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Held in Rot-Weiß. Rafal Gikiewicz hatte großen Anteil an Unions erstem Aufstieg im vergangenen Jahr.
© imago images/Contrast

Der Publikumsliebling muss gehen: Warum Rafal Gikiewicz für Union so wichtig war

Liebling Köpenick: Rafal Gikiewicz ist kein perfekter Torwart, aber mit seiner Mentalität war er von großem Wert für den 1. FC Union. Nun verlässt er den Klub.

Es gab in der jüngeren Geschichte des 1. FC Union den einen oder anderen Spieler, der fast im Vorbeigehen zur Vereinslegende wurde. Steffen Baumgart, der heutige Trainer des SC Paderborn, gilt zum Beispiel immer noch als Fußballgott an der Alten Försterei, obwohl er nur zwei Jahre dort gespielt hat. In normalen Zeiten wären Baumgart und Paderborn an diesem Wochenende in Köpenick zu Gast gewesen: eine emotionale Rückkehr am 32. Bundesliga-Spieltag. Aber dieser Spieltag findet nicht statt. Stattdessen dreht sich gerade alles um einen anderen Unioner, der in nur zwei Jahre zum Publikumsliebling geworden ist: um Rafal Gikiewicz.

Am Donnerstag gab Union bekannt, dass der Verein und sein polnischer Torhüter am Ende dieser Saison getrennte Wege gehen. Dem 32-Jährigen werde kein neuer Vertrag angeboten, nachdem er das neueste Angebot abgelehnt hatte, hieß es. Besonders überraschend kam die Meldung nach den sich über Monate hinziehenden Verhandlungen nicht mehr. Für viele in Köpenick war sie trotzdem schwer zu verkraften.

„Ich werde für immer einer von euch bleiben!“, schrieb Gikiewicz auf Twitter in einem Abschiedsbrief, in dem jeder zweite Satz mit einem Ausrufezeichen endete. Nicht umsonst haben sich die Fans in diesen exzentrischen Torwart wie in kaum einen anderen aktuellen Union-Spieler verliebt.

In der traumhaften Saga der vergangenen beiden Jahre hat Gikiewicz eine Hauptrolle gespielt. 59 Ligaspiele hat er für Union absolviert, dabei 21 Mal die Null gehalten. Der Verein bescheinigte ihm daher einen „großen Anteil am Aufstieg und dem bislang guten Abschneiden in der Bundesliga“.

"Ich bin nicht Robocop"

Ein perfekter Torhüter ist Gikiewicz nie gewesen. Mag er oft durch seine Heldentaten aufgefallen sein, so gab es auch immer wieder Momente, in denen Gikiewicz sehr menschlich erschien. Oder wie er selbst nach einem teuren Fehler gegen Werder Bremen zu Beginn der Saison gesagt hat: „Ich bin nicht Robocop.“

Das muss man in der Regel auch nicht sein, um Fanliebling zu werden. Gikiewicz wird in Köpenick vor allem für seinen Charakter geschätzt, den er selbst als „positiv verrückt“ beschreibt. Er ist ein moderner Musterprofi, der keinen Alkohol trinkt, aber auch ein wilder, vor Selbstbewusstsein strahlender Kämpfer, der gerne über sich in der dritten Person spricht.

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„Es gibt nicht mehr so viele Charaktere wie mich, die noch eine echte Fußballermentalität haben“, sagte der 32-jährige dem Tagesspiegel im vergangenen Sommer. Diese Mentalität hat wesentlich dazu beigetragen, dass es Union vor einem Jahr durch die zermürbenden letzten Wochen des Aufstiegskampfes geschafft hat. Ohne ihn wäre es im April 2019 wohl zu einer entscheidenden Niederlage gegen Greuther Fürth gekommen. Ohne ihn wäre der VfB Stuttgart im Relegationsrückspiel schon nach drei Minuten in Führung gegangen. Verrückt musste er manchmal auch sein, zum Beispiel als er 2018 ein spätes Ausgleichstor gegen Heidenheim köpfte.

Der schillernde, graue Blick in Richtung Fankurve hätte wohl selbst einen wilden Stier aufgehalten. Auch im November des vergangenen Jahres wirkte er wie leicht besessen, als er in der überhitzten Atmosphäre nach dem Derbysieg gegen Hertha BSC vermummte Union-Ultras zurück in die Kurve schickte. Die Bilder gingen um die Welt, aber auch im Stadion wurde er für seine Intervention gefeiert. Als die Vermummten wieder auf der Tribüne verschwanden, schallten von der Gegengeraden Gikiewicz-Rufe.

Nicht alle fanden die Aktion so toll, aber auch das gehört zum Charakter des Polen: Er ist trotzig, spricht nicht nur in Floskeln und sagt seine Meinung offen. Als Unions Fanszene die erste Bundesligasaison der Vereinsgeschichte mit einem Schweigeprotest gegen RB Leipzig beginnen wollte, stellte sich Gikiewicz klar dagegen. Dass das keine populäre Meinung war, hat ihm langfristig keiner übel genommen.

Kann Moritz Nicolas sein Nachfolger werden?

Genau wie es ihm jetzt wohl keiner übel nehmen wird, dass er zu einem späten Höhepunkt seiner Karriere noch einmal einen möglichst lukrativen Vertrag abschließen möchte. Bei Union geht das nicht: Der Verein kann gerade in der Coronavirus-Krise seinen finanziellen Rahmen nicht sprengen und hat in Moritz Nicolas, Leihspieler von Borussia Mönchengladbach, schon einen potenziellen Nachfolger unter Vertrag.

Wohin es Gikiewicz verschlägt, ist noch offen. Vom Hamburger SV war in den vergangenen Tagen die Rede. Das angebliche Interesse von Hertha BSC aber hat es wohl nie gegeben. Eines ist klar: Vor vollen Rängen in der Alten Försterei wird sich Gikiewicz nun nicht mehr verabschieden können. Sein Name wird im Stadion auch nicht mehr gerufen werden. Wenn die Fans wieder auf der Waldseite stehen dürfen, wird der Publikumsliebling längst weg sein. Aber so ist es halt: Manche Fußballgötter hat man nicht für ewig, sondern nur für zwei Jahre.

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