Turner Philipp Herder bangt um Olympia: Wie das Coronavirus Lebensträume zerstören kann
Der Turner Philipp Herder hat ein großes Ziel: Olympia. Doch nun droht die Absage. Der Sportler tut sich sehr schwer mit dem Schwebezustand.
Mit Schwebezuständen kennt sich der Turner Philipp Herder gut aus. Sie sind Teil seiner sportlichen Beschäftigung. Aber diesen Schwebezustand, da redet der Berliner nicht lange drumherum, findet er „einfach nur zum Kotzen“. Herder ist einer der besten Turner Deutschlands und als solcher hat er sich besonders auf dieses Jahr 2020 gefreut. Der 27-Jährige hat gute Chancen, bei den Olympischen Spielen im Sommer in Tokio teilzunehmen. „Damit würde ein großer Traum von mir in Erfüllung gehen“, sagt er.
Doch der Traum droht zu platzen. Ob die Spiele in Japan stattfinden werden, kann im Moment niemand sagen. Das Coronavirus breitet sich aus und macht auch vorm Sport nicht halt. Veranstaltungen werden verschoben oder gleich ganz abgesagt. Das Einzige, was im Moment gewiss ist, ist die Ungewissheit. Immerhin, und das sind für ihn keine guten Nachrichten, weiß Philipp Herder inzwischen, dass der für das kommende Wochenende angesetzte DTB-Pokal in Stuttgart nicht stattfinden wird. „Das ist für uns Turner und für mich persönlich sehr schade.“
Seit Dezember schuftet Herder nahezu jeden Tag im Training für das große Ziel Olympia. Der DTB-Pokal in Stuttgart wäre der erste große Test für die Spiele in Tokio gewesen. Herder, dessen Karriere von schweren Verletzungen überschattet worden ist, befindet sich derzeit in ausgesprochen guter Form. Bei einem Test-Wettkampf vor wenigen Wochen in Kienbaum turnte er, als stünden die Olympischen Spiele unmittelbar bevor. Doch diese sind gefühlt derzeit viel weiter weg als der offiziell immer noch angegebene Beginn am 24. Juli. Mit Herder verhält es sich ein bisschen wie mit einem hochmotivierten Rennpferd, das nicht aus dem Startblock gelassen wird. „Wenn das Ziel vor Augen zu verschwimmen beginnt, zieht einen das schon runter“, sagt er.
Das Virus bedeutet für die meisten Menschen mehr oder minder große Einschnitte in die persönliche Freiheit. Größere Menschenansammlungen sollten gemieden, längere Reisen abgesagt oder Arztbesuche, wenn nicht dringend notwendig, verschoben werden. Für Sportler wie Herder dagegen geht es um Lebensträume, die zerstört werden können. „Natürlich bin ich als Sportler erst recht betroffen. Das, worauf ich Jahre hingearbeitet habe, steht auf der Kippe“, sagt er.
"Dann wäre das harte Training für die Katz"
Vor vier Jahren war Herder bereits Teilnehmer bei den Olympischen Spielen. Damals in Rio de Janeiro allerdings nur als Ersatzmann. Das olympische Motto „Dabei sein ist alles“ traf auf ihn nur bedingt zu. Herder war eher so halb dabei. Deswegen kniete er sich umso mehr rein, um dieses Jahr in Japan auch aktiver Olympiateilnehmer zu sein. „Sicher wäre das ein i-Tüpfelchen auf meine sportliche Karriere“, sagt er. „Falls es nicht klappen sollte, wäre das viele harte Training darauf für die Katz.“
Die Hoffnung, dass die Olympischen Spiele trotz des Virus stattfinden werden, hat Herder noch nicht verloren. Es schimmert seine geplagte Sportlerseele durch, wenn er sagt, dass er die Vorsichtsmaßnahmen „teilweise für übertrieben halte“. Er sei kein Virologe, sagt er, aber es werde bestimmt eine Immunisierung einsetzen und im Sommer sei das Immunsystem vielleicht nicht mehr so geschwächt. „Dann wird sich hoffentlich alles beruhigen.“ Es sind fromme Wünsche, nach Lage der Dinge sind sie nicht allzu realistisch.
Bis Mai werden sich die Olympia-Organisatoren wohl noch Zeit lassen mit der Entscheidung, ob die Spiele stattfinden oder nicht. Das Problem ist aber jetzt schon, dass die meisten Olympia-Qualifikationswettkämpfe in sämtlichen Sportarten abgesagt oder verschoben worden sind. Völlig unklar ist auch, ob die Finals Rhein-Ruhr, die Meisterschaften in 20 Sportarten, am ersten Juni-Wochenende abgehalten werden können. Falls nicht, ist unter anderem auch das Turnen betroffen. Und vom Abschneiden an den Meisterschaften im Turnen wie in den meisten anderen Sportarten hängt wesentlich die Olympia-Qualifikation ab.
Doch Prognosen in jedwede Richtung sind schwierig. Die Option, Olympische Spiele vor leeren Rängen auszutragen, findet Herder wenig erbaulich. „Das Publikum gibt einem den gewissen Push. Und letztlich macht man das alles ja auch, um sich anderen zu zeigen“, sagt er. Philipp Herder spricht da ganz vielen Sportlern aus der Seele.