flugausfällen, Verspätungen oder Kofferverlusten durchzusetzen. Denn allzu oft verweigern die vielen schwarzen Schafe unter den Airlines einfach eine Erstattung – obwohl die EU-Fluggastrechteverordnung bereits seit 2004 die Ansprüche klar regelt. Danach können sich Passagiere bei gestrichenen oder überbuchten Flügen den Ticketpreis erstatten oder einen Ersatzflug verlangen. Bei Verspätungen ab drei Stunden gibt es als Ausgleich 250 Euro (Flüge bis 1500 Kilometer), 400 Euro (bis 3500 Kilometer) oder 600 Euro (Langstrecken). Außerdem hat der Reisende bei längeren Wartezeiten Anspruch auf Betreuungsleistungen. Dazu gehören Getränke, Mahlzeiten, Telefonate und unter Umständen eine Übernachtung im Hotel. Der Ausgleich entfällt oder kann gekürzt werden, wenn Airlines zeitnahe Ersatzflüge anbieten, die Nichtbeförderung nicht zu verantworten haben oder Flüge mindestens zwei Wochen vor dem Start annullieren. Oft berufen sich Unternehmen auf außergewöhnliche Umstände oder unvermeidbare Ereignisse wie schlechtes Wetter oder Streiks, was aber nachgewiesen werden muss. Im Falle der wilden Streiks bei Tuifly wurde der Ferienflieger von den Gerichten zur Zahlung verurteilt.

Ansprüche nehmen zu

Es geht um atemberaubende Summen. Das häufige Chaos am Himmel und auf den Airports hat im abgelaufenen Jahr die Entschädigungsansprüche nochmal drastisch um mehr als 50 Prozent in die Höhe schnellen lassen. Mehr als 780 Millionen Euro könnten betroffene Reisende verlangen, haben die Experten von Flightright errechnet. Trotz der Turbulenzen bleiben die kommerziellen Perspektiven der Luftfahrt positiv. Bis 2030 erwartet allein der deutsche Flughafenverband ADV bei seinen Mitgliedern ein Wachstum um 60 Millionen auf dann 300 Millionen Passagiere pro Jahr. 2018 wurde mit knapp 245 Millionen ein Plus von vier Prozent erzielt. Nach ADV-Angaben bieten derzeit rund 300 Fluggesellschaften von hiesigen Airports Direktflüge zu mehr als 600 Zielen in 111 Ländern an, darunter viele interkontinentale Verbindungen.

Fast 30.000 Flüge annulliert

Zum Glück für die Flugbranche setzen bisher die meisten Reisenden ihre Ansprüche nicht professionell durch, obwohl sie allen Grund dazu hätten. 2018 wurden mehr als 29 000 Flüge von und nach Deutschland gestrichen, ein neuer Negativrekord. Zudem waren mehr als 8600 Flüge über drei Stunden verspätet. Jeden Tag gab es demnach im Schnitt rund 100 Problemflüge, für die Entschädigungen fällig wären.

Die Nachwirkungen der Pleite von Air Berlin, Streiks des Flug- und Bodenpersonals sowie Sicherheitsprobleme und Fehlalarme an Airports störten den Flugbetrieb zeitweise so massiv, dass sich die Bundesregierung gezwungen sah, vorigen Herbst einen Fluggipfel einzuberufen. Außer Absichtserklärungen kam dabei aber erst mal wieder wenig heraus.

Kunden verschenken Geld

Mehr als die Mahnungen von Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) an die Branche sind die Fluggastrechteportale zum Schrecken der Airlines geworden. Bisher profitieren die Fluggesellschaften von der Unwissenheit, Bequemlichkeit und Unterlegenheit der meisten Kunden. Nur jeder Fünfte ist laut Umfragen ausreichend über seine Rechte bei Flugausfällen, Verspätungen und Überbuchungen informiert. Andere scheuen den Zeitaufwand und die Kosten, die Entschädigung auf eigene Faust oder per Anwalt einzufordern – und verzichten so oft auf viele hundert Euro.

Die Tricks

Es gibt viele faule Tricks, mit denen Airlines versuchen, Ansprüche abzuwehren. Flightright kritisiert zum Beispiel fragwürdige Klauseln im Kleingedruckten, mit denen etwa Ryanair versucht, die Einschaltung von Flugportalen im Streitfall zu unterbinden, was in der Regel unzulässig sei.

Wo sich Ärger häuft

Auch mit Onur Air hat man schlechte Erfahrungen – nicht nur, weil die Airline fast 30 Prozent ihrer Abflüge verspätet startete und damit im vergangenen Jahr die Liste der unpünktlichsten Anbieter anführte. Der Ferienflieger verweise auf seinen Sitz in der Türkei und verweigere die Zahlung sogar bei rechtwirksamen Urteilen deutscher Gerichte, kritisiert Flightright. Und das, obwohl die Fluggastrechte-Verordnung eindeutig für Unternehmen gelte, die Abflüge in der EU anbieten.

Profitable Portale

Andere ignorieren Entschädigungsforderungen einfach komplett. Dazu zählen laut Flightright Iberia, Vueling, Aeroflot und Ryanair. Hier seien meist Klagen nötig. Mit den Portalen haben solche Airlines aber nun aggressive Gegenspieler, hinter denen oft potente Geldgeber stehen. Denn die Geschäftsmodelle der juristischen Dienstleister gelten als sehr lukrativ und zukunftsträchtig. Diese „Legal Techs“, wie sie in der Branche heißen, können mittels Digitalisierung rasch viele Kunden gewinnen, Erfolgschancen ermitteln, Abläufe automatisieren, Klagen bündeln und Kosten senken.

So geht's

Wer sofort Bares sehen möchte, kann den Fall beim Portal EU Flight melden, das zum Beispiel die Verbraucherschützer von Finanztip empfehlen. Wenn Aussicht auf Erfolg besteht, zahlt das Portal binnen zwei Tagen und versucht dann, die Forderung auf eigenes Risiko durchzusetzen. Der Vorteil: Der Reisende muss sich um nichts mehr kümmern und kann das sofort ausbezahlte Geld behalten, selbst wenn die Airline später nichts zahlt. Der Pferdefuß: EU Flight behält für seine Dienste knapp 42 Prozent der Forderung. Der Reisende bekommt also nur gut die Hälfte seiner Forderung.

Etwas günstiger und anders arbeiten die meisten anderen kommerziellen Portale wie Fairplane oder EU Claim, die im Erfolgsfall meist um 25 bis 30 Prozent berechnen. Auch hier hat der Fluggast wenig Arbeit, kein Kostenrisiko und profitiert von der Erfahrung und Durchsetzungsstärke der Dienstleister, die mit ihren Anwälten auch keine Klagen gegen sture und große Airlines scheuen. Der Nachteil: Geld gibt es nur bei Erfolg gegen die Fluggesellschaft und oft erst nach Wochen, Monaten oder gar Jahren, falls langwierige Prozesse geführt werden müssen.

Die Schlichtungsstelle arbeitet kostenlos

Anders als die Internetportale arbeitet die Schlichtungsstelle für den öffentlichen Personenverkehr (SÖP) in Berlin für die Kunden kostenlos. Voraussetzung ist, dass man zunächst bei den Unternehmen vergeblich seine Ansprüche wegen Verspätungen oder Ausfällen eingefordert hat. Dann wird die SÖP tätig und versucht, eine außergerichtliche Einigung zu erreichen. Im abgelaufenen Jahr hatten die rund 50 Juristen besonders viel zu tun. Die Zahl der Beschwerden über Airlines wuchs bis Anfang Dezember um 136 Prozent auf die Rekordhöhe von 26 266. Rund 370 Verkehrsunternehmen beteiligen sich mittlerweile an dem Schlichtungsverfahren, das sie über Mitgliedsbeiträge finanzieren. Wer dabei ist, muss die Entscheidungen der Juristen bis zu bestimmten Streitwerten akzeptieren.

Was Verbraucherschützer fordern

Die Dienste der Portale würden indes weniger gebraucht, wenn die Flugbranche ein faires automatisiertes Entschädigungsverfahren einführen würde. So einfach und schnell, wie online und per App die Tickets gebucht werden können, sollte auch das Beschwerdeverfahren sein, fordern Verbraucherschützer seit Jahren. Auch die Politik will solche Taten sehen. Im März soll ein weiteres Treffen mit der Branche im Verbraucherministerium folgen.

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