Vor dem Grand Prix von Brasilien: Warum Nico Hülkenberg in der Formel 1 vor dem Aus steht
Der deutsche Pilot Nico Hülkenberg wird in der Formel 1 vermutlich keinen neuen Vertrag erhalten. Daran ist er selbst wohl nicht ganz unschuldig.
Planungssicherheit hat viele Vorteile. Wer früh weiß, womit zu rechnen ist, hat in der Regel ein paar Sorgen weniger. Bei Nico Hülkenberg sieht das momentan anders aus. Der deutsche Renault-Pilot ist wohl Verlierer der jüngsten Entwicklungen in der Formel 1. Denn bereits jetzt scheinen alle Cockpits für die kommende Saison vergeben zu sein.
Zuletzt bestätigte Red Bull, dass Alex Albon den Platz neben Max Verstappen behalten darf. Auch Toro Rosso, das 2020 unter dem Namen AlphaTauri antreten wird, macht mit Pierre Gasly und Daniil Kwjat weiter. Bereits direkt nach dem Grand Prix in den USA vor zwei Wochen hatte Alfa Romeo den Vertrag mit Antonio Giovinazzi verlängert, obwohl der Ferrari-Junior die ganze Saison über nicht besonders glänzte.
Eigentlich wäre das eine Chance für Hülkenberg gewesen. Doch der politische Druck von Ferrari auf das Kundenteam Alfa war so groß, dass Teamchef Frederic Vasseur keine andere Chance hatte, als den 32-jährigen Emmericher ins Team zu holen. Vor dem Grand Prix von Brasilien am Sonntag (18.10 Uhr/live bei RTL und Sky) in Interlagos steht Hülkenberg deshalb endgültig vor dem Aus in der Formel 1, neun Jahre nach seinem ersten ganz großen Highlight an gleicher Stelle.
Damals, 2010, in seinem ersten Formel-1-Jahr überhaupt, stellte er seinen Williams in Interlagos völlig überraschend auf die Pole Position. In seinem 18. Formel-1-Qualifying profitierte er von wechselhaften Bedingungen, er ging zum idealen Zeitpunkt mit Slicks auf die brasilianische Rennstrecke und war letztlich eine Sekunde schneller als Sebastian Vettel, gefolgt von Mark Webber im zweiten Red Bull. „Damit hatte keiner gerechnet, auch ich nicht“, sagte Hülkenberg damals.
Neun Jahre später sieht es für ihn düster aus: Bei Renault hat ihn Teamchef Cyril Abiteboul ausrangiert. Der Pariser verspricht sich vom jungen Esteban Ocon mehr, außerdem schadet ein Franzose in einem französischen Team nie, wenn man den eigenen Konzernvorstand vom Weitermachen in der Formel 1 überzeugen will.
Hülkenbergs Gehaltforderungen waren wohl zu hoch
Verhandlungen mit dem Team Haas, das zeitweise viel Interesse an Hülkenberg gezeigt hatte, scheiterten – wahrscheinlich vor allem an den zu hohen Gehaltsforderungen des Deutschen, auch wenn der das abstreitet. Dass sich bei Alfa Romeo letztlich Ferrari mit seinem Fahrerwunsch durchsetzen würde, war aus Sicht von Hülkenberg eigentlich zu befürchten.
Zu Williams, seinem ersten Team in der Formel 1, will Hülkenberg nicht zurück, sagt er. Denn die Briten sind heute das Schlusslicht der Formel 1, mehr als Hinterherfahren wäre also nicht drin. Was Hülkenberg nicht sagt: In Wahrheit hätte er wahrscheinlich sowieso keine Chance, dort unterzukommen.
Denn auch wenn auf dem Papier der zweite Williams-Platz neben Mercedes-Junior George Russell noch offen ist: Dass dieses Cockpit an den derzeitigen Williams-Testfahrer Nicolas Latifi gehen wird, ist ein offenes Geheimnis. Der kanadische Milliardärssohn bringt eine zweistellige Millionen-Mitgift mit, auf die das finanziell extrem knappe Team dringend angewiesen ist.
Eine einst so vielversprechende Karriere, die jetzt so sang- und klanglos im Sande zu verlaufen droht: Ganz unschuldig ist Hülkenberg selbst daran vielleicht auch nicht. Auch nach mehreren Management-Wechseln war er offenbar nicht immer gut beraten und wurde von seiner Umgebung in seiner Tendenz, sich doch eher mal selbst zu überschätzen, noch bestärkt. Das kam im Fahrerlager nicht unbedingt gut an, erst recht, weil ihm nicht nur einmal in guter Position mit Podiumschancen Fehler unterliefen – wie zuletzt bei seinem Abflug im chaotischen Regenrennen von Hockenheim.
„Klar habe ich in der Königsklasse Fehler gemacht, so wie das jeder Mensch in seinem Leben getan hat“, sagt Hülkenberg. Aber: „ Ich bereue nichts, ich sehe die Formel 1 nicht als unerledigtes Geschäft. Ich habe über Jahre hinaus konstant Leistung gebracht. Ich finde, das spricht für eine gewisse Qualität.“
In seinen bislang 175 Rennen hat er es jedoch nie aufs Podest geschafft – ein einsamer, aber negativer Rekord. Drei vierte Plätze stehen für Hülkenberg als beste Rennergebnisse zu Buche. „Gewiss, ich würde gerne eine bessere Bilanz vorweisen können“, sagt er. „Aber alles in allem bin ich mit mir im Reinen, was ich erreicht habe.“
Wie es mit ihm weitergehen soll, darüber ist sich Hülkenberg wohl selbst noch nicht so recht im Klaren. Der Situation begegnet er mit Galgenhumor. Auf die Frage, welche Wege ihm künftig noch offenstünden, spottete er kürzlich: „Pizzabäcker.“
Gerüchte, es gebe Gespräche über einen Wechsel in die DTM zu BMW tut er als Kaffeesatz–Leserei ab. In der Langstrecken-WM WEC, bei der er 2015 mit Porsche die legendären 24 Stunden von Le Mans gewann, gibt es aktuell keine freien Cockpits bei einem Werksteam.
Nico Hülkenberg gibt sich entspannt
Einem Wechsel in die amerikanische Indycar-Serie steht das Problem entgegen, dass Hülkenberg – eigentlich ein Rennfahrer der alten Schule, der Risiko als Teil des Geschäfts grundsätzlich akzeptiert – nicht auf den als gefährlich bekannten Ovalkursen fahren will. Im Moment kursieren dennoch wieder Gerüchte über Gespräche.
Es sei wirklich alles offen, betont Hülkenberg: „Es ist nichts unterzeichnet, und das wird sich in absehbarer Zukunft auch nicht ändern. Ich habe Anrufe von verschiedenen Rennställen erhalten, aus ganz unterschiedlichen Serien, aber konkret tut sich derzeit gar nichts.“
Trotzdem sei er eigentlich ganz entspannt. „Ich will die Saison so gut wie möglich abschließen“, sagt Hülkenberg. „Dann werde ich mich in Ruhe hinsetzen und entscheiden, was aus mir werden soll. Ich fühle mich nicht unter Druck, und ich werde ganz sicher nichts überstürzt unterzeichnen, nur um irgendwo fahren zu können.“
Von einem offiziellen Rücktritt will er jedenfalls überhaupt nichts wissen. „Ich trete nicht zurück, weder als Rennfahrer noch als Formel-1-Pilot“, stellt Hülkenberg klar. „So wie es aussieht, stehe ich 2020 hier zwar nicht am Start, aber ich bin für alle Gelegenheiten offen.“