Vor dem Rückspiel gegen Ajax Amsterdam in der Champions League: Warum Trainer Pochettino mit Tottenham ins Finale einziehen könnte
Maurizio Pochettino hat aus Tottenham Hotspur ein atemberaubendes Team geformt. Und das, ohne in dieser Saison einen Cent für Transfers auszugeben.
Früher hieß er bei Arsenal-Fans „St. Totteringham’s Day“. Ein Tag am Saisonende, an dem der FC einen besseren Tabellenplatz als sein „torkelnder“ Nordlondoner Rivale Tottenham Hotspur holte. 15 Jahre hintereinander durften die Arsenal-Fans feiern. Doch damit ist in diesem Jahr zum dritten Mal in Folge Schluss.
Ausgerechnet Arsenal hat Tottenham am vergangenen Wochenende einen Gefallen getan. Nachdem die Spurs am Samstag überraschend gegen Bournemouth verloren hatten, mussten sie kurzfristig um ihren Platz unter den Top Vier der Premier League zittern.
Doch dann kam der fünftplatzierte Arsenal am Sonntag nicht über ein Unentschieden gegen Brighton hinaus, und Tottenham konnte aufatmen. Mit drei Punkten Vorsprung und der besseren Tordifferenz ist die Teilnahme an der Champions League auch in der nächsten Saison so gut wie sicher.
Die Ära des „St. Totteringham’s Day“ ist, wie die erfolgreiche Ära Arsene Wengers, nun endgültig vorbei. Mittlerweile ist es Tottenham, das in Nordlondon regiert. Es ist Tottenham, das immer wieder und oft auf Kosten der Rivalen in die Champions League kommt. Es ist Tottenham, das die neutralen Fans mit ihrem jungen Kader und zauberhaften Fußball begeistert. Es ist Tottenham, das an diesem Mittwoch (21 Uhr/live bei Sky und Dazn) bei Ajax Amsterdam die Chance hat, in das Champions-League-Finale einzuziehen.
Talente wie Harry Kane, Harry Winks und Dele Alli überzeugen
Zwar sind die Spurs nach der 0:1-Heimniederlage im Hinspiel Außenseiter, auch gegen das Überraschungsteam aus Holland. Dass mit Harry Kane einer der besten Stürmer der Welt immer noch verletzt fehlt, macht die Aufgabe auch nicht einfacher. Aber trotzdem sollte niemand die Mannschaft von Trainer Mauricio Pochettino abschreiben.
„Wir haben in der Kabine immer eine Mentalität aufgebaut, die gegen die Realität kämpft“, sagte Pochettino nach der Niederlage gegen Bournemouth. „Es war hart, aber am Ende sind wir in einer sehr guten Position.“
In seinen fünf Spielzeiten bei den Spurs hat Pochettino tatsächlich eine Mannschaft entwickelt, die der Realität zu trotzen scheint. In einer Liga, in der Geld über alles herrscht, hat sich Tottenham als eine feste Größe etabliert, obwohl der Klub in dieser Saison keinen einzigen Cent für neues Personal ausgegeben hat. In einem Land, in der junge einheimische Spieler wie Jadon Sancho immer öfter ins Ausland wechseln, um überhaupt Spielpraxis zu bekommen, hat Pochettino auf englische Talente wie Kane, Harry Winks und Dele Alli gesetzt. Und das absolut erfolgreich.
Der kleine Argentinier, der sich zuerst bei Southampton einen Ruf in England erarbeitete, hat aber nicht nur eine tolle Mannschaft aufgebaut, sondern auch dazu beigetragen, dass die früher oft kriselnden Spurs nun eine gewisse Stabilität ausstrahlen. Anders als viele Vorgänger hat der 47-Jährige einen guten Draht zum Vorstandsvorsitzenden Daniel Levy.
„Früher haben die Tottenham-Trainer immer mit Daniel gestritten, nur ich habe mit ihm ein gutes Verhältnis“, sagte Pochettino mit einem Augenzwinkern im Januar. Levy, der als Vorstandschef mit dem Bau eines neuen Stadions den Weg in eine neue Ära geebnet hat, gilt als knallharter Verhandler und schwieriger Chef. Pochettino falle es aber „überhaupt nicht schwer“, mit ihm zu arbeiten.
Zur nächsten Saison wird investiert
Auch deswegen bleibt es unwahrscheinlich, dass Pochettino bald zum Rekordmeister Manchester United wechselt, wie immer wieder kolportiert wird. Die Stabilität und das Vertrauen, die er unter Levy genießt, wäre unter der launischen United-Führung kaum möglich. Zwar hätte er am Old Trafford mehr finanzielle Möglichkeiten, aber Geld ist – gerade für Pochettino – nicht alles.
Levy hat ohnehin schon versprochen, dass in diesem Sommer mehr Transfergelder zur Verfügung stehen werden. Aber auch in dieser Saison, in der es keine Zugänge und mit der Verzögerung der Stadioneröffnung jede Menge Unruhe gab, hatte Pochettino es geschafft, so erfolgreich wie nie spielen zu lassen.
„Vor zehn Monaten sagten viele Leute, dass es für uns eine schwierige, schreckliche Saison werden würde“, sagte er am Wochenende. „An die erste Mannschaftsbesprechung der Saison werde ich mich immer erinnern. Die Spieler waren gerade von der WM zurückgekehrt und ich sagte: Wir fangen jetzt von Null an. Es wird schwierig, und wir werden kämpfen müssen.“ Doch nun steht sein Team im Champions-League-Halbfinale
Schon immer haben Pochettinos Spurs atemberaubenden Fußball gespielt, aber so langsam färbt auch sein Kampfgeist auf die Mannschaft ab. Das zeigte sich etwa im Viertelfinale gegen Manchester City, als die offensichtlich erschöpften Spurs das wohl formstärkste Team der Welt bezwang.
Früher war es nicht so. Als Arsenal damals „St. Totteringham’s Day“ feierte, sagten die Spurs-Fans immer mit Achselzucken: „Typisch Spurs.“ Am Ende der Saison so nah vor dem Ziel noch zu scheitern, galt als charakteristisch für Tottenham. Pochettino hat das geändert. Deshalb ist es gut vorstellbar, dass seine Mannschaft auch den 0:1-Rückstand bei Ajax dreht und ins Finale einzieht. Denn die Mannschaft ist das Kämpfen gewöhnt – auch, wie der Trainer selbst sagt, gegen die Realität.
Kit Holden