zum Hauptinhalt
Identifikationsfigur. Herthas Rekordspieler Pal Dardai schlug als Profi ein Angebot der Bayern aus. Bald will er wieder die Berliner Jugend betreuen.
© imago images / Metodi Popow

Ein Jahr nach dem Bekanntwerden der Trennung: Warum Pal Dardai so gut für Hertha war

Vor genau einem Jahr gab Hertha die Trennung von Trainer Pal Dardai bekannt. Der Klub hatte sich weiterentwickeln wollen, doch die Verbesserung blieb aus.

Der 16. April 2019 ist ein sonniger Frühjahrstag. Auf dem Olympiastützpunkt in Hohenschönhausen bereiten sich die Handballer der Füchse Berlin auf die entscheidenden Wochen der Saison vor. Silvio Heinevetter soll im Interview erzählen, worauf es für sein Team ankommen wird. Der Nationaltorhüter hat sich gerade warmgeredet, als sein Mobiltelefon vibriert. Heinevetter schüttelt den Kopf und fragt: „Stimmt das wirklich? Hat Hertha gerade Pal Dardai entlassen?“ Um dann, ein paar Augenblicke später: „Spinnen die jetzt total?“

Auf der Skala der Emotionen besetzt Heinevetter die Pro-Dardai-Seite. Und selbst nach vorangegangenen fünf Bundesliga-Niederlagen in Folge stellten viele andere Beobachter und Fans Dardais fortwährende Eignung als Cheftrainer der Hertha-Profis nicht in Frage. Es gab aber auch folgenden Tenor: Schade um Dardai, diesen Ur-Herthaner und Menschenfänger, diesen Entertainer und Charismatiker. Natürlich, der Klub habe sich unter ihm stabilisiert, aber eben nicht weiterentwickelt. Insofern sei die Entscheidung nicht nur nachvollziehbar, sondern richtig.

[Mehr guten Sport aus lokaler Sicht finden Sie – wie auch Politik und Kultur – in unseren Leute-Newslettern aus den zwölf Berliner Bezirken. Hier kostenlos zu bestellen:leute.tagesspiegel.de]

Selbst die harte Hertha-Fanszene ist an diesem Tag hin- und hergerissen, man muss fast sagen: gespalten. Manche sind empört: Wie kann man nur? Hat Dardai den Klub nicht fünf Jahre lang so ruhig und sicher durch die Bundesliga manövriert wie kein anderer Coach in der jüngeren Vereinsgeschichte? Die anderen träumen: Kann es ein anderer womöglich besser? Ist Dardai, zu diesem Zeitpunkt dienstältester Bundesliga-Trainer hinter dem ewigen Christian Streich vom SC Freiburg, vielleicht wirklich mit seinem Fußball-Latein am Ende? Können, sollen und müssen die Berliner in Zukunft nicht angriffslustiger, mutiger und offensiver spielen, damit das Olympiastadion eben nicht nur ausverkauft ist, wenn der Gegner München oder Dortmund heißt? Für beide Positionen gab es damals schlüssige Argumente.

Auf den Tag genau ein Jahr später muss man feststellen: Dardais Entlassung am Ende der Spielzeit 2018/19 war der größte Fehler, den die Verantwortlichen bei Hertha BSC hätten machen können, es war gewissermaßen: ihr Kardipalfehler. Seither ging es beim Bundesligisten aus Westend nämlich drunter und drüber, die bereits vor der Coronaviruskrise turbulente Lage erreichte kürzlich ihren vorläufigen Höhepunkt mit der Vorstellung Bruno Labbadias. Der 54-Jährige ist nach Ante Covic, Jürgen Klinsmann und Alexander Nouri bereits der vierte Trainer der laufenden Saison. In der Geschichte der Bundesliga gibt es überhaupt erst drei Vereine, die innerhalb eines Jahres auf mehr Trainer kamen: Kickers Offenbach brachte es in der Saison 1970/71 auf fünf Übungsleiter, ebenso der MSV Duisburg 1977/78 – und natürlich, nicht zu vergessen, Hertha BSC in der Abstiegssaison 2011/12: namentlich Markus Babbel, Michael Skibbe, Rainer Widmayer, René Tretschok und Otto Rehhagel. Allein diese Tatsache verdeutlicht, wie störungsfrei und geordnet es unter Dardais Verantwortung im Kosmos Hertha BSC stets zugegangen ist.

Herthas Rekordspieler ist vor allem: eine Identifikationsfigur

Der Rekordspieler der Berliner war nicht nur oberster und wichtigster Fußballlehrer seines Vereins, er war und ist vor allem: eine Identifikationsfigur. Einer, den man sofort mit Hertha in Verbindung bringt. Einer, nach dem sich die Journalisten-Kollegen bei Auswärtsspielen immer wieder hinter vorgehaltener Hand erkundigten. So nach dem Motto: Der Dardai, das ist schon einer, der verdammt gut zu Hertha passt, dem man die Verbundenheit bei einem kurzen Blick in die Vita abkauft. 1997 ist die Familie aus Ungarn nach Berlin gekommen und hat den Stadtteil Westend seither im Grunde nur für Urlaube, Ausflüge, Trainingslager und Auswärtsspiele verlassen. Auf dem Zenit seiner sportlichen Schaffenskraft schlug Dardai ein Angebot des großen FC Bayern aus und gab dem Rekordmeister einen Korb.

All das spielt im Frühjahr 2019 keine große Rolle mehr: Dardai muss am Saisonende gehen, obwohl sich Manager Michael Preetz und sein wichtigster Angestellter erst wenige Wochen zuvor auf eine Zusammenarbeit für ein weiteres Jahr verständigt hatten, besiegelt angeblich per Handschlag. Es ist ein netter Narrativ, den Hertha in dieser Zeit unter das Volk bringt. Das Problem ist nur: Hinter den Kulissen kriselt es schon länger. Dardai ist nach fünf Niederlagen in Folge und einer mutmaßlich erneut schwachen Rückrunde intern längst nicht mehr unumstritten. Vor allem Preetz will mehr: mehr Spektakel, mehr Tore, mehr Zuschauer, mehr Aufmerksamkeit.

Dardai kann sich eine zeitnahe Rückkehr als Jugend-Trainer vorstellen

Mit dem Abstand von zwölf Monaten erinnert der Fall an das bekannte Märchen vom Fischer und seiner Frau, die nie zufrieden mit dem ist, was sie hat. Als aus ihrer alten Bruchbude eine nette, kleine Hütte geworden ist, verlangt sie plötzlich ein Schloss. Später will die Ilsebill nacheinander König, Kaiser, Papst und schließlich Gott werden. Am Ende muss sie ob ihrer Maßlosigkeit wieder in die armselige Hütte zurückkehren, in der sie bereits zu Beginn der Geschichte lebte. In der Causa Dardai haben die Verantwortlichen bei Hertha BSC eine ähnliche Hybris an den Tag gelegt. Womöglich wissen sie heute, ein Jahr und vier Trainer später, erst so richtig, was sie am allseits geschätzten Pal hatten. Abgesehen von seiner Premierensaison, in welcher der Ungar in allerhöchster Not übernahm, musste sich der Verein nicht einmal mit solch lähmenden und nervenaufreibenden Themen wie dem Abstiegskampf beschäftigen. Zur ganzen Wahrheit gehört allerdings auch, dass Dardai auf den letzten Metern bisweilen erschöpft und müde wirkte, mitunter ungewohnt dünnhäutig. Einem Berliner Journalisten warf er einmal eine zusammengeknüllte Zeitung an den Kopf.

Pal Dardai brachte jedoch eine Eigenschaft mit, die nicht jeder Trainer mitbringt, der in der Öffentlichkeit steht: Wenn man sich mit ihm gezankt hatte, war er nie nachtragend, selbst wenn er sich in der Ehre verletzt fühlte. Genau so verhält sich der 44-Jährige bis heute. Fragen zur damaligen Trennung? Bleiben unbeantwortet. Pal Dardai sagt dazu nur, dass er nichts sagen will. „Ich habe mich zurückgezogen und werde keine Interviews geben. Das solltet ihr doch mittlerweile wissen.“

Immerhin hat der Ungar kürzlich anklingen lassen, dass er sich eine zeitnahe Rückkehr als Jugend-Trainer bei Hertha vorstellen könne, mit den Profis, so scheint es, hat er bis auf Weiteres abgeschlossen. Dabei wäre es sicher spannend zu sehen, was Coach Dardai aus den neuen finanziellen Möglichkeiten des Vereins machen würde. In der Winterpause haben die Berliner bekanntlich 80 Millionen Euro in neues Personal investiert – und damit deutlich mehr als in knapp fünf Jahren unter Pal Dardai als Cheftrainer.

Zur Startseite