Arbeitszeit im Osten: "30 Jahre nach der Wende sollte eine Angleichung erfolgen"
In der ostdeutschen Metallindustrie wird drei Stunden länger gearbeitet als im Westen. Das soll sich ändern. Ab Mittwoch startet ein letzter Kompromissversuch.
Letzter Einigungsversuch vor dem Häuserkampf: An diesem Mittwoch treffen sich um 9 Uhr im Hotel Hilton am Berliner Gendarmenmarkt die Tarifparteien der ostdeutschen Metallindustrie, um einen Weg Richtung 35-Stunden-Woche zu finden. Wenn sich IG Metall und Arbeitgeber nicht verständigen, ist der Flächentarif im Osten erledigt. Die Gewerkschaft bereitet sich seit längerem auf einzelbetriebliche Auseinandersetzungen vor: In den Unternehmen mit vielen IG-Metall-Mitgliedern soll dann die Arbeitszeitverkürzung in Haustarifen festgeschrieben werden.
Betroffen davon sind vor allem die Großbetriebe: VW, BMW, Porsche, Siemens, ZF und Bosch. Entsprechend groß ist der Druck von den Großen auf die Arbeitgeberverbände von Sachsen und Berlin-Brandenburg, sich auf einen Kompromiss einzulassen. "30 Jahre nach der Wende sollte eine Angleichung erfolgen", sagte der Präsident eines Verbandes dem Tagesspiegel. "Wir sind mit der Gewerkschaft in zielführenden Gesprächen."
Ende Juni waren die Verhandlungen gescheitert
Ende Juni waren nach einem halben Dutzend ergebnisloser Verhandlungstermine die Gespräche abgebrochen worden. Nach der Sommerpause traf man sich im September bislang zwei Mal, jetzt soll endlich eine Einigung her und der zähe Prozess endlich enden. Die Bewegungsbereitschaft der Arbeitgeber war von Beginn an sehr eingeschränkt. Zumal sie nur eine unverbindliche Gesprächsverpflichtung umsetzen, die ihnen die IG Metall bei der letztjährigen Tarifrunde im Westen mit Ach und Krach für den Osten abgerungen hatte.
Die IG Metall hat nicht viele Mitglieder in Ostdeutschland, und die meisten Industriebetriebe gehören keinem Tarifverband an. Erzwingen kann die Gewerkschaft die Arbeitszeitverkürzung also nicht. Zu sehr steckt auch noch die Niederlage um die 35-Stunden-Woche im Arbeitskampf 2003 in den Knochen. Hinzu kommt: Die von den starken Bezirken im Süden und Westen dominierte IG Metall hat wegen der Transformation der Autoindustrie und der Konjunkturschwäche ganz anderer Probleme als die Arbeitszeitverkürzung im Osten.
Betriebe sollen wählen dürfen
Das wissen die Arbeitgeber und wollen sich nur auf eine Vereinbarung einlassen, wenn es einen Arbeitszeitkorridor von 30 bis 40 Stunden gibt und wenn die Betriebe selbst mit ihren Betriebsräten die genaue Zahl der Stunden festlegen dürfen. Freiwilligkeit statt Verbindlichkeit. Das aber will der Verhandlungsführer der Gewerkschaft, Olivier Höbel, keinesfalls unterschreiben.
Für den IG-Metall-Vorsitzenden Jörg Hofmann ist die längere Arbeitszeit der Metaller im Osten „ein Splitter im Auge, der am rechten Rand genutzt wird“. Wenn andernfalls die Arbeitgeber „Ostdeutschland weiter als Exerzierfeld ihrer Deregulierungsfantasien“ missbrauchten, dann dürfe man sich über den Erfolg der AfD nicht wundern, meint Hofmann.
Ein Kompromiss war schon gefunden
Im November sah es schon nach einem Kompromiss aus. Die IG Metall hatte sich mit dem für Berlin und Brandenburg zuständigen Arbeitgeberverband (VME) verständigt. Danach sollte die Arbeitszeit im Osten in mehreren Schritten und unter Berücksichtigung der wirtschaftlichen Situation der Betriebe bis spätestens 2030 von 38 auf 35 fallen. 40 Jahre nach der deutschen Einheit wären dann also die tariflichen Arbeitszeiten in der wichtigsten deutschen Industriebranche identisch.
Der Regionalverband VME unterschrieb die Eckpunkte unter der Bedingung einer Kostenkompensation und weiterer Arbeitszeitflexibilisierung. Doch kaum war die Tinte trocken, intervenierten die Arbeitgeberverbände aus Baden-Württemberg und Bayern - zu deren Mitgliedern die Konzerne gehören, die im Osten die größten Fabriken betreiben. Also begann der zähe Tarifpoker von vorn - diesmal unter der Leitung des Dachverbandes Gesamtmetall.
"Menschen zweiter Klasse"
„Tarifbindung und Mitbestimmung sind Säulen unserer Demokratie. Wenn dieser Teilhabevertrag nicht mehr trägt, dann rutscht auch gesellschaftspolitisch etwas weg“, sagt Olivier Höbel, der in seiner Funktion als IG-Metall-Chef von Berlin, Sachsen und Brandenburg die Verhandlungen für die Gewerkschaft führt. Höbel kommt nach anderthalb Jahren die Geduld abhanden. „30 Jahre nach dem Mauerfall ist es höchste Zeit, dass die Menschen in Ostdeutschland nicht mehr wie Menschen zweiter Klasse behandelt werden“, sagt Höbel immer wieder und ruft die Arbeitgeber auf, "die gesellschaftspolitische Verantwortung für die Einlösung der sozialen Einheit in Deutschland wahrnehmen".
Am Mittwoch wird es vor allem um die Frage der Verbindlichkeit beziehungsweise der Freiheit für die Betriebe gehen. "Einen Zeitkorridor mit bestimmten Eckdaten wird es geben", sagt ein Arbeitgebervertreter. Im Rahmen des Korridors würde dann jedes Unternehmen die Möglichkeit haben, "gemeinsam mit der Belegschaft den richtigen Zeitpunkt zu finden" für die Arbeitszeitverkürzung und schließlich für die 35-Stunden-Woche.
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