zum Hauptinhalt
Frank Schmidt, Trainer vom 1. FC Heidenheim, gibt Anweisungen. Der Zweitligist schafft mit vergleichsweise wenigen Mitteln unheimlich viel.
© imago/Eibner

Sport und Intelligenz: Warum Profifußball etwas für kluge Köpfe ist

Dumm kickt gut? Dieses Vorurteil stimmt nicht. Das beweisen ein Zweitligaklub und Wissenschaftler aus der Kognitionsforschung.

Den Spruch, dass dumme Menschen besonders gut Fußball spielen können, kennt natürlich auch Frank Schmidt. Er hat immer gewusst, dass das nur Quatsch sein kann. Schließlich war er selbst ein guter Fußballer, so gut sogar, dass es für den Profifußball, immerhin für die zweite Bundesliga, gereicht hat. Schmidt wusste aber auch, dass an jedem Spruch ein Körnchen Wahrheit dran ist und dass der Kopf im Fußball lange Zeit in erster Linie zum Köpfen benutzt wurde – und weniger zum Denken.

Schmidt, dessen Profikarriere als Spieler vor etwa 20 Jahren begann, hat diese Zeiten noch erlebt. Als der Kopf zum Köpfen da war, als das Training, wie er heute sagt, „aus stupiden Endlosschleifen bestand“, als es in der Regel eine taktische Grundformation gab und als Fußball vor allem noch mit den Füßen gespielt wurde.

Frank Schmidt ist mittlerweile der dienstälteste und – gemessen an den ihm zur Verfügung stehenden Mitteln – wohl der erfolgreichste Trainer im deutschen Profifußball. Der 43-Jährige hat den Provinzverein 1. FC Heidenheim in zehn Jahren von einem Oberligisten zu einem ambitionierten Zweitligisten geformt. Schmidt hat früher als viele andere auf die Komponente Kopf im Fußball gesetzt. Er sagt: „Ohne das Denken geht nichts mehr im Fußball.“

Fußball war nichts für Feingeister

Fußball und Denken, das waren zwei Begriffe, die sich in der breiten Wahrnehmung lange diametral entgegenstanden. Fußball war für viele ein Proletensport, bei dem die Fans schon mal den Kopf ausschalteten. Ein Sport, der gespielt wurde von Spielern, die, so das Vorurteil, besonders gut darin waren, nicht so viel nachzudenken. Dieser Argumentation folgend machte es nur Sinn, dass die besten Fußballer wie etwa Gerd Müller oder Lothar Matthäus ausgebildete Elektriker oder Fliesenleger waren und keine angehenden Akademiker. Fußball war nichts für Feingeister, er war ein verrohter Freizeitspaß allenfalls für die arbeitende Klasse. Nicht nur in Deutschland war das der Fall, sondern überall auf der Welt.

„Dumm kickt gut“, dieser Spruch haftet den Fußballern bis heute an. So gibt es Bücher, deren Inhalt ausschließlich missglückte Fußballeraussagen sind, „Der Jürgen Klinsmann und ich, wir sind ein gutes Trio“, „Egal ob Mailand oder Madrid, Hauptsache Italien“, solche Sprüche. Ziemlich sicher hat man den meisten Fußballern damit Unrecht getan und vermutlich entsprang das Bild vom dummen Fußballer auch dem Argwohn jener, die nicht so begabt waren im Umgang mit dem Ball. Sicher jedenfalls ist, dass dieses Bild heute falscher nicht sein könnte. Dumm kickt nicht gut, gar nicht gut sogar.

"Wer gedankenlos Fußball spielt, der hat es heute sehr schwer im Profibereich"

„Der Fußball hat sich stark verändert“, sagt Frank Schmidt. „Das Spiel erfordert eine bestimmte Intelligenz. Wer die nicht mitbringt, wer gedankenlos Fußball spielt, der hat es heute sehr schwer im Profibereich.“ Schmidt hat wie viele andere Trainer erlebt, wie Fußballer scheiterten, obwohl sie begabter waren als andere, ausgestattet mit mehr Gefühl für den Ball und einer höheren Grundschnelligkeit etwa. Doch das Problem war der Kopf. So gebe es aktuell auch in seiner Mannschaft die gravierendsten Unterschiede im kognitiven Bereich. „Das erlebe ich nahezu täglich im Training“, erzählt Schmidt. „Einer, der alle Übungen, auch kompliziertes Stations-Training, immer versteht, ist Marc Schnatterer. Er hat eine enorm schnelle Auffassungsgabe.“ Schnatterer ist nicht nur Heidenheims bester Spieler, sondern auch einer der besten in der Zweiten Liga. Ist es Zufall, dass der herausragende Spieler in Schmidts Mannschaft nicht unbedingt die schnellsten Beine hat, dafür aber schnell im Kopf ist?

Fußball ist vor allem Denksport

Für Daniel Memmert steht das außer Frage. Der Wissenschaftler hat als einer der ersten in Deutschland erkannt, dass Fußball auch und vor allem Denksport ist. Vor 15 Jahren promovierte Memmert über „Kognitionen im Sportspiel“. Memmert ist nun Institutsleiter und Professor am Institut für Kognitions- und Sportspielforschung an der Deutschen Sporthochschule Köln und einer der führenden Wissenschaftler in diesem Bereich. Er sagt: „In der Fitness ist vieles ausgereizt. Aber nicht im Bereich der Kognition.“

Diese Einschätzung teilen inzwischen fast alle, die im Fußball professionell arbeiten. Deshalb ist Memmerts Expertise auch überall gefragt. Der Kölner Forscher hat Gruppentaktiken und Talentindikatoren entwickelt, die viele Profiklubs anwenden. Die zentralen Begrifflichkeiten in seiner Lehre sind die Spielintelligenz sowie die Spielkreativität. Unter Spielintelligenz versteht Memmert, dass ein Spieler in einer bestimmten Situation, die klare, bestenfalls automatisierte Lösung sucht. Dass er zum Beispiel nicht mehr groß überlegt, wenn er alleine auf den Torhüter zuläuft, sondern sich für eine einstudierte Aktion entscheidet. Schmidt beschreibt das so: „Ein Spieler muss in einer bestimmten Spielsituation die dafür passende Schublade herausziehen können.“

Spielkreativität anzueignen ist die Königsdisziplin

Schmidt wie Memmert sind überzeugt davon, dass die Spielintelligenz schon in sehr jungen Jahren antrainiert werden muss. Wer zu spät damit anfängt, hat keine Chance mehr. So wie es ein Musiker auch nicht mehr auf die großen Bühnen schafft, wenn er nicht schon im Kindesalter täglich übt. „Für den klassischen Garagenkicker muss das erst einmal kein Nachteil sein“, sagt Schmidt. „Nur muss er früh unter Anleitung sein fußballerisches Wissensspektrum erweitern.“ Schmidt benötigt dieses Spektrum von seinen Spielern, sonst kann er sein flexibles und komplexes Spiel mit bis zu fünf taktischen Grundformationen, in denen die Spieler auch auf unterschiedlichen Positionen klarkommen müssen, nicht zur Anwendung bringen.

Aber die Anforderungen an einen Profispieler von heute gehen noch darüber hinaus. Der Fußball beinhaltet ein großes Maß an Unwägbarkeiten, die Spieler sehen sich in jeder Partie mit Problemen konfrontiert, für die es keine einstudierten Lösungswege gibt, keine Schublade, die sie schnell herausziehen können. „Hierfür müssen sie originelle Ideen zur Problemlösung produzieren“, sagt Memmert. Es ist die Königsdisziplin für die Fußballer. Aber wie kann man das trainieren?

„Indem man versucht, das Aufmerksamkeitsfenster der Spieler zu optimieren“, erklärt er. Der Sportwissenschaftler konnte in Studien nachweisen, dass Spielintelligenz und Spielkreativität durch Training signifikant verbessert werden können. Die größten Leistungszuwächse beobachtete Memmert im Kindes- und Jugendalter. „Die Schwierigkeit besteht für einen Trainer darin, dass er das Arbeitsgedächtnis der Spieler nicht mit Anleitungen zuballern darf. Er muss seinen Spielern Freiräume geben, die Platz für kreative Ideen bieten.“ Auch Schmidt sagt: „Ein Spieler muss heute Kreativität mit einem Ziel kombinieren. Wer nur das Standard-Programm abspult, für den reicht es nicht mehr."

Aber heißt das auch, dass ein Profifußballer heutzutage, ganz allgemein betrachtet, intelligent sein muss?

Früher waren Fußballer mit Abitur die Ausnahme, das ist heute anders

„Man muss das auf die kognitiven Fähigkeiten im Bereich des Fußballs reduzieren. Das hat nichts mit dem Intelligenzquotienten zu tun. Allerdings wird ein hoher Intelligenzquotient sicher nicht schaden“, sagt Memmert. Letzteres glaubt auch Schmidt. Er nennt ein konkretes Beispiel aus seiner Mannschaft. „Wenn bei uns mal bei einer Trainingsform durch ständig wechselnde Regeln Chaos ist, dann fragen die Spieler schon mal beim Robert nach, wie es jetzt weitergeht.“ Schmidt meint Robert Strauß, und der Abwehrspieler ist deswegen ein gutes Beispiel, weil er sein Abitur mit der Traumnote 1,0 abschloss.

Überhaupt hat sich in dieser Hinsicht viel verändert. Während noch vor 20 Jahren ein Bundesligafußballer mit Abitur ein absoluter Exot war, haben nun zwei Drittel der Profis in Deutschland Abitur oder Fachabitur. Das ist zum großen Teil den Klubs geschuldet, die die schulische Ausbildung ihrer Talente stark fördern. Es gibt aber auch Wissenschaftler, die die These vertreten, dass Intelligenz mit den sportlichen Fähigkeiten korrespondiert.

Der Neurowissenschaftler Thomas Schack, der an der Universität Bielefeld den Masterstudiengang „Intelligenz und Bewegung“ leitet, ist sich sicher, dass motorische und kognitive Intelligenz eng miteinander verknüpft sind. Schack verweist auf eine Vielzahl an Studien, die nachgewiesen haben, dass Nachwuchsleistungssportler im Durchschnitt bessere Noten haben als sportlich inaktive Schüler. Er sagt: „Die motorische Intelligenz ist nicht isoliert von der allgemeinen Intelligenz zu betrachten.“

„Vom Erfolg im Sport macht der Kopf 90 Prozent aus“

Dass dem Kopf eine immense Bedeutung zukommt, davon ist auch Sylvain Laborde überzeugt. „Vom Erfolg im Sport macht der Kopf 90 Prozent aus“, sagt er. Laborde arbeitet wie Memmert an der Deutschen Sporthochschule. Sein Themenbereich ist aber ein anderer. Seine Dissertation zum „Einfluss von Emotionen auf die Entscheidungsleistung eines Sportlers“ ist das Standardwerk zum Thema emotionale Intelligenz im Sport.

Seit zehn Jahren nun forscht Laborde dazu. Er hat emotionale Intelligenz mit biologischen Parametern verknüpft, indem er den Herzschlag sowie den Speichel von Sportlern untersuchte. Schlägt das Herz langsamer und ist weniger von dem Stresshormon Cortisol im Speichel, geht dies einher mit weniger Ablenkung und besserer Konzentration auf das Wesentliche. Und genau das versteht Laborde unter emotionaler Intelligenz.

Laborde entwickelte auf der Grundlage dieser Ergebnisse sportartspezifische Fragebögen und einfache Handlungsanleitungen wie Atemübungen für Spitzensportler, um ihre Stresspegel zu senken und ihre emotionale Intelligenz zu verbessern. „Das Ziel ist: Die Spieler sollen sich gar nicht mehr beim Schiedsrichter beschweren, sie sollen sich nicht vom Gegner provozieren lassen, sie müssen Drucksituationen standhalten und die Fehler der Mitspieler verzeihen“, sagt Laborde. Er bekommt immer mehr Anfragen von Profiklubs aus allen Bereichen, aktuell arbeitet er mit einer Mannschaft aus der Bundesliga zusammen. Lediglich 30 bis 50 Prozent seien im Bereich der emotionalen Intelligenz genetisch veranlagt, sagt er. „Den Rest kann man trainieren.“

Auch Frank Schmidt ist sehr offen für die im Profifußball lange verbrämten Bereiche aus der Sportpsychologie. „Wir können es uns nicht leisten, unsere Energie für das Monieren von Schiedsrichterentscheidungen oder den Ärger über Fouls zu verschwenden“, sagt er. In dieser Saison ist das seiner Mannschaft bislang außerordentlich gut gelungen. Der FC Heidenheim führt in der Zweiten Liga die Fairnesstabelle mit den wenigsten Gelben und Roten Karten an. „Wir sind ein kleiner Verein“, sagt Schmidt. „Wir müssen Nischen suchen.“

Frank Schmidt ist fündig geworden. Nicht in den Beinen seiner Spieler, sondern in ihren Köpfen.

Martin Einsiedler

Zur Startseite