Er kann es nicht lassen: Warum Trainer Aito Garcia Reneses bei Alba Berlin bleibt
Er könnte längst das Leben genießen. Doch Aito Garcia Reneses bleibt aus guten Gründen der Cheftrainer von Alba Berlin. Eine Würdigung.
Aito Garcia Reneses hätte es auch leichter haben können. Er hätte sich nicht noch einmal dem Stress aussetzen müssen, den das Leben als Basketballtrainer so mit sich bringt. Aber Reneses bleibt eine weitere Saison der Chefcoach von Alba Berlin.
Schon vor ein paar Jahren hatte Reneses eigentlich alles erreicht, was es als Basketballtrainer in Spanien so zu erreichen gibt. Er hatte sich den Ruf erarbeitet, der Entdecker und Förderer einiger der größten Spieler zu sein, die der Kontinent jemals hervorgebracht hat. Er hatte einen Haufen nationale wie internationale Titel gewonnen. Er hatte individuelle Auszeichnungen eingeheimst. Und mit dem Nationalteam hatte er bei den Olympischen Spielen 2008 sogar das Über-Team aus den USA an den Rand einer Niederlage gebracht.
Reneses hätte sich damals zur Rente setzen und in Barcelona einen gemütlichen Lebensabend verbringen können. Wollte er aber nicht. Reneses suchte noch einmal eine neue Herausforderung und wagte im Alter von 70 Jahren das erste Mal den Schritt heraus aus Spanien: Sportdirektor Himar Ojeda sowie Geschäftsführer Marco Baldi überzeugten ihn von einem Wechsel nach Berlin.
Zwei Jahre ist das inzwischen her. In der Zwischenzeit hat Reneses seine Philosophie auf den gesamten Verein übertragen. Alba Berlin spielt schnell, frei, flüssig und mitunter waghalsig. Junge Nachwuchsspieler werden wie selbstverständlich in die Rotation eingebunden, auch wenn die Spiele auf der Kante liegen. Und nebenbei erreichte er mit seinen Teams in dieser Zeit fünf von sechs möglichen Endspielen – nur ein Titel wollte dabei nicht herausspringen.
Das Augenlicht machte Probleme
Aito Garcia Reneses hätte es leichter haben können. Auch jetzt wieder. Sein Vertrag war nach der vergangenen Spielzeit ausgelaufen, langsam machte sich das Alter bemerkbar. Das Augenlicht bereitete ihm Probleme. In den letzten Saisonspielen trug Reneses deshalb eine Baseball-Cap, die ihn vor dem gleißenden Licht in den Arenen schützen sollte. Eine Operation war nach diesen zwei Jahren unumgänglich. „Ich habe es sehr genossen, in diesen beiden Saisons der Trainer zu sein“, sagte er nach dem letzten verlorenen Finalspiel gegen Bayern München. „Ich bin in Berlin und bei Alba sehr glücklich gewesen.“ Das klang nach Abschied.
Und wohl niemand hätte es dem Trainer übelgenommen, hätte er nun einen Schlussstrich gezogen und sich fortan darauf konzentriert, noch mehr Vögel und Architektur für seinen Instagram-Account zu knipsen. Oder was man als 72-jährige Trainerlegende nach der Karriere sonst so macht. „Ich muss erst noch ein paar persönliche Dinge mit dem Klub klären“, sagte er damals und verschwand dann wochenlang nach Barcelona, um dort die Operation hinter sich zu bringen und sich zu erholen.
„Aito ist der perfekte Trainer für die Philosophie, die wir implementieren wollen“, hoffte Sportdirektor Ojeda weiter auf eine Rückkehr des Spaniers. „Er passt perfekt zu unserer gewünschten Spielweise und zur Entwicklung unserer jungen Spieler.“ Bis zuletzt verzichtete er deshalb darauf, sich mit neuen Trainerkandidaten zu unterhalten. Doch auch seine anfängliche Zuversicht wich zunehmend, je länger Reneses’ Entscheidung auf sich warten ließ.
Er war immer in die Planung einbezogen
Der Kader musste zusammengestellt werden. Ojeda blieb mit Reneses in Kontakt, der war stets über alle Entscheidungen informiert und in die Planungen einbezogen. Am Ende stand ein Team, das in der kommenden Saison auch in der Euroleague, im höchsten europäischen Wettbewerb mithalten soll. Nur der Trainer fehlte.
Aito Garcia Reneses hätte es leichter haben können. Er hinterließ ein bestelltes Feld; ein neuer Coach hätte das fortführen müssen, was er in den letzten zwei Jahren geschaffen hatte. Reneses hätte guten Gewissens abtreten können.
Doch am Ende siegte dann offensichtlich noch einmal die Lust auf die Herausforderung. Reneses wird Alba auch in der kommenden Saison trainieren. Er wird wie die Ruhe selbst auf seinem Platz sitzen und nur in den seltensten Fällen aufspringen. Er wird genüsslich an seiner Wasserflasche nippen und nur dann eine Auszeit nehmen, wenn es wirklich nicht mehr anders geht. Und er wird sich wieder über die vielen Spiele und die geringe Zeit zum Trainieren beschweren. Doch diese Herausforderung hat er sich selbst gewählt. Er hätte es auch leichter haben können.
Leonard Brandbeck