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Bianca Andreescu ist die Senkrechtstarterin auf der WTA-Tour.
© Al Bello/Getty Images/AFP

Bianca Andreescu bei den US Open: Wie Martina Hingis in besten Zeiten

Bianca Andreescu gilt als das größte junge Talent des Turniers und hat wegen ihrer spektakulären Auftritte schon viele Fans. Angelique Kerber gehört nicht dazu.

Spaß ist für Bianca Andreescu relativ. Das bewies die Tennisspielerin vor ein paar Tagen in Albany bei einem Showturnier in Vorbereitung auf die US Open. In ihrem Match gegen Victoria Asarenka korrigierte der Stuhlschiedsrichter eine Entscheidung zuungunsten der jungen Kanadierin. Die wurde daraufhin wütend und begann eine angeregte Diskussion mit dem Referee. Asarenka war das ein bisschen zu viel Adrenalin auf Seiten ihrer Gegnerin, sie wollte ihr deswegen von sich aus den Punkt geben. Andreescu lehnte dankend ab und meinte nur. „Ist schon okay, Du wirst ihn brauchen.“ Die erfahrene Weißrussin gab sich im Interview nach dem Match verwundert. „Ich dachte, wir würden ein bisschen mehr Spaß da draußen haben.“ Sie fügte angesprochen auf die Szene mit dem Schiedsrichter lachend hinzu: „Ich bin eben keine 18 Jahre mehr alt.“

Auch Bianca Andreescu ist keine 18 mehr, genau genommen ist sie seit ein paar Wochen 19. In der Frauen-Weltrangliste liegt sie aktuell dennoch schon auf Platz 15 und ist damit die jüngste Spielerin in den Top 20. Noch bemerkenswerter: Von allen Spielerinnen auf der WTA-Tour hat sie in dieser Saison die beste Bilanz, 39 Siegen stehen nur vier Niederlagen gegenüber. Zuletzt gewann sie als erste Kanadierin seit 50 Jahren beim Heimturnier in Toronto. Bei den US Open gilt sie deshalb schon als Mitfavoritin, auch sie selbst sieht das so: „Ich kann hier große Dinge schaffen“, sagte sie vor dem letzten Grand-Slam-Turnier des Jahres.

Tatsächlich ist die Entwicklung der Tochter rumänischer Einwanderer in den vergangenen Monaten phänomenal. In die Saison startete sie noch als Nummer 152 der Welt, erreichte bei ihrem ersten Turnier des Jahres in Auckland aber gleich das Finale. Das verlor sie knapp gegen Julia Görges, später siegte sie völlig überraschend in Indian Wells, bei einem der größten Events außerhalb der Grand Slams. Im Endspiel schlug sie Angelique Kerber, gegen die sie in der Folgewoche gleich noch einmal in Miami gewann. Fast schon legendär waren in beiden Turnieren die regelmäßig von Andreescu genommen Verletzungsauszeiten. An mehreren Stellen des Körpers bandagiert, ließ sie sich dennoch nicht bremsen – und nervte damit ihre deutsche Gegnerin gewaltig. „Du bist die größte Drama-Queen überhaupt“, sagte Kerber nach ihrem Aus in Miami deshalb am Netz zu Andreescu.

Ganz so viel Show war dann aber wohl doch nicht dabei, im anschließenden Achtelfinale gab sie auf und zog auch bei den French Open in der zweiten Runde zurück. Erst in Toronto kehrte sie nach Schulterproblemen auf die Tour zurück, kaum vorstellbar, was sie ansonsten in dieser Saison noch hätte erreichen können. Sieben Mal spielte sie gegen Top-Ten-Spielerinnen – alle sieben Matches gewann sie. Auch deshalb wurde sie vor den US Open so hoch gehandelt. In ihrem Erstrundenspiel gegen Katie Volynets in Flushing Meadows wurde sie ihrer Rolle als Geheimfavoritin durchaus gerecht, sie schlug die US-Amerikanerin klar in zwei Sätzen. In der zweiten Runde spielt sie nun am Donnerstag gegen die Belgierin Kirsten Flipkens. Sollte sie in der Runde danach auch noch gewonnen, dann könnte im Achtelfinale Wimbledonsiegerin Simona Halep auf sie warten. Ein Spiel, das ganz Rumänien in seinen Bann ziehen dürfte. Zwar ist Andreescu Kanadierin, sie spricht allerdings die Sprache des Heimatlandes ihrer Eltern fließend und bekommt bei Matches immer wieder auch Unterstützung von rumänischen Fans.

Auch wenn Andreescu zuweilen übermotiviert und verbissen daherkommt, so hat sie doch schon viele Herzen erobert. Auch weil sie anders spielt als viele ihrer Kolleginnen. Die Rechtshänderin mixt ihr Tempo geschickt, sie variiert wie Martina Hingis in besten Zeiten, hat dabei aber deutlich härtere Grundschläge. Das ist zuweilen spektakulär anzusehen und höchst unangenehm für jede Gegnerin. Auch deshalb hat sie viele Anhänger – auch bei den Männern. „Ein Star ist geboren. Was bist Du für eine Kämpferin, Bianca!“, twittere die australische Tennislegende Rod Laver im März nach dem Turnier in Indian Wells. Gut möglich, dass in naher Zukunft noch viele mehr Menschen Bianca Andreescu gratulieren werden. Und wer weiß, vielleicht geht es damit sogar schon in diesen Tagen von New York weiter.

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