Nach dem frühen WM-Aus: Wie Frauenfußball in Berlin aufgestellt ist
Seit dem frühen Aus bei der Fußball-WM wird über die Zukunft des deutschen Frauenfußballs diskutiert. Auch in Berlin gibt es Probleme - eine Analyse.
Cristiano Ronaldo ist in Steglitz auch dabei. Zwei Jungs, 13 Jahre alt, imitieren seinen Torjubel gestenreich. „Siii“, brüllen sie. Denn der Ball liegt im Tor. Der giftgrüne Belag sieht nicht einladend aus, aber daran stören sich die Straßenkicker nicht. Sie dribbeln viel und passen wenig. Mehr als drei Stunden geht das so in der Nähe des Walther-Schreiber-Platzes. Die Wenigen, die zusehen, tun es mit Freude. Sie stellen aber auch fest: Mädchen sind nicht dabei.
Warum immer nur Jungs hier kicken würden, weiß der Ronaldo-Jubler auch nicht: „Ist mir aber auch egal.“ Er erzählt noch, dass er beim Friedenauer TSC spielt, um die Ecke wohnt und öfter hier ist. Dann trinkt er einen Schluck Wasser und rennt auf den Platz zurück.
Knapp drei Wochen ist es nun her, seit die deutsche Nationalmannschaft der Frauen bei der Weltmeisterschaft in Frankreich im Viertelfinale gegen Schweden rausgeflogen ist. Den Anschluss an die Weltspitze hätten die deutschen Fußballerinnen verloren, wird seither oft geschrieben, der Deutsche Fußball-Bund (DFB) habe Entwicklungen verschlafen. Woran könnte das liegen, fragen viele, auch in den Landesverbänden wie dem Berliner Fußball-Verband (BFV).
Christine Lehmann sitzt im Ausschuss für Frauen- und Mädchenfußball des BFV. „Wir wollen wachsen“, sagt die 61-Jährige, aber das sei schwer. 127 Mädchenteams meldeten die Vereine für die abgelaufene Saison, 137 sollen es 2019/2020 sein. Lehmann rechnet aber noch mit Absagen. Generell habe sich in den vergangenen Jahren alles ein bisschen eingependelt. „Aber in den Köpfen vieler, gerade auch Eltern, ist Fußball immer noch männlich konnotiert.“ Auch das könne erklären, warum Fußballkäfige wie in Steglitz kaum von Mädchen genutzt werden. „Mädchen wollen und müssen angesprochen werden, was Fußball betrifft. Die rufen nicht: Hier bin ich“, sagt Lehmann.
"Vorbildliche Arbeit" im Mädchenfußball
Eine, die Mädchen anspricht, ist Iryna Sorokovska. Die 31-Jährige trainiert die U 17 von Blau-Weiß Berolina Mitte und spielt selbst in dem Verein. Einem Verein, der „vorbildliche Arbeit“ beim Mädchenfußball leistet, wie Sorokovska sagt. Der Klub stellte zuletzt zwölf weibliche Teams, von den Frauen bis zu den U-9-Juniorinnen. Abteilungsleiter Andreas Weiß habe daran großen Anteil, er habe viele Mädchen für den Verein begeistern können und Strukturen geschaffen. „Bis 2015 gab es nur eine Siebener-Frauenmannschaft. Nun haben wir ein richtiges Team, das in der Berlin-Liga spielt. So bietet man den jüngeren Mädels auch eine Perspektive“, sagt Sorokovska.
Aber auch die Ausbildung bei einem Klub, der sich das Engagement im Mädchenfußball auf die Fahnen schreibt, hat natürliche Grenzen: „Wenn die Mädels in den Leistungssport wollen, dann wechseln sie zu Vereinen wie dem 1. FC Union oder nach Hohen Neuendorf – oder eben in Jungsteams.“ Sorokovska ist als Trainerin selbst ein Unikat, auch im Mädchenfußball. Beim Eignungstest für den B-Lizenz-Trainerlehrgang war sie die einzige Frau von 26 Teilnehmern.
Nur wenige Vereine sind im Mädchen- und Frauenbereich so gut aufgestellt wie Berolina Mitte. Fußball ist männlich, das betrifft laut Lehmann eben auch die Entscheider in den Klubs: „Die Strukturen sind so aufgebaut, dass erst die Jungs kommen und dann die Mädchen, etwa wenn es um Platzzeiten geht.“ Es gebe auch immer Verantwortliche, die sagen, „dass man Mädchenfußball nicht auch noch organisiert kriege“. Zudem sind die Platzzeiten knapp. Das gilt allerdings für Jungs und Mädchen gleichermaßen, sagt Sorokovska. „Das liegt nicht nur an den Vereinen, sondern auch an den Bezirksämtern, die die Plätze zur Verfügung stellen müssen.“
Geeignete Personen, die sich über einen längeren Zeitraum engagieren, suchen viele Klubs händeringend – genauso die Verbände. Beim BFV existiert der Ausschuss für Frauen- und Mädchenfußball erst seit 2017. Dessen Vorsitzende Nadine Fröhnel ist die einzige Frau im gesamten BFV-Präsidium. „Wir wollen auch in den Verbänden mehr Frauen sichtbar haben“, sagt Lehmann.
Berlin aufgrund der Urbanität gut aufgestellt
Frauen und Mädchen zu integrieren, sei speziell für kleine Vereine häufig schwer zu leisten. Das Ziel, flächendeckend Angebote durch ausreichend Mädchenteams zu schaffen, sei wünschenswert, sagt Lehmann. Doch bis zum Erreichen muss noch hart gearbeitet werden – auch wenn Berlin aufgrund seiner Urbanität vergleichsweise gut aufgestellt ist. „Wir haben einen durchgängigen Spielbetrieb von der E- bis zur B-Jugend“, sagt Lehmann, von acht bis 16 Jahren also. Wer danach weiterspielen will, kann sich einem der aktuell 98 Frauenteams anschließen. Zum Vergleich: 2018/19 traten von der Berlin-Liga bis zur Kreisklasse B 327 Männerteams innerhalb des BFV an.
2020 feiert der DFB 50 Jahre organisierten Frauenfußball unter seinem Dach, auch der BFV feiert mit. Doch es klafft noch immer eine riesige Fußball-Lücke zwischen den Geschlechtern. „Wir wollen weitere Projekte anstoßen“, sagt Lehmann. Die Diskussionen beginnen gerade. Ansätze gibt es reichlich: „Man könnte finanzielle Anreize schaffen, so dass Klubs Zuschüsse bekommen, wenn sie Mädchenteams ausbilden“, nennt Lehmann ein Beispiel. Oder es könnte Bedingung für alle Klubs zwischen Bundesliga und Berlin-Liga sein, eben auch eine eigene Mädchenabteilung aufzubauen.
Einige gute Projekte gibt es schon. Bei „Alle kicken mit“ werden Fußball-AGs für Mädchen an Grundschulen, Feriencamps und Turniere veranstaltet. 27 Vereine sind derzeit daran beteiligt. Ein anderes Projekt nennt sich „Junior-Coach-Ausbildung“. 15 bis 16 Jahre alte Mädchen erwerben innerhalb von fünf Wochen Trainerinnenkompetenzen. Im besten Fall leiten sie danach ein E-Jugend-Team. Und im allerbesten Fall übernehmen sie später mal so viel Verantwortung wie Iryna Sorokovska oder Christine Lehmann.