WM 2014: Wer einen Thomas Müller hat, braucht keinen Stürmer
Was wurde nicht diskutiert über Joachim Löws Entscheidung, nur einen gelernten Stürmer mit zur WM zu nehmen. Völlig zu Unrecht, meint unsere WM-Kolumnistin. Denn Thomas Müller erinnert nicht nur ob seines Nachnamens an den "Bomber der Nation".
Als Gerd Müller seine größte Zeit hatte, wurde ich gerade geboren. 1972, als er Europameister wurde, war ich zwei Jahre, als er 1974 Weltmeister wurde, war ich vier. Deswegen kenne ich praktisch alles, was ich vom Fußballer Gerd Müller gesehen habe, aus Filmen oder TV-Beiträgen. „Kleines dickes Müller“ stand immer richtig, drehte sich mit seinen kurzen Beinen und seinem tiefen Schwerpunkt atemberaubend schnell um die eigene Achse und schoss den Ball aus den unglaublichsten Situationen und Lagen ins Tor.
Beim ersten Spiel der deutschen Mannschaft hatte ich den totalen Flashback. Ging Ihnen das nicht genauso? Der Spieler, der mich so sehr an den wohl größten deutschen Stürmer aller Zeiten erinnert, trägt zwar den gleichen Namen und die gleiche Rückennummer, ist aber von der Statur das genaue Gegenteil, nämlich 1,86 Meter groß und hat unendlich lange, schlaksige Beine.
Beide Tore zum 3:0 und zum 4:0 gegen Portugal hätte Gerd Müller genauso schießen können. Was für ein Instinkt, wie Thomas Müller vor dem 3:0 mit dem Fuß in der Luft den Abwehrschlag des Portugiesen blockt, so an den Ball kommt und praktisch in derselben Bewegung den Ball ins Tor schießt. Fast noch mehr Gerd Müller beim 4:0. Patricio, der portugiesische Keeper, kann den Ball nur abprallen lassen, und Thomas Müller macht mit seinen langen Beinen eine blitzschnelle, eigentlich unmögliche Drehschuss-Bewegung – wieder ist der Ball drin. Gerd ist mit Sicherheit sehr stolz auf ihn.
Was war das für eine Diskussion, als Jogi Löw „nur“ Miro Klose und Kevin Volland in den erweiterten Kader berufen hatte und dann auch noch Volland daheim bleiben musste. Schon vergessen schien bei der Diskussion, dass der Mittelfeldspieler Thomas Müller, wie er auch jetzt im offiziellen DFB-Heft geführt wird, schon bei der WM 2010 mit fünf Treffern Torschützenkönig wurde und genauso viele Tore schoss wie David Villa oder Diego Forlán.
Thomas Müller stellt Götze und Özil in den Schatten
Von Thomas Müller können sich einige da vorne bei uns im Team eine Scheibe abschneiden. Wenn Mario Götze, der mit Sicherheit mit einem Funken mehr Talent gesegnet ist, so trainieren würde wie Thomas Müller und wenn es Mesut Özil gelingen würde, die vielen Nebengeräusche des Profifußballs so abzuschütteln wie Thomas Müller und mit breiter Brust auf den Platz zu gehen, dann wäre mir um die Offensive im deutschen Team nicht bange. Beide müssen jetzt bei diesem Turnier noch zeigen, dass sie das drauf haben. Gegen Portugal standen sie eindeutig im Schatten des langen Bayern. Wäre Marco Reus vor der WM nicht dieses Unglück passiert, dann wäre mir heute deutlich wohler um die Torgefährlichkeit im deutschen Team. So kann ich heute nur guten Gewissens sagen: Wer einen Müller hat, braucht keinen Stürmer!
Übrigens, sollten Sie jetzt noch auf die Idee kommen und auf Thomas Müller als Torschützenkönig bei dieser WM wetten wollen, dann wartet auf sie kein großes Geschäft mehr. Lag die Quote in der Regel vor Beginn des Turniers noch bei 25:1 liegt sie jetzt verständlicherweise, nach drei Toren in einem Spiel bei 4:1.
Das wäre gegen Ghana aber dann ein schönes Ergebnis.
Monica Lierhaus ist für ihre Interviewreihe „Meine WM“ für Sky in Brasilien.
Monica Lierhaus