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Der Marktplatz in Coburg, einer Stadt mit besonders hoher Gewerbesteuerkraft.
© Nicolas Amer/dpa

Auf die Kommunen kommen massive Steuerausfälle zu: 50 Milliarden Rücklagen „tragen nur ein Stück weit“

Deutschlands Kommunen müssen mit Milliardenausfällen bei der Gewerbesteuer rechnen. Experten raten, ihnen mehr Schulden zu ermöglichen.

Krisenmanager in Berlin, Krisenmanager in den Landeshauptstädten – seit Wochen sind die Blicke dorthin gerichtet. Doch das wirtschaftliche wie politische Drama der Corona-Krise findet nicht zuletzt in den Städten, Gemeinden und Landkreisen statt. In einigen Wochen wird das allen deutlich vor Augen stehen.

Denn dann ist Zahltag. Oder auch nicht.

„Im Mai ist die nächste Vorauszahlung der Gewerbesteuer fällig“, sagt René Geißler, Kommunalexperte der Bertelsmann-Stiftung. Schon immer hat es die Möglichkeit gegeben, dass Unternehmen, die wegen einer schlechten Ertragslage in Schwierigkeiten sind, hier beim Finanzamt eine Kürzung beantragen können. „Die Zahl der Anträge wird nun deutlich steigen“, da ist Geißler sicher. „Das wird jetzt zum Massenphänomen.“ Zumal das Bundesfinanzministerium den Finanzbehörden nahegelegt hat, die Anträge sehr kulant zu behandeln.

42 Milliarden Euro im Jahr

Die Gewerbesteuer ist für die Kommunen außerordentlich wichtig, denn der Ertrag fließt ihnen alleine zu. Sie wird auf den Gewinn erhoben, und da die Wirtschaft in den vergangenen Jahren florierte, sprudelten die Einnahmen auch. 2018 kamen mehr als 42 Milliarden Euro zusammen.

Etwa 20 Prozent eines Kommunaletats werden im Schnitt aus dieser Steuer finanziert. Städte mit einer brummenden Wirtschaft kommen auf deutlich höhere Anteile und können sich so einiges über das übliche Angebot an die Bürger hinaus leisten.  Ganz oben bei den Städten stehen Coburg und Frankfurt am Main, wo fast die Hälfte der Einnahmen aus der Gewerbesteuer kommt.

In der Finanzkrise minus 20 Prozent

Und nun droht der große Einbruch. Vorerst kann ihn noch niemand beziffern. In der Finanzkrise vor gut einem Jahrzehnt betrug das Minus bei der Gewerbesteuer etwa 20 Prozent. Nun könnte es noch deutlich drastischer ausfallen. Experten können sich vorstellen, dass die Ausfälle sich dieses Jahr auf ein Drittel summieren könnten oder gar die Hälfte des bisherigen Steueraufkommens ausmachen.

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„Das Wegbrechen nur eines Geschäftsmonats dürfte bei vielen Unternehmen das vernichten, was am Ende des Jahres als Gewinn übrig bleibt, vor allem im Handel, in der Gastronomie, zum Teil in der Industrie, bei unternehmensnahen Dienstleistungen“, sagt der Leipziger Finanzwissenschaftler Thomas Lenk. „Damit dürfte das Aufkommen der gewinnabhängigen Steuern – Körperschaftsteuer und Gewerbesteuer – am stärksten betroffen sein. Falls die Einschränkungen über Ostern hinaus gehen, dürfte sich die Lage noch deutlich verschlimmern.“

Auch Gebühren gehen verloren

Und damit sind die Kommunen direkt am stärksten betroffen. Denn die Einbrüche bei der Einkommen- und der Umsatzsteuer, aus denen sich die Etats des Bundes und der Länder zum Großteil speisen, werden später kommen und die Dimension bei der Gewerbesteuer auch nicht erreichen. Noch etwas kommt hinzu: „Den Kommunen gehen nun auch noch andere laufende Einnahmen verloren, von den Kita-Gebühren bis zu den Zahlungen der Gastronomen, die Tische auf dem Bürgersteig aufstellen möchten“, erklärt Geißler.

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Immerhin 50 Milliarden Rücklagen

Andererseits: Auch die Kommunen haben, aufs Ganze gesehen, in den vergangenen Jahren ordentliche Überschüsse erwirtschaftet. Ungefähr 50 Milliarden Euro liegen auf ihren Konten bei den Banken. Vor allem in Baden-Württemberg, Bayern und Brandenburg hat sich viel Geld angesammelt, unterdurchschnittlich sind Niedersachsen, Sachsen-Anhalt, Nordrhein-Westfalen und das Saarland. „Diese Rücklagen sind zum Glück nun ein Puffer“, sagt Geißler. „Aber der trägt nur ein Stück weit.“

Und die Rücklagen sind sehr ungleich verteilt. Manche Kommunen haben ordentlich Speck zurückgelegt, andere dagegen kaum.  Vor allem eine Gruppe rückt so wieder ins Blickfeld: Die Problem-Kommunen mit den großen Altlasten an Kassenkrediten, vor allem in NRW und in Rheinland-Pfalz, die keine Rücklagen bilden konnten, sondern eben diese alten Schulden abbauen mussten. „Die sind jetzt sofort wieder im Minus“, befürchtet der Bertelsmann-Wissenschaftler. Die abgebrochene Debatte über eine Altschuldenhilfe des Bundes, vor allem von der SPD befördert, dürfte so bald wieder aufleben.

Soforthilfen der Länder

Zeitnah zuständig sind jedoch die Länder – so sieht es die Verfassungsordnung vor. Sie alle tun auch schon etwas. Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz etwa haben jeweils eine Soforthilfe in Höhe von 100 Millionen Euro ausgeschüttet, in Niedersachsen wurden die Leistungen des Landes für den öffentlichen Nahverkehr früher ausgezahlt.  Mehrere Länder übernehmen die Ausfälle bei den Kita-Gebühren schon jetzt  ganz. Aber das sind nur erste Notmaßnahmen. Wenn die massiven Ausfälle bei der Gewerbesteuer demnächst auflaufen, reicht das alles nicht.

Schuldenlockerung gefordert

Henrik Scheller vom Deutschen Institut für Urbanistik, dem größten kommunalwissenschaftlichen Institut Deutschlands, verweist daher auf die Schuldenkapazität der Städte, Gemeinden und Kreise. Die wird von den Ländern kontrolliert und geregelt. "Wichtig ist in jedem Fall, dass die Länder jetzt die Vorschriften zur Kreditaufnahme lockern. Wenn das nicht geschieht, wird es für viele Kommunen haushalterisch sehr eng“, sagt er.

Auch Lenk fordert eine Lockerung des Schuldenregimes durch die Länder.  „Kurzfristig sollte den Kommunen die Aufnahme von Kassenkrediten ermöglicht werden – dafür sind sie da“, betont er. „Das Sparen bei den Ausgaben wäre in der jetzigen Lage kontraproduktiv bis verheerend.“ Doch darf man die Kommunen auch nicht in eine Überschuldung laufen lassen. Lenk plädiert daher dafür, „eine mittelfristige Perspektive“ zu schaffen, die Kassenkredite wieder abzubauen. Für Geißler ist klar, dass die Landesregierungen schon bald weitaus stärker gefragt sind. „Die Länder müssen dringend den Einbruch bei der Gewerbesteuer kompensieren“, lautet sein Vorschlag.

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