Willmanns Kolumne: Worte, wo man nicht erklären kann
Es gibt blöde und richtig blöde Fußballersprüche. Und für manche gibt es sogar einen Preis, wie Frank Willmann in seiner neuen Kolumne zu berichten weiß. Jetzt wurden die Sieger der Saison 2011/2012 ermittelt.
Jedes Jahr aufs Neue kürt die Deutsche Akademie für Fußballkultur den Fußballspruch des Jahres. Diesmal gewann Mehmet Scholl die Krone fußballerischer Spruchweisheit. Am 19. Oktober 2012 überzeugte seine vielschichtige Bemerkung: "Ich hatte zwischendurch Angst, dass er sich wund liegt und mal gewendet werden muss".
Sie bezog sich auf Haareschön Gomez und sein von Experten Scholl als weinerlich empfundenes Betragen anlässlich der Fußball-Europameisterschaft. Er sprach vielen Bundestrainern (vor dem Fernseher) seinerzeit aus dem Herzen. Herrn Scholls Herz war beim Aufsagen des Spruchs keineswegs eine Mördergrube, obwohl sich Herr Gomez inmitten einer solchen wähnte, als ihm Herrn Scholls Expertenmeinung zu Ohren kam. Scholl hauchte die Worte, er freute sich ein bissel über das Gesagte. Noch mehr freute sich der Fernsehsender, da ihm nach Scholls Spruch Deutschland gewiss war. Scholl verdrängte den ganzen vertrackten Politikmurks für zwei Tage aus den Schlagzeilen. Was uns bewegt, sind unsere Füße.
Bevor ich nun die Frage umkreise, warum wir Deutschen uns so gern mit der dürftigen Sprach- und sonstigen Kultur unserer Balltreter plagen, möchte ich noch kurz auf das Ereignis der Inthronisierung des Herrn Scholl als neuen FLK (FußballLaberKönig) eingehen. 294 Weisheiten standen einer Vorabjury zur Auswahl, die daraus zehn Favoriten küren sollte. Aus diesen zehn Favoriten bestimmte letztlich das Publikum der Fußballgala in Nürnberg live den Sieger. Unter den 294 Weisheiten befanden sich Perlen wie: „Ich sage es mal mit einem Spruch aus der Kreisliga A: Am Ende ist der Pimmel dick!“ Lewis Holtby, nachdem Schalke einen 0:2-Pausenrückstand in Mainz noch in ein 4:2 gedreht hatte.
Oder: „Geld ist nicht das Wichtigste für mich, es geht um Fußball.“ Samuel Eto'o, nach seiner Ankunft beim russischen Erstligisten Anschi Machatschkala, bei dem er geschätzte 20 Millionen Euro im Jahr verdient. Oder um mit Ballsack Ballack auf die Frage einer möglichen Versöhnung mit dem DFB und Bundestrainer Löw zu parieren: „Sicherlich wird man zeitnah, in ein paar Wochen, ein paar Monaten oder gar nicht reden“.
Doof sein ist am schönsten, wenn alle anderen auch doof sind
Wunderbare Satzschöpfungen, grazile Wortaneinanderreihungen, die ihre Schöpfer wahlweise als geldgeil oder volltrottelig erscheinen lassen. Doch wie lässt sich unsere Lust an dieser Art von Zeitvertreib erklären? Treibt uns der Drang, unseren Rasengöttern die Maske vom Gesicht zu reißen? Wollen wir Fußballer wieder zu Menschen definieren? Stecken wir ausschließlich mit dem Fußball unter der Bettdecke? Haben wir nichts, was uns Sinn verschafft? Ist das Fußballspiel die einzige Angelegenheit, der wir ernstlich nachgehen?
Die Antwort darauf lautet: Nein! Ja! Neinja und Janein. So oder so, oder umgekehrt.
Es ist die Lust am Schabernack, gepaart mit über- und urmenschlicher Schadenfreude. Plötzlich verschwinden das fette Bankkonto, die Villa an der Elbchaussee samt langbeiniger Spielerfrau. Es bleibt der nackte Mensch, der mit ähnlich minimalistischen Kenntnissen die Klassiker des Alphabets jongliert wie Gerald und Tino von um die Ecke. Dem es gleichsam wie seinen Anhimmlern gelingt, die seriösen Werkzeuge seiner Schulbildung mit unprätentiösen Verlautbarungen zu unterlaufen. Doof sein ist am schönsten, wenn alle anderen auch doof sind.
Der Fußball, der alles ganz groß, aber auch ganz klein machen kann. Das ist befreiend, außerordentlich in verzwickten Lebenslagen. Wenn die Hausfrau knurrt, der Köter zum Zahnarzt muss und die lieben Kinder mal wieder ein neues Mountainbike benötigen. Ignorieren geht über studieren. In solchen Momenten riecht der von weltlichen Dingen geplagte Hausherr gern an seinen Achseln, packt sich in herbstliche Siebensachen und trabt in sein Stadion. Dort trifft er Gleichgesinnte, von einigen kennt er nur den Spitznamen. Je nachdem wird das Sitzkissen oder das Megaphon ausgepackt und König Fußball regiert die Herzen und Hirne.
„Weißt du noch!“ oder „Hast du nicht gesehn!“, sind die tragenden Losungen, während die Mannschaften einlaufen und sich Wärme in unserer Körpermitte breit macht. Der Fußball als ein Refugium des Unmittelbaren. Wo wir anderorts unsere Worte möglichst glatt wählen, um vor devoter Arschkriecherei oder aus angesagten Gründen politischer Korrektheit ja nicht aufs Glatteis zu geraten, leuchtet der Fußball in seiner ganzen geschlechtslosen Reinheit wie Mutter Teresa. Und ich meine nicht Mutter Teresa Orlowski. Die nach einem besonders anstrengenden Arbeitstag einmal geäußert haben soll: „Jeder Mann ist so gut, wie ihn seine Frau macht“. Mutter Teresa Orlowski stammt aus Polen, deutsch ist nicht ihre Muttersprache. Die Vermutung liegt nahe, sie hat etwas ganz anderes ausschwatzen wollen. Die Antwort mein Freund, die bläst dir der Wind (Bob Dylan).
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