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Die dunkle Seite des Fußballs. Auch bei den Amateuren wird gedopt. Oft mit Schmerzmitteln.
© imago/Claus Bergmann

Doping mit Schmerzmitteln: Wie sich Amateurkicker den Kick holen

Der Amateurfußball hat ein Schmerzmittelproblem. Für viele Spieler gehört etwa Ibuprofen zur Spielvorbereitung. DFB-Präsident Fritz Keller ist schockiert.

Freitagabend, Flutlicht, ein Bezirksligaderby in Mönchengladbach. Der Rheydter Spielverein empfängt an diesem Tag Ende November 2019 den SV Lürrip. Die Gastgeber sind vorbereitet. „Wir nehmen schon generell vor Spielen Schmerzmittel, mehr oder weniger die ganze Mannschaft“, berichtet der Kapitän Silvio Cancian im Trainerzimmer.

Der 25-Jährige sagt, er habe schon lange nicht mehr ohne Pillen gespielt. „Ich glaube, es ist so ein bisschen Kopfsache. Man fühlt sich dann sicherer, wenn man Ibuprofen drin hat, als wenn man jetzt keine drin hat.“

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Schmerzmittelmissbrauch im Fußball, bei Amateuren und in Profi-Teams: Reporter des gemeinnützigen Recherchezentrums Correctiv und der ARD-Dopingredaktion sind dem Thema über Monate nachgegangen. Bei den Profis berichtet etwa Neven Subotic vom 1. FC Union über seine Erfahrungen aus der Kabine. „Was ich in den letzten 14 Jahren mitbekommen habe: Ibuprofen wird wie Smarties verteilt“, sagt Subotic. „Für jedes kleine Aua gibt es quasi pauschal Ibuprofen.“

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Subotic sagt auch, die Spieler würden über mögliche Folgen in der Regel nicht informiert. „Es heißt dann immer: ‚Wenn du spielen willst, kannst du das nehmen, dann fühlst du dich gut, und dann spielst du.‘“ Er selbst halte sich, so gut es gehe, fern von den Mitteln.

"Die Schmerzmittel machen lockerer"

Wie Smarties futtern auch die Amateurkicker vom Rheydter SV Schmerzmittel. „Die Tabletten holen wir meistens in Holland, da kriegt man Ibu ja nachgeschmissen“, sagt der Trainer René Schnitzler. Der 35-Jährige spielte früher bei St. Pauli in der Zweiten Liga. Seit sechs Jahren trainiert er den Rheydter SV.

Schnitzlers Co-Trainer Ferdi Berberoglu hat beobachtet, was die Pillen mit den Spielern machen. „Sie werden durch die Schmerzmittel lockerer. Damit sie diesen Druck loswerden“, sagt er. Gerade die 18-, 19-, 20-Jährigen würden „wegen jedem Kinkerlitzchen irgendeine Tablette nehmen“, sagt Schnitzler. „Das ist im Amateurbereich meiner Meinung nach sogar noch viel, viel mehr geworden.“

Wie viel mehr? Wie weit verbreitet ist es bei den Millionen deutschen Freizeitkickern, mit Schmerztabletten kurz vor Anpfiff zum Beispiel die Nervosität zu senken? Correctiv und die ARD-Dopingredaktion haben dazu eine deutschlandweite Befragung unter Amateurfußballern aufgesetzt. 1142 Spielerinnen und Spieler beteiligten sich daran. Das Ergebnis der nicht repräsentativen Online-Erhebung: Etwa die Hälfte der Teilnehmer nehmen mehrmals pro Saison Schmerzmittel, 21 Prozent sogar einmal pro Monat oder öfter. Als Grund gaben sie längst nicht nur die Bekämpfung von akuten Schmerzen an.

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Fast 42 Prozent der Teilnehmer wollen mit den Pillen Einfluss auf ihre Leistung nehmen. Konkret wollen sie die Belastbarkeit erhöhen. Sie wollen Sicherheit gewinnen und den Kopf frei haben. Einige erklärten in der Befragung auch direkt, ihre Leistung steigern zu wollen.

Die Nebenwirkungen sind dramatisch

Der Hoffenheimer Mannschaftsarzt Thomas Frölich sagt mit Blick auf Schmerzmittelkonsum im Sport, Doping sei „eigentlich grundsätzlich so definiert, dass jede Leistungssteigerung auf unnatürliche Weise, also abseits des Trainings oder der normalen Ernährung, als Doping gilt“. Auf der Liste der Welt-Antidoping-Agentur (Wada) stehen die Tabletten aber nicht.

Mit den möglichen Nebenwirkungen der Pillen setzt sich nur jeder dritte Teilnehmer der Befragung auseinander. Dabei können die Mittel bei übermäßigem Konsum durchaus gefährlich sein: Sie können Magen, Herz und Nieren schaden. Einige Amateurspieler schilderten, was sie erlebten. Von „Abhängigkeit“ und „ständigem Verlangen“ schrieben sie, von „Blut im Stuhl“ und „chronischen Entzündungen“, von „Darmbluten“ und „hohem Blutverlust bei offenen Wunden“.

Felix Lenneper hat seinen Körper mit Schmerzmitteln so ruiniert, dass er mit 24 Jahren mit dem Fußball aufhören musste.
Felix Lenneper hat seinen Körper mit Schmerzmitteln so ruiniert, dass er mit 24 Jahren mit dem Fußball aufhören musste.
© Ivo Mayr/Correctiv

Von den „Leberwerten, die durch die Decke gehen“, berichtete bei der Befragung Felix Lenneper, ein 29 Jahre alter Amateurspieler aus dem Sauerland. Lenneper zählt an seinem rechten Bein und Fuß heute 15 Verletzungen – Bänderrisse, Brüche, Knorpelschäden. So weit wäre es ohne Schmerzmittel, die den Körper weit über jede Grenze der Vernunft noch einsatzfähig machen, nicht gekommen.

Die Hilferufe des Körpers werden ignoriert

Lennepers Körper sendete Hilferufe, jahrelang. Er ignorierte sie. Auf Verletzungen antwortete er mit weiteren Schmerzmitteln. Steigerte die Dosierung. Und begann irgendwann sogar, regelmäßig das Opioid Tilidin zu nehmen.

Lenneper startete mit 17 – und mit Ibuprofen 400. Sein Knie schmerzte, die 400er-Pillen halfen bald nicht mehr. Er erhöhte auf Ibuprofen 800. Die Tabletten, nur mit Rezept zu bekommen, gingen kurz vor Anpfiff in der Kabine herum. Doch die Schmerzen im Kniegelenk ließen sich auch so nicht dauerhaft ausschalten. Lenneper erzählt von Wasserablagerungen im Knie, wenige Stunden nach mehreren Spielen. „Am Montag konnte ich mein Bein dann schon nicht mehr durchdrücken.“ Er verdoppelte die Dosis erneut, zwei Ibuprofen 800 mehrmals pro Woche, 1600 Milligramm. Ärzte empfehlen als maximale Menge pro Tag 1200 Milligramm.

Wegen einer langwierigen Grippe wurde sein Blut untersucht. Dadurch erfuhr er, dass seine Leberwerte zehnmal so hoch wie normal waren. Lenneper war entschlossen, den Konsum zu reduzieren. Das gelang ihm. Für ein paar Wochen.

Dann drückte ihm ein Mitspieler eine Tablette in die Hand, die Lenneper noch nicht kannte: Tilidin. „Nimm davon eine halbe“, riet der Mitspieler. Dass Tilidin ein synthetisches Opioid ist, erfuhr Lenneper nach eigener Aussage nicht.

Die nächste Stufe: Opioide

Wenn weitverbreitete Schmerzmedikamente wie Diclofenac oder Ibuprofen kaum mehr wirken, können schwache Opioide der nächste Behandlungsschritt sein. Ärzte denken dabei an Krebspatienten oder frisch operierte Menschen. Lenneper nahm mit 19 Jahren über einen Zeitraum von neun Monaten vor den Spielen regelmäßig eine halbe Tablette Tilidin. Zu Hause warf er manchmal noch nach. „Ich verspürte ein Verlangen, das Medikament zu nehmen“, sagt er heute.

Bei einem Spiel im Frühjahr 2010 halbierte er nicht mehr, sondern nahm wegen einer Zerrung eine komplette Tilidin-Tablette. Was dann passierte, beschreibt Lenneper so: „Meine Muskeln begannen zu zittern, ich hatte kalten Schweiß auf der Haut, Schwindel, alle Grippesymptome im Schnelldurchlauf.“

Er quälte sich auf den Platz. In der sechsten Minute sackte er zusammen. Nach einer halben Stunde musste er sich erbrechen. Wenig später saß er im Krankenwagen. In der Notfallambulanz sprachen sie von einem Kreislaufkollaps. Dass Lenneper Tilidin genommen hatte, behielt er im Krankenhaus allerdings für sich.

Insgesamt vier Jahre versuchte er noch, weiter Fußball zu spielen. 2015 musste Lenneper mit 24 Jahren seine Laufbahn beenden.

Bei der Befragung von Correctiv und ARD-Dopingredaktion berichteten insgesamt fünf Spieler, sie hätten Tilidin genommen, um weiter Fußball spielen zu können. Drei Spieler gaben Tramadol an, ein weiteres Opioid. Zweimal wurden die besonders wirkungsvollen Opioide Oxycodon und Desomorphin angeben.

Fritz Keller, der Präsident des Deutschen Fußball-Bundes, zeigte sich „schockiert“, als ihm das Ergebnis der Befragung gezeigt wurde – und kündigte eine Reaktion an: „Da müssen wir unbedingt an unsere Landesverbände gehen und über Trainer eine Sensibilisierung hinkriegen.“ Der Sport im Amateurbereich, so der DFB-Präsident, sei „zur Gesunderhaltung gedacht und nicht dafür, dass man sich kaputt macht“.

Diese Recherche ist Teil einer Kooperation von Correctiv und der ARD-Dopingredaktion. Die Redaktionen haben über Monate zum Schmerzmittelmissbrauch im Amateur- und Profifußball recherchiert. Alle Ergebnisse finden Sie auf pillenkick.de, unter anderem mit einer ARD-Dokumentation, die an diesem Dienstag um 22:45 Uhr ausgestrahlt wird, sowie einer interaktiven Übersicht mit Hinweisen zu Ibuprofen, Aspirin und anderen Schmerzmitteln. Das unabhängige Recherchezentrum Correctiv arbeitet gemeinnützig und finanziert sich über Spenden.

Wigbert Löer, Jonathan Sachse, Arne Steinberg

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