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Arbeit der Zukunft. Flexibel und auf Zuruf.
© imago/Westend61

Zukunft der Arbeit: Abgehängtsein als Lebensmodell?

Der Achtstundentag mag überholt sein. Aber wenn wir ihn aufgeben, müssen wir die Konsequenzen in den Blick nehmen. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Bernhard Schulz

Neun Stunden Ruhepause sind genug. Zwölf Tage hintereinander sind auch in Ordnung. Ob Morgengrauen oder tiefste Nacht, spielt keine Rolle mehr: gearbeitet wird, wenn es dem Prozess passt. Dem Produktions- und immer mehr dem Distributionsprozess – dem, den von der Verkäuferin bis zum Zusteller, vom Pizzabäcker bis zum Computer-Notdienst, immer mehr Menschen zugeordnet sind, während in der Warenproduktion immer mehr gähnende Leere herrscht, belebt (!) von unermüdlichen, unermüdbaren Robotern.

Über die zunehmende Flexibilisierung der Arbeitszeiten, über das Vergehen fester Strukturen, von Dienstplänen bis zu gewohnten Kaffeepausen, kann man ausgiebig jammern – und dabei vergessen, dass wir allesamt selbst auf Angebote zugreifen, die nur durch die viel geschmähte Flexibilisierung möglich wurden. Dabei ist das Ende der Fahnenstange längst nicht erreicht. Überall wird gerungen, um ein bisschen mehr Pflichtzeiten hier, um ein bisschen weniger Regulierung dort. Dabei schwant uns allen, dass das Klein-Klein betriebsspezifischer Vereinbarungen tatsächlich nur Krümelkram ist. Tatsächlich kommt das Ende jeglicher Regulierung, jeglicher Verlässlichkeit und Planbarkeit in Sicht. Arbeit, wie wir sie kennen oder kannten, vielleicht nur aus Erzählungen der Älteren – diese feste Form der Arbeit verschwindet.

1918 wurde der 8-Stunden-Tag eingeführt

1918 wurde der Normarbeitstag eingeführt: acht Stunden Regelarbeitszeit pro Tag. Damals wurde noch an sechs Tagen die Woche gearbeitet. Erst in den sechziger Jahren des schon so unendlich fernen 20. Jahrhunderts kam mit der Gewerkschaftsparole „Samstags gehört Vati mir“ die Fünftagewoche als zweite Norm hinzu. Der Achtstundentag, gegen Kriegsende 1918 eingeführt, bildete einen Eckpfeiler der deutschen Republik; das eine ist ohne das andere gar nicht zu denken. Sein Hundertjähriges wird der Achtstundentag demnächst wohl noch erleben, aber jedes weitere Jubiläum steht in den Sternen. Oder liegt schon im Mülleimer.

Derzeit versuchen dreieinhalb Parteien, sich zu einer Regierungskoalition zusammenzuraufen. Das Thema „Arbeit“ gehört offenbar nicht zum Sondierungsprogramm. Es ist ja auch keine Partei beteiligt, die derzeit eine besondere, historische Beziehung zum Thema unterhielte – „Arbeit“ verstanden nicht als bloße Tarifangelegenheit, sondern als ein Feld der Selbstverwirklichung, als ein Kernthema menschlicher Existenz. Die Befreiung vom Zwang zur (existenzsichernden) Arbeit, für Karl Marx noch die Voraussetzung für den „Eintritt in die menschliche Geschichte“, ist jedenfalls hierzulande greifbare Möglichkeit geworden.

Ein Eckpfeiler der Republik

Mit der völligen Flexibilisierung erst der Tages-, dann der Lebensarbeitszeit, wie sie von unterschiedlichsten Seiten her vorangetrieben wird, kurz gesagt: mit dem Ende des Normarbeitstages bricht ein Grundpfeiler der Republik, und das heißt des sozialen Wohlfahrtsstaates, weg. Mit dem Ende der Arbeit als quasi naturwüchsiger Notwendigkeit stellt sich, über die viel besungenen „sozialen Errungenschaften“ hinaus, die Frage nach dem Menschsein. Nach dem Sinn, den Möglichkeiten, nach den Aufgaben unserer Existenz. Was machen wir, wenn wir nicht mehr oder nur mehr sporadisch arbeiten, irgendwann, unplanbar, auf Zuruf oder eben auch nicht? Abgehängtsein als Lebensmodell? Das mag zynisch klingen, aber die Wirklichkeit schert sich nicht um Empfindlichkeiten.

Die künftige Bundesregierung ist nicht dafür zuständig, den Sinn der Arbeit, ihren Stellenwert im menschlichen Leben zu bestimmen. Aber sie ist zuständig dafür, rechtliche Rahmenbedingungen zu setzen und im Auge zu behalten. Der Achtstundentag mag überholt sein. Aber wenn wir ihn aufgeben oder auch nur dahinschwinden lassen, müssen wir die Konsequenzen in den Blick nehmen. Und die Politik dazu in der Gesellschaft verhandeln. Ehe verschwunden ist, was einmal dem konkreten Dasein aller Bürger der sozialen Republik Halt gegeben hat. Selbst denen, die es nie gemerkt haben.

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