Babelsberg gegen Energie Cottbus: Was sich seit dem Skandalspiel verändert hat
Ein Jahr ist es her, dass Fans von Energie Cottbus beim Spiel in Babelsberg mit rechten Parolen auffielen. Seither versucht der Klub etwas zu ändern. Am Sonntag spielen sie wieder gegeneinander.
15 Minuten dauert es, dann fliegen Raketen auf das Spielfeld. „Arbeit macht frei“ und „Zecken, Zigeuner und Juden“ stimmt ein schwarz vermummter Block lautstark an, immer wieder sieht man den Hitlergruß. Dann kommt es zum Platzsturm. Polizisten in Kampfmontur stellen sich in den Weg, setzen Pfefferspray ein. Der Mob reagiert mit Rauchbomben und Pyrotechnik. Das Spiel zwischen dem SV Babelsberg 03 und Energie Cottbus wird unterbrochen, steht kurz vor dem Abbruch. Später wird nur noch vom „Skandalspiel“ die Rede sein, die juristische Aufarbeitung dauert Monate. Der Sport ist an jenem 28. April 2017 nur noch Nebensache. Es sind Bilder, die fassungslos machen. Es sind aber auch Bilder, die ein altes Cottbus-Klischee wieder beleben: Der Verein mit den Nazi-Fans.
„Wir sind kein Nazi-Verein“, sagt Energie-Sprecher Stefan Scharfenberg vor der Neuauflage des Brandenburg-Derbys am Sonntag (13.30 Uhr). „Wir sind Opfer von Menschen, die unseren Klub politisch missbrauchen.“ Er klingt verärgert, schon häufig hat sich der Verein gegen Rechtsextremismus positioniert – trotzdem rufen immer wieder Journalisten an. Seit Jahren kämpft Energie gegen sein schlechtes Image und die Unterwanderung von rechts. 2015 initiierte man die Kampagne „Energie für Toleranz und Vielfalt“. Seit dem Babelsberg-Spiel kooperiert der Verein in Sicherheitsfragen enger mit dem brandenburgischen Innenministerium und dem Verfassungsschutz.
Eine weitere Konsequenz sollte die Schaffung eines Beauftragten für Toleranz und Vielfalt sein. „Das ist im deutschen Profifußball wahrscheinlich einzigartig und wir sind guter Dinge, dass wir die Stelle bald besetzen können“, sagt Scharfenberg. Denn dass es ein rechtes Problem gebe, will er gar nicht abstreiten. Von 252 gewaltbereiten oder gewaltsuchenden Energie-Fans ging das brandenburgische Innenministerium im vergangenen Sommer aus. Scharfenberg rechnet nicht damit, dass die Initiativen kurzfristig alle Neonazis aus dem Umfeld des Vereins vertreiben. „Das ist ja ein politisch-gesellschaftliches Problem, das wir hier in Südbrandenburg haben.“
Ein gesellschaftliches Problem
Was er damit meint, veranschaulicht eine aktuelle Umfrage im Auftrag des RBB. Demnach würde die AfD in Cottbus momentan auf 29 Prozent kommen. Seit Jahren verlassen immer mehr Menschen die strukturschwache Region, die Arbeitslosenquote liegt deutlich über dem Bundesdurchschnitt. Und dann sind da noch die Flüchtlinge, die nach Cottbus gekommen sind. Nachdem einige Migranten Gewalttaten verübt haben, ist die Stimmung in der Stadt aufgeladen. Regelmäßig gehen tausende Menschen auf die Straßen, um gegen Zuwanderung zu demonstrieren. Die Politik schwappt offenbar auch ins Stadion.
„Jeder Verein hat seine Nazis, aber bei uns war irgendwann die professionelle Vernetzung zur lokalen Naziszene unübersehbar“, sagt Anne Weiler, eine von mehreren Betreibern der Facebook-Seite „FC Energie-Fans gegen Nazis“. Weiler heißt anders, will aber aus Sicherheitsgründen anonym bleiben. Seit Jahrzehnten steht sie auf der Tribüne, wenn Energie spielt, auch in Babelsberg war sie dabei. „Neonazis hatten wir immer. In den 90ern war es besonders schlimm“, erinnert sie sich und berichtet von Affenlauten, Homophobie und Antisemitismus in der Kurve.
Mit dem sportlichen Aufstieg in die erste Liga habe sich das Fanverhalten ebenso verbessert, wie es sich mit dem Abstieg in die Regionalliga Nordost wieder verschlechtert habe. Nach dem Skandalspiel von Babelsberg startete Weiler mit Freunden die Seite, inzwischen folgen ihnen über 1000 Menschen, der Verein begrüßt die Initiative. „Wir wollten zeigen, dass bei Energie Cottbus die Mehrheit keine Nazis sind“, sagen die Betreiber der Seite. Sie befürchten eine Negativspirale. Die Presse berichtet über die Rechten im Stadion, dadurch kämen weitere. „Wir wollen kein El Dorado für Nazis werden.“
Es kommen kaum noch Fans
Neben zu vielen rechten Fans, kämpft der Verein auch mit zu wenigen anderen Anhängern. Seit dem Bundesliga-Abstieg vor zehn Jahren schrumpfen die Besucherzahlen kontinuierlich, die Strukturen sind jedoch für den Profifußball ausgelegt. Im Schnitt kommen nur noch 5000 Fans ins Stadion der Freundschaft, das eigentlich 22 500 Zuschauer fasst. Zuletzt verfassten Fansprecher und Verein einen öffentlichen Appel, um mehr Fans anzulocken. „Wenn wir den Aufstieg dieses Jahr nicht schaffen, dann können wir hier die Türen abschließen. Dann ist der Verein am Ende“, glaubt ein langjähriger Fan, der sich noch gut an den Ruhm alter Tage erinnert. Damals schauten Bundeskanzler in der Lausitz vorbei und einmal schickte man gar den FC Bayern mit 2:0 nach Hause. Die Realität sieht derweil anders aus. Die Gegner heißen nun Budissa Bautzen, Germania Halberstadt oder Lokomotive Leipzig.
Immerhin, sportlich läuft es für Cottbus wieder. Gegen Leipzig gelingt am Ostersonntag bei eisigen Temperaturen ein 2:0-Erfolg. Es ist der 20. Saisonsieg bei nur einer Niederlage. Die Tabelle führt Energie mit 15 Punkten Vorsprung an. Sportlich hat die Neuauflage in Babelsberg, die im sicheren Tabellenmittelfeld liegen, kaum Brisanz. Trotzdem will Energie-Kapitän Marc Stein das Spiel nicht politisch betrachten. „Da wird jetzt wieder ein Hype gemacht, dabei ist das ein normales Derby“, sagt Stein nach dem Leipzig-Spiel.
Die Krawalle vor einem Jahr seien „medial aufgebauscht“ worden. Er plädiert dafür, die Fanlager künftig besser zu trennen. Das immerhin wird am Sonntag nicht zum Problem, den per Gerichtsurteil dürfen keine Energie-Fans ins Karl- Liebknecht-Stadion. Doch das nächste Derby steht schon bevor: Im Landespokalfinale treffen beide Teams im Mai aufeinander, nur der Sieger darf am DFB-Pokal teilnehmen – Zuschauer sind dann wieder auf beiden Seiten erlaubt.