Ultras im Fußball: Wenn das Stadion brennt
Zuletzt ist es wieder öfter zu Ausschreitungen in deutschen Fußballarenen gekommen. Viele Klubs können es nicht verhindern, dass einige Fans immer wieder randalieren. Ein Überblick.
Es ist ein überraschender Schritt, den der Deutsche Fußball-Bund (DFB) am Mittwoch vollzogen hat. Nach den zunehmenden Ausschreitungen in deutschen Fußball-Stadien kommt er der sogenannten Ultra-Bewegung entgegen. Präsident Reinhard Grindel kündigte an, die Kollektivstrafen für Fußballfans vorübergehend aussetzen zu lassen: „Bis auf Weiteres“ wolle man „keine Sanktionen wie die Verhängung von Blocksperren, Teilausschlüssen oder Geisterspielen mehr.“
Niedersachsens Innenminister Boris Pistorius ging noch weiter und regte in einem „Sport Bild“-Interview an, die Pyrotechnik in bestimmten Bereichen eines Stadions zuzulassen. „Zu glauben, das würde die Probleme mit gewaltbereiten Fußballchaoten lösen, scheint mir etwas naiv“, entgegnete ihm Bayerns Innenminister Joachim Herrmann. „ Jetzt gegenüber den gewaltbereiten Ultras die weiße Fahne zu hissen, ist das absolut falsche Signal.“
Pistorius möchte am 11. November einen Fußball-Gipfel in seinem Bundesland abhalten, an dem Profivereine und Fangruppen teilnehmen sollen. Das Bündnis „Pro Fans“ zum Beispiel hat eine Abschaffung der Kollektivstrafen immer zu einer Bedingung für seine Teilnahme an diesem Treffen erklärt. Teile der sogenannten Ultra-Bewegung auf der einen sowie Verbände wie der DFB und die Deutsche Fußball-Liga auf der anderen Seite stehen sich seit Monaten unversöhnlich gegenüber. Wir schauen auf die Vereine, bei denen es in Deutschland besonders problematisch ist.
Hansa Rostock
Die Probleme, die sich beim Pokalspiel gegen Hertha BSC am Montagabend zeigten, sind in Rostock nicht neu. Schon in den 90er Jahren hatte der FC Hansa mit Entgleisungen der Fans zu kämpfen. Nach Ausschreitungen beim Spiel gegen den FC St. Pauli, bei denen ein Spieler verletzt wurde, mussten die Rostocker seinerzeit ins Berliner Olympiastadion umziehen. Noch schwerer fielen im Dezember 2011 und im Januar 2017 die Bilanzen zweier Geisterspiele aus, die den Verein nach schweren Krawallen eine hohe sechsstellige Summe kosteten.
Zudem sorgten Ausschreitungen bei einem Landespokalspiel in Neustrelitz, bei dem auch der Platz gestürmt wurde, für landesweite Schlagzeilen. Den Ultras geht es aber nicht nur um Beachtung durch Pyrotechnik und Gewaltorgien, sondern auch um Vereinspolitik. Seit einer erfolgreichen Kampagne, die den Mitgliederstamm verstärkte, haben sie über die Mitgliederversammlung Einfluss gewonnen und versuchen, die Vereinspolitik stärker mitzustimmen. Nachdem vertraute E-Mails zwischen Vereinsspitze, Investor und Fanszenenführern im Jahr 2015 an die Öffentlichkeit gelangt waren, gab es Indizien dafür, dass die Ultra- Szene direkten Einfluss auf Personalentscheidungen im Klub nimmt.
Hertha BSC
Im Februar dieses Jahres kam es vor dem Bundesligaspiel zwischen Hertha und Eintracht Frankfurt zu einer Massenschlägerei in Moabit. Frankfurter Hooligans waren in kleinen Gruppen mit Privatfahrzeugen und Transportern angereist und fünf Stunden vor Spielbeginn an einem bekannten Treff von Hertha-Ultras an der Beusselstraße aufgekreuzt. Anhänger beider Teams gingen zum Teil mit Schlagwerkzeugen aufeinander los. Es gab sechs Verletzte. Die Polizei nahm 96 randalierende Hooligans beider Fan-Gruppierungen vorübergehend fest. Sie erhielten Platzverweise und ein Stadionverbot für das Bundesliga-Spiel. Kurz zuvor hatte der DFB die Berliner mit einer Geldstrafe von 24 000 Euro belegt. Geahndet wurden zwei Zwischenfälle. Beim Pokalspiel im Oktober 2016 beim FC St. Pauli war im Block der Berliner Pyrotechnik gezündet worden. Zudem war beim Bundesligaspiel in Leipzig kurz vor Weihnachten im Berliner Block Banner mit diffamierendem Inhalt gezeigt worden. „So kann es absolut nicht mehr weitergehen“, sagte Herthas Manager Michael Preetz nach den Vorkommnissen während des Pokalspiels in Rostock. „Es muss zu einem sachlichen Austausch kommen. Denn das, was diese beiden sogenannten Fanlager an Argumenten geboten haben, entbehrt jeglicher Sachlichkeit.“
Eintracht Frankfurt
Die Ultras Frankfurt sind eine der größten Ultra-Gruppierungen Deutschlands, mit einem Kern von 3000 bis 4000 Mitgliedern. Ihr Selbstverständnis ist demnach: Wir sind die Nummer eins in Deutschland – und müssen das auch zeigen. 2011 präsentierten die Frankfurter beim Auswärtsspiel in Dortmund das Banner: „Deutscher Randalemeister.“ Zuletzt fielen sie im April mit dem Spruchband auf: „Für jedes Stadionverbot... Bulle Tod!“ Im August 2016 flogen beim Pokalspiel in Magdeburg Raketen aus dem Frankfurter Block in den der gegnerischen Fans. Seit Jahren muss Frankfurt immer wieder Geldstrafen für die Vergehen der Ultras bezahlen. Auch mit Zuschauer-Teilausschlüssen wurde der Verein schon bestraft. Dennoch distanziert sich der Klub selten komplett von den Ultras. Ihr Einfluss ist offenbar zu groß.
Borussia Dortmund
Dortmunds Fanszene wird seit der vergangenen Saison automatisch mit den brutalen Übergriffen auf Fans von RB Leipzig genannt. Das mag nicht ganz fair sein, weil ja nur ein kleiner Teil an den Übergriffen beteiligt war, zeigt aber, welches Gewaltpotential bestimmte Gruppen aufweisen. Die Anhängerschaft des BVB ist tief gespalten. Dem Großteil an friedlichen Fans, die sich gegen die Krawallmacher aussprechen, stehen zahlenmäßig eher kleine aber einflussreiche, gewaltbereite Ultra-Gruppen gegenüber. An der Spitze steht eine Vereinigung, die sich 0231- Riot nennt und intensivste Gewalttäter in seinen Reihen zählt. Die Gruppe umfasst nur zwischen 40 und 60 Mitglieder, gilt aber als schnell wachsend und extrem einflussreich. So kontrolliert sie etwa welche Banner in der Kurve hängen dürfen.
Viele der Riots haben Stadionverbot, sind also im Stadion kein wirkliches Problem, kontrollieren aber die Areale rund ums Stadion und in der Innenstadt und schüchtern dort Fans ein. Die Vereinsführung befindet sich seit einiger Zeit im stetigen Austausch mit der Ultra-Szene und geht vor allem gegen die rechte Szene auf der Südtribüne vor. Der von Althools, Riots und rechten Fans angerichtete Imageschaden ist trotzdem groß, nicht erst seit dem Leipzig-Spiel.
Dynamo Dresden
Die Ultra-Szene von Dynamo Dresden gehört zu den auffälligsten in Deutschland. Im Mai dieses Jahres verstörte der von den Ultras organisierte Fanauflauf der Dresdner Anhänger in Karlsruhe. Bei dem Auswärtsspiel marschierten 2000 Fans im Camouflage-Outfit unter dem Motto „Krieg dem DFB“ durch die Straßen. Im Stadion verletzten sie 21 Ordner und 15 Polizisten. Seit jeher fühlen sich die Dynamo-Ultras von den Verbänden gegängelt respektive sie schüren nur zu gerne dieses historisch gewachsene Feindbild, um ihren gewalttätigen Protest zu legitimieren. Seit vielen Jahren wiederholen sich die Eskapaden der Dresdner Ultras, auf die mal größere, mal kleinere Strafen von Seiten des DFB folgen.
Den Dresdner Ultras wird häufig insofern Unrecht getan, als sie ausschließlich aus rechtsextremen Gemütern bestehe. Das ist nach einhelliger Meinung der Fanforscher nicht der Fall. Vielmehr sind die Dresdner Ultras inzwischen eine recht heterogene Gruppe, die schlicht Lust auf Gewalt hat. Die Stigmatisierung kommt aber nicht von ungefähr. Noch vor zehn Jahren war es keine Seltenheit, dass dunkelhäutige Spieler von Teilen der Fans rassistisch beleidigt wurden. Und noch immer befinden sich unter den heterogenen Ultras zahlreiche Personen aus der Hooligan-Szene, die rechtsextremen Positionen nahe stehen.
Hannover 96
Es gibt wohl kaum ein besseres Beispiel in der Bundesliga für das angespannte Verhältnis zwischen Verein und Ultras als Hannover 96. Erst im April 2015 hatten beide große Versöhnung gefeiert, nachdem die Lage im Derby gegen Eintracht Braunschweig eskaliert war. Und dann machte jüngst eine Gruppe Chaoten ihrem Ärger gegen Vereinsboss Martin Kind Luft. Es blieb nicht bei Schmähgesängen. Die Folge: Spielabbruch beim Testspiel in England gegen den FC Burnley. Einige hundert Randalierer hatten Sitzschalen aus der Verankerung gerissen und sie in Richtung Burnley-Fans geworfen.
„Ich will sie nicht im Stadion haben. Wir brauchen sie nicht“, sagte Kind nach den Vorfällen. Und die Ultras? Die wollen den Hörgeräte-Millionär nicht in ihrem Verein. Anfang August hatte der Aufsichtsrat zugestimmt, seine Anteile am Fußballgeschäft des Vereins an Kind zu verkaufen. Das Ende der 50+1-Regel in Hannover. Für viele Fans würde das den Ausverkauf ihres Vereines bedeuten. Die Fans haben nun einen Stimmungsboykott beschlossen, der beim Pokalspiel gegen Bonn begann. Ein Banner mit der Aufschrift „Kind muss weg“ hing am Zaun. Sonst nichts. Kein Gesang. Kein Jubel.