Vor dem SPD-Parteitag: Was ist eigentlich soziale Gerechtigkeit?
Die SPD tritt für mehr Gerechtigkeit an. Aber was ist eigentlich soziale Gerechtigkeit? Tagesspiegel Causa hat Wissenschaftler, Politiker und Intellektuelle gefragt. Hier ihre Antworten in kurzen Videos, unter anderem mit Gesine Schwan, Karl-Rudolf Korte und Christoph Butterwegge.
"Zeit für mehr Gerechtigkeit" - mit diesem Slogan tritt die SPD bei ihrem Bundesparteitag in Dortmund an. Aber was ist eigentlich soziale Gerechtigkeit? Tagesspiegel Causa hat in den letzten Monaten zahlreichen Wissenschaftlern, Politikern und Intellektuellen diese Frage gestellt. Hier ihre Antworten im Video.
In der Theorie reicht Chancengleichheit für soziale Gerechtigkeit aus, sagt der Politikwissenschaftler Karl-Rudolf Korte. Praktisch ist Deutschland im internationalen Vergleich nicht chancengleich. Wir geben unser Bildungsgut bis heute meist an die kommende Generation weiter: Akademikerkinder studieren, Kinder von Arbeitern eher nicht.
Dennoch ist die soziale Ungerechtigkeit oft eine gefühlte Ungerechtigkeit, die auch davon beeinflusst wird, dass Neid in Deutschland eine große Rolle spielt. Denn zumindest formell bietet der deutsche Sozialstaat zahlreiche soziale Abfederungen.
Generationengerechtigkeit ist bloß ein politischer Kampfbegriff, sagt der Armutsforscher Christoph Butterwegge. Die soziale Scheidelinie verläuft mehr denn je zwischen Arm und Reich und nicht zwischen Jung und Alt. Soziale Gerechtigkeit lasse sich nicht allein über Chancengerechtigkeit erzeugen. Denn auch wenn alle Menschen theoretisch die gleichen Chancen zur Teilhabe an Bildung, Kultur und dem öffentlichen Leben hätten, so hingen diese Möglichkeiten heute von finanziellen Ressourcen ab. Die Reichen müssen deshalb höher besteuert werden. Christoph Butterwegge lehrte und forschte an verschiedenen Universitäten, unter anderem zum Thema Armut. Zuletzt hatte er bis zu seinem Ruhestand eine Professur für Politikwissenschaft an der Universität zu Köln inne. 2017 kandidierte er für das Amt des Bundespräsidenten.
Thomas Köster von der Konrad-Adenauer-Stiftung widerspricht Christoph Butterwegge. Chancengleichheit reicht in einer theoretischen Welt völlig aus, um soziale Gerechtigkeit zu schaffen. Ein weiterer Schlüssel seien steuerliche Entlastungen: Zwar seien Steuern essenziell, doch müsse die Steuer-Schraube dringend einige Millimeter zurück gedreht werden. Köster ist Koordinator für Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik bei der Konrad-Adenauer-Stiftung und forscht im Rahmen seiner Promotion zu Arbeitslosigkeit.
Deutschland wäre sozial gerecht, wenn alle Menschen ihre Grundbedürfnisse ausreichend befriedigen könnten, sagt die SPD-Politikerin, Politikwissenschaftlerin und ehemalige Präsidentschaftskandidatin Gesine Schwan. Eine der zentralen Voraussetzungen dafür seien gleiche Chancen für alle - egal, wie begabt die Einzelnen auf den ersten Blick wirken. Man könne nie wissen, welche Talente wirklich in den Menschen stecken. Zur Sicherung von Bildung benötigen wir allerdings Investitionen.
Soziale Gerechtigkeit ist vor allem Chancengleichheit, sagt Ralf Fücks. Wenn alle Menschen – unabhängig von ethnischer und sozialer Herkunft – die gleichen Startchancen haben, ist ein Staat sozial gerecht. Dass einige Menschen in Deutschland so viel verdienen, ist jedoch nicht der Grund dafür, dass andere so wenig haben. Die soziale Ungleichheit entsteht vielmehr, weil untere und mittlere Einkommensschichten nicht genügend Teilhabemöglichkeiten am Produktivvermögen haben. Auch die soziale Teilhabe muss gesichert sein. Hier sind öffentliche Institutionen, vor allem im Bereich Bildung, der Schlüssel. Ralf Fücks ist seit 1996 Vorstand der Heinrich Böll-Stiftung, der politischen Stiftung der Grünen. Bis Mitte der 90er Jahre war er aktiver Politiker, zuletzt als Senator für Stadtentwicklung und Umweltschutz in Bremen.
"Sie werden niemals Gleichheit haben, weil die Menschen viel zu unterschiedlich sind", sagt der Berliner AfD-Politiker Georg Pazderski. Staaten und Nationen brauchen auch Eliten.
Gerechtigkeit ist zwar ein berechtigter Anspruch aller Menschen, jedoch nicht die Realität. Im Gegenteil: Die soziale Ungerechtigkeit in Deutschland wächst stetig. Diese Entwicklung kann nur durch ein Miteinander aller Menschen aufgehalten werden. Außerdem bedarf es in vielen Bereichen, sei es in der Bildung oder im Wohnungsbau, starker Förderung. Im Video-Interview erklärt Rita Süssmuth, warum.
Rita Süssmuth ist Mitglied der CDU. Von 1986 bis 1988 leitete sie das Ministerium für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit. Von 1988 bis 1998 war sie Vorsitzende des deutschen Bundestags. Seit 2010 ist sie Präsidentin des deutschen Hochschulkonsortiums der Deutsch-Türkischen Universität in Istanbul.
Alle Beiträge in voller Länge zum Nachlesen finden Sie auf Tagesspiegel Causa. Debattieren Sie auf Causa zum Thema mit!
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