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Im Nebel. Von Herthas Offensive mit Davie Selke war im Derby wenig zu sehen.
© imago images/Nordphoto

Die Probleme von Hertha BSC im Offensivspiel: Wie ein Goldfisch unter Riesenwelsen

Viel trainiert, nichts passiert: Hertha BSC offenbart bei der Derbyniederlage gegen den 1. FC Union bedenkliche Schwächen im Offensivspiel.

Als alles eigentlich schon zu spät war, schien der Plan doch noch aufzugehen, zumindest ein bisschen. Pal Dardai brachte einen neuen Stürmer, und plötzlich wurde es tatsächlich wild auf dem Feld.

Aber es waren nur noch wenige Minuten zu spielen, als Dardai, der Trainer von Hertha BSC, Davie Selke auf den Platz schickte; und wild wurde es vor allem deshalb, weil sich Selke, offenbar im Glauben, in einem Derby müsse es ordentlich hitzig zugehen, in irgendwelche Scharmützel mit Spielern des 1. FC Union stürzte. Irgendwo im Mittelfeld und fernab des gegnerischen Tores.

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Im eigentlichen Kerngeschäft eines Stürmers blieb auch Selke wirkungslos, aber damit stand er in diesem für Hertha ernüchternden Derby nicht allein. Im Laufe des Spiels hatte Dardai jeden verfügbaren Offensivspieler eingewechselt: erst Ishak Belfodil, dann Jurgen Ekkelenkamp und Kevin-Prince Boateng, schließlich Dennis Jasztrembski und kurz vor Schluss eben auch Selke. Der Effekt aber war gleich null. „Das Offensivspiel hat mir gar nicht gefallen“, sagte Dardai. „Da war nichts, kein Eins-gegen-eins, kein Torschuss.“

Am Ende stand für Hertha eine 0:2-Niederlage in der Alten Försterei, bei der die Null stimmiger war als die Zwei auf Seiten von Union. Die Köpenicker hatten jenseits ihrer beiden Tore noch eine ganze Reihe weiterer guter Chancen, einen Lattentreffer des eingewechselten Sheraldo Becker zum Beispiel. Hertha hatte: nichts.

Am Ende wies die Expected-Goals-Statistik für die Gäste einen Wert von 0,28 aus. Aus sämtlichen Versuchen Herthas hätten statistisch gesehen also 0,28 Tore resultieren sollen. Wobei Versuche vielleicht nicht der richtige Begriff ist.

Bis zum ersten und einzigen ernstzunehmenden Torschuss dauerte es fast 40 Minuten. Er kam von Peter Pekarik, Herthas Rechtsverteidiger. Der Ball flog am Pfosten vorbei. Von all den Stürmern und ausgebildeten Offensivspielern, die Dardai im Laufe des Spiels auf Feld schickte, kam hingegen: nichts.

„Sagt mal, welcher Offensivspieler war gestern gut bei uns? Wer hat mal einen oder zwei ausgedribbelt?“, frage Dardai am Tag nach dem Spiel in einer Medienrunde. Eine Antwort erwartete er nicht. „Der letzte Pass, der vorletzte Pass, die letzte Konsequenz waren nicht da“, klagte der Ungar.

Union verteidigte alles problemlos weg

Selbst als für Hertha in der Schlussphase alle verfügbaren Offensivkräfte auf dem Rasen standen, „haben wir keine Unordnung beim Gegner geschaffen“. Union, ohnehin eine der defensiv stabilsten Mannschaften der Liga, konnte die Dinge ohne größere Probleme wegverteidigen.

„Wir haben letzte Woche nur offensiv geübt, sehr viele Abschlüsse gemacht, trotzdem hast du nicht sehr viel gesehen“, sagte Dardai. Bei der defensiven Stabilität hat seine Mannschaft zuletzt erkennbar Fortschritte gemacht, mit der Offensive hingegen tut sie sich weiterhin schwer.

In den vergangenen sieben Ligaspielen hat Hertha nur fünf Tore erzielt; mehr als zwei waren es sowieso nur beim 3:1-Erfolg gegen den Aufsteiger Bochum. Die besten Torschützen des Teams sind Marco Richter, Suat Serdar, Jurgen Ekkelenkamp und Stevan Jovetic. Alle haben nach zwölf Spieltagen je zweimal getroffen.

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Dardai verfügt in der Offensive durchaus über Möglichkeiten. Mit Selke, Jovetic, Belfodil und Krzysztof Piatek stehen ihm unterschiedliche Stürmertypen für unterschiedliche Spielsyteme zur Verfügung. Was ihm fehlt, ist ein klarer Fixpunkt im Angriff, wie es noch in der vorigen Saison Jhon Cordoba war.

Vor allem gegen Union fehlte ein Typ wie Cordoba; jemand, der auch in Bedrängnis angespielt werden kann, der sich und die Bälle behauptet. Krzysztof Piatek war mit dieser Rolle eindeutig überfordert. Im Kampf mit den drei Kanten aus Unions Innenverteidigung wirkte er wie ein Goldfisch unter Riesenwelsen.

Maolida blieb aus disziplinarischen Gründen draußen

Möglicherweise fehlt Hertha nicht der Plan. Möglicherweise fehlen Hertha die Mittel, um den Plan in die Tat umzusetzen. Dardai beklagte vor allem den Ausfall seines Zehners Vladimir Darida, der wohl auch am Samstag gegen den FC Augsburg nicht zur Verfügung stehen wird. Auch Stevan Jovetic, nach seiner Coronainfektion noch nicht wieder freigetestet, hätte seiner Mannschaft vermutlich helfen können. „Er kann den Ball halten, die Mannschaft kann nachschieben. Er kombiniert“, sagte Dardai. Dazu verzichtete er gegen Union aus freien Stücken auf Myziane Maolida, der sich wohl eine disziplinarische Verfehlung geleistet hat. Der Franzose wisse selbst, warum er nicht gespielt habe, erklärte Herthas Trainer.

Dardai ist weiterhin der Ansicht, dass sich seine Mannschaft auf einem guten Weg befinde. „Wir müssen uns heute für die Leistung auch nicht schämen. Von der Statistik her war das überhaupt nicht schlecht“, sagte er nach dem Spiel in der Alten Försterei.

Die Mannschaft tut, was sie kann, aber Glanzleistungen und fußballerische Offenbarungen kann sie eben nicht. Auch die nächsten Wochen könnten also zeitweise zäh werden. „Wir müssen uns erst mal finden, eine Achse bauen. Das dauert“, hat Pal Dardai am Samstag noch einmal erklärt. „Ich habe schon gesagt: Ich bin kein Wundertrainer.“

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