Bundesliga: Werder Bremen hat den Spagat nicht hinbekommen
Werder Bremen war zu Beginn der 2000er-Jahre der größte Rivale vom FC Bayern München. Am Samstag reisen die Bremer als Tabellenletzter nach München. Um wieder zu alter Stärke zu finden, denkt die Vereinsführung mittlerweile über eine "nicht zu umfangreiche Verschuldung" nach.
Vor ein paar Wochen, Anfang September, war die Werder-Welt ausnahmsweise mal in Ordnung. Ailton, der frühere Torjäger von Werder Bremen, hatte zu seinem Abschiedsspiel geladen. Der "Kugelblitz" heulte wie ein Schlosshund, vor Rührung, und viele Zuschauer verdrückten ebenfalls ein paar Tränen. Es war ein schöner Abend, man schwelgte in Erinnerungen an glorreiche Zeiten. Aktuell ist vielen Werder-Fans ebenfalls zum Heulen, aber nicht weil sie etwas anrührt, sondern weil der einstige Dauergast in der Champions League mittlerweile in der Bundesliga Tabellenletzter ist. Seit rund einer Woche überschlagen sich zudem die Ereignisse, die letztendlich in der Entmachtung des Aufsichtsratsvorsitzenden Willi Lemke und der Inthronisierung seines Nachfolgers Marco Bode gipfelten.
Um den Absturz jenes Klubs nachzuzeichnen, der einmal der ärgste Rivale von Rekordmeister FC Bayern München war, muss man ein paar Jahre zurückschauen. Man muss daran erinnern, dass dem ehemaligen Sportdirektor Klaus Allofs irgendwann sein feines Näschen abhanden gekommen war, mit dem er Werder zu Beginn der 2000er-Jahre zu einer großen Nummer gemacht hatte. Statt Strategen wie Johan Micoud oder Zauberer wie Diego verpflichtete Allofs irgendwann für teures Geld Flops wie Carlos Alberto oder schwer erziehbare Spätpubertierende wie Marco Arnautovic.
Ohne die Mehreinnahmen aus dem europäischen Wettbewerb geriet Werder Bremen in finanzielle Schwierigkeiten
Trainer Thomas Schaaf ließ weiterhin munter nach vorne stürmen, während die Abwehr traditionell wackelte. Das war egal, so lange Werder noch Stürmer wie Miroslav Klose oder Ailton hatte. Damals gingen die Werder-Spiele eben 5:4 oder 6:3 aus. Für dieses offensive Fußballspektakel haben nicht nur Bremer den Klub geliebt. Aber weil Werder zusehends die Balance zwischen Offensive und Defensive abhanden kam, stürzte der Klub bereits in der Saison 2010/11 in den Tabellenkeller. Irgendwann, allerdings viel zu spät, hatte man dann auch an der Weser erkannt, dass man so nicht weiter machen konnte. Ohne die Mehreinnahmen aus dem europäischen Wettbewerb geriet der Klub in finanzielle Schwierigkeiten, der Kader war längst zu teuer geworden.
Es galt, den Spagat zu bewerkstelligen, zu sparen und gleichzeitig sportlich konkurrenzfähig zu bleiben - um eben irgendwann wieder die Mehreinnahmen aus den europäischen Spielen zu generieren. Werder hat den Spagat nicht hinbekommen. Der Klub mutierte immer mehr zu der grauen Maus, die Robin Dutt im Sommer 2013 übernahm, nachdem Werder Bremen sich zuvor nach 14 Jahren von Schaaf getrennt hatte. Im Februar 2013 hatte bereits Thomas Eichin den Sportdirektor-Posten von Allofs übernommen, der es vorgezogen hatte, beim VfL Wolfsburg die VW-Millionen zu verjubeln.
Schulden zu machen war bei Werder Bremen stets tabu
Werder Bremen schreibt seit Jahren Rote Zahlen und fährt inzwischen einen rigiden Konsolidierungskurs, Neuzugänge dürfen möglichst nichts kosten, Schulden zu machen war stets tabu. Eichin lobt sich selbst für seine cleveren Transfers, die sportlich allerdings kaum weiterhelfen. Dutt lobt die Mannschaft für ihre Mentalität, eine sportliche Weiterentwicklung unter ihm sehen die wenigsten in Bremen und stimmen in Umfragen schon mehrheitlich gegen den Trainer ab. Noch heftiger in die Kritik geraten war jedoch der Aufsichtsratsvorsitzende Willi Lemke, bereits zu Otto Rehhagels Zeiten Manager des Klubs. "Totengräber" nannten sie ihn schon an der Weser. Weil er aus Spargründen dringend notwendige Transfers verhindert hatte wie zuletzt bei Costa Ricas Regisseur Bryan Ruiz.
Ausgerechnet das langjährige Vorstandsmitglied Klaus-Dieter Fischer, der den Anti-Schulden-Kurs mitbestimmt hat, dachte nun vor wenigen Tagen laut über eine "nicht zu umfangreiche Verschuldung" nach und brachte damit den Stein ins Rollen. Einige Unternehmen hatten offensichtlich Bereitschaft erklärt, Werder Bremen zu unterstützen, allerdings hatten sie ihre Unterstützung an den Rücktritt Lemkes gekoppelt. Fast gleichzeitig vermeldete Werder Bremen die Verlängerung des Vertrags mit dem Sportrechtevermarkter Infront, in dessen Vorstand Günter Netzer sitzt, bis 2029. Angeblich spült der Deal rund acht Millionen Euro in die Kasse, wobei die Hälfte in die Weserstadion-GmbH fließt und der Abschluss dann doch nicht mehr solch einen "Meilenstein" darstellt, als den ihn die Geschäftsführung verkauft.
Netzer hatte zudem noch einen Ratschlag parat: Werder solle doch bitteschön auf den eloquenten, intelligenten und sympathischen Marco Bode als Lemke-Nachfolger setzen. Werders Rekordtorschütze war bislang einfaches Mitglied im Aufsichtsrat. In den Tagen darauf überschlugen sich die Ereignisse. Zunächst kündigte Lemke an, 2016 zurückzutreten, bald darauf hieß es, er werde seinen Posten "zeitnah" aufgeben. Am Donnerstag schließlich wurde Vollzug gemeldet und Bode erklärte schließlich: "Es ist ein guter Zeitpunkt, mehr Verantwortung für Werder zu übernehmen."
Marco Bode ist zu seiner Zeit als Spieler nicht gerade als Führungspersönlichkeit aufgefallen. Ihn jetzt als Heilsbringer zu feiern wäre naiv. Zumal es nach wie vor Eichin und Dutt sind, die das Tagesgeschäft zu verantworten haben. Und Tore am Fließband, das hat man zuletzt bei Ailtons Abschiedsspiel gesehen, garantiert Marco Bode ja nun auch schon längst nicht mehr.
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