zum Hauptinhalt
Exportschlager. Das britische Publikum liebt Jürgen Klopp, der das Spiel an der Seitenlinie so intensiv lebt, wie es sie auf dem Platz sehen wollen.
© Reuters

Erst Jürgen Klopp, bald Pep Guardiola: Warum die Premier League so geliebt wird

Die englische Premier League ist die teuerste Liga der Welt. Doch dafür allein wird sie nicht geliebt. Ein Besuch bei den Londoner Fans.

Am frühen Nachmittag um kurz vor zwei bricht im eiskalten Norden Londons die Hölle los. Alles tanzt und hüpft auf Tischen und Stühlen, am ausgelassensten ein Mann mit Vollbart und Baseballkappe. Wie eine Rakete düst er durch den Saal, den Kopf nach vorn, die Arme angelegt, und am liebsten würde er jetzt wohl durch die Großbildleinwand springen, auf den Rasen laufen und die Jungs in den kurzen Hosen und bunten Leibchen herzen. So wie der Fußballtrainer Jürgen Klopp, Deutschlands berühmtester England-Export seit dem Sauerkraut. Der Mann, an dem sich der FC Liverpool dumm und dämlich verdient mit T-Shirts, Kappen, Bierbechern und Schals mit Klopps Bart oder Brille.

Dieser Jürgen Klopp ist allgegenwärtig, auch wenn er nicht da ist. Zum Beispiel eben an diesem Londoner Sonntag, als der Mann mit dem Vollbart durch den Saal rast, wie England das von Jürgen Klopp kennen und lieben gelernt hat. Auch wenn es sich im konkreten Fall um einen Fan des FCArsenal handelt, der das Siegtor seines Herzensklubs gegen Leicester City feiert.

Seit vier Monaten arbeitet Klopp beim FC Liverpool. Die Engländer haben sich vor ein paar Jahren in ihn verliebt, als er mit Borussia Dortmund siegend durch ganz Europa zog bis ins Finale der Champions League, es fand passenderweise im Londoner Wembleystadion statt (und ging, nicht ganz so passend, 1:2 gegen Bayern München verloren). Fasziniert schaute das Publikum zwischen Newcastle und Southampton auf einen Mann, der das Spiel an der Seitenlinie und auf Pressekonferenzen so wild und intensiv lebt, wie sie es gern auf dem Platz sehen wollen. Also haben sie ihn sich bei der erstbesten Gelegenheit geholt, als es in Dortmund nicht ganz so gut lief und der wilde Mann frei war für eine neue Herausforderung. Der sportliche Erfolg lässt noch auf sich warten, aber der Persönlichkeit Jürgen Klopp liegt Liverpool nach vier Monaten ähnlich ergeben zu Füßen, wie er es aus seinen Dortmunder Jahren gewöhnt ist.

Wer die Premier League verstehen will, muss in die Pubs

Vor dem Spiel in der Europa League gegen den FC Augsburg - Besuch in der alten Heimat - sagte Klopp, dass er sich auf Augsburg freue und darauf, dass er mal wieder in dienstlicher Mission Deutsch reden kann – in Liverpool hat er das Volk zuletzt mit seinem Germenglish unterhalten, mit Sprachschöpfungen wie „this is not a wish concert“ oder „I was on the tree“.

Wer die Faszination Premier League begreifen will, hat dafür alle Gelegenheit an einem Wochenende in den Londoner Pubs. Das Live-Erlebnis teilen sich begüterte Sportsfreunde und Abordnungen aus der ganzen Welt, die ein Londoner Wochenende gern mit einem Stadionbesuch garnieren. Die Eintrittspreise sind hoch, die Stadien bis auf wenige Ausnahmen klein. Weil aber der kostspielige Fernsehvertrag als Gegenleistung einen zerfaserten Spielplan verlangt, läuft in den Pubs fast immer und überall Fußball.

Der Spieltag beginnt samstags zur Mittagsstunde im Bonds, einer gediegenen Bar im gediegenen Stadtteil Mayfair in der Innenstadt. Draußen flaniert das gehobene London vorbei an den Boutiquen der Oxford und New Bond Street, in Laufweite liegen die Auktionshäuser Sotheby‘s und Christie’s. Gearbeitet wird auch am Wochenende, aber zwischendurch ist Zeit für Fußball und Bier. Gezeigt wird FC Sunderland gegen Manchester United, das Publikum bevorzugt dunkle Anzüge, das Mobiltelefon ist für unaufschiebbare Geschäfte fast immer am Ohr. Sunderlands Führungstor wird mit anerkennendem Kopfnicken zur Kenntnis genommen.

Flächendeckend auf höchstem Niveau

Das ist nicht gerade eine Umgebung, wie sie Jürgen Klopp schätzt. Zu Dortmunder Zeiten hat er das Duell seiner Borussia mit Bayern München zur Freude der englischen Zeitungen zum Klassenkampf des Dortmunder Proletariats gegen die Münchner Hochfinanz ausgerufen. Im Vergleich der Ligen ist die Bundesliga Proletariat und die Premier League Hochfinanz, auch Klopps FC Liverpool. Vor dieser Saison hat das Management 120 Millionen Euro in neue Spieler investiert, der Marktwert der kickenden Belegschaft wird auf 350 Millionen Euro taxiert. Das Stadion an der Anfield Road ist außerterritoriales Gebiet, sozusagen die New Bond Street von Liverpool, einer Industriestadt, in der es kaum noch Industrie gibt und in der jeder dritte Jugendliche arbeitslos ist.

In Deutschland haben viele vielleicht erst durch den Weggang des populärsten Klubtrainers des vergangenen Jahrzehnts begriffen, was da von den britischen Inseln zu ihnen herüberweht. Dass die teuerste und damit auch beste Liga der Welt für die Hauptdarsteller aus der Bundesliga so interessant geworden ist wie nie. Die deutschen Weltmeister Per Mertesacker, Mesut Özil und Bastian Schweinsteiger sind schon da, jetzt folgt die erste Reihe der Trainer. Jürgen Klopp hat sich eben kein Sabbatical genommen und gewartet, bis der Kollege Pep Guardiola den Job frei macht beim FC Bayern München. Liverpool war interessanter. Und Guardiola hat eben nicht die ihm mit Blankovollmacht angetragene Vertragsverlängerung in München akzeptiert. Manchester war interessanter. Es geht dabei nicht nur um das viele Geld, um die unglaublichen 6,9 Milliarden Euro, die Englands zwanzig Premier-League-Klubs in den kommenden drei Jahren allein über ihren neuen Fernsehvertrag einnehmen. Klopp und Guardiola haben längst mehr verdient, als sie je in ihrem Leben ausgeben können. Wichtiger ist, dass die Premier League durch ihre Einnahmen flächendeckend einen Wettbewerb auf höchstem Niveau bietet, wie ihn die Bundesliga auf absehbare Zeit nicht bieten kann.

Immer mit der Ruhe. Der Fußball auf der Insel entfernt zunehmend von seinen Wurzeln.
Immer mit der Ruhe. Der Fußball auf der Insel entfernt zunehmend von seinen Wurzeln.
© Imago

Auf den Großbildschirmen im Bonds tut sich Manchester United schwer. Louis van Gaal, er war mal Klopps Gegenspieler beim FC Bayern, hat in den vergangenen beiden Jahren hoch dekoriertes Personal aus der ganzen Welt zusammengekauft, darunter auch den deutschen Nationalspieler Bastian Schweinsteiger. Dennoch wird es in dieser Saison wohl zu keinem Platz in der Champions League reichen, denn auch das Spiel gegen Sunderland geht verloren. An der blank polierten Theke gönnen sich die Anzugträger ein kurzes Lächeln über den rosa angelaufenen Niederländer in der zu engen Trainingsjacke und ordern ein letztes Pint. Fußball mag nur eine angenehme Ablenkung vom Geldverdienen sein, aber missen mag man sie auch in Mayfair nicht.

Weiter in den Osten. West Ham ist mit seinen Sozialbauten und bröckelnden Fassaden das Gegenstück zur glitzernden New Bond Street. Im Sinne seiner Klassenkampftheorie hätte Jürgen Klopp auch West Ham United als Arbeitgeber wählen können. War mal eine große Nummer mit viel Tradition und großen Erfolgen, aber die Gegenwart spielt sich im Mittelfeld der Liga ab. In der Boleyn Tavern, dem Pub vor dem Stadion, wird das Fernsehsignal halb legal per Satellit eingespeist und alle paar Minuten blockiert. Hinter der Theke redet die dicke Wirtin beruhigend auf einen glatzköpfigen Mittfünfziger ein, er hat Mühe, sich auf den Beinen zu halten und nimmt das späte 2:2 seiner Mannschaft in Norwich mit einem zufriedenen Grunzen zur Kenntnis. Doch kein verlorener Nachmittag.

Im entscheidenden Augenblick konkurrenzfähig

So friedlich geht es hier nicht immer zu. Die Fernseher an den Wänden sind mit Plexiglasschirmen geschützt, nicht ganz zu Unrecht, wie allerlei Risse und Sprünge dokumentieren. Im Londoner Osten wird der Klassenkampf nicht so theoretisch gelebt, wie Jürgen Klopp das zu Dortmunder Zeiten formuliert hat. West Hams Fans sind in ganz England gefürchtet, die deutsche Regisseurin Leni Alexander hat ihnen 2005 den Kinofilm „Green Street Hooligans“ gewidmet. Jürgen Klopp fürchtet West Ham aus einem anderen Grund. Es ist, wie die Bayern in seinen letzten Bundesligajahren, eine Mannschaft, gegen die er einfach nicht gewinnen kann. Zwei Spiele, zwei Niederlagen innerhalb von fünf Wochen. Zur Faszination Premier League gehört, dass auch ein angeschlagenes Traditionsunternehmen wie West Ham United im entscheidenden Augenblick auf höchstem Niveau konkurrenzfähig ist.

Von der Boleyn Tavern ist es eine kleine Ewigkeit mit dem auch in London sehr präsenten Schienenersatzverkehr zur Stamford Bridge, dem Stadion des FC Chelsea. Hier hat in den ersten Jahren des dritten Jahrtausends der englische Wahnsinn seinen Anfang genommen. Mit dem Einstieg des russischen Milliardärs Roman Abramowitsch, der den Klub für 87 Millionen Euro kaufte, Schulden in Höhe von 120 Millionen Euro tilgte und seitdem ein Vielfaches in neues Personal investierte. Abramowitsch hat Chelsea zu einer der ersten Adressen in Europa und den Fußball im Londoner Südwesten schichtübergreifend gesellschaftsfähig gemacht. In Frankie’s Sportsbar and Diner vor dem Stadion schaukeln junge Männer Kinderwagen zwischen den Stühlen, nicht mehr ganz so junge Damen tragen schwarze Abendkleider und schwenken Highballs in den Händen. Es steht für diese dem Fußball verfallene Gesellschaft, dass die Damen jedes der fünf Chelsea-Tore gegen Newcastle mit erhobenen Highballs feiern. Schwer vorstellbar im Borchardt am Gendarmenmarkt.

Chelsea hätte zum kommenden Sommer ganz gern den Münchner Katalanen Pep Guardiola nach London geholt, aber der entschied sich für das eher unwirtliche Manchester und seinen alten Freund Txiki Begiristain, der dort die Geschäfte als Sportdirektor führt. Auch Jürgen Klopp war über Liverpool hinaus begehrt, ganz besonders bei den Fans vom FC Arsenal im Londoner Norden, wo seit bald zwanzig Jahren die Vereinsikone Arsène Wenger regiert. Unter Wenger hat Arsenal vor zehn Jahren den Charme des uralten Stadions Highbury gegen das moderne Emirates Stadium eingetauscht. Das Flair der alten Zeiten hat sich rundherum in den Pubs erhalten. Zum Beispiel im Gunners an der Blackstock Road, wo seit hundert Jahren niemand mehr die Dielen gewischt hat, was den Vorteil hat, dass man auch nach dem fünften Pint am Boden klebt und nicht umfallen kann.

Der teuerste, beste, spannendste Fußball

Im Gunners wird die Sonntagsmatinee der Premier League gegeben, das Spitzenspiel gegen den Überraschungstabellenführer Leicester City. Noch vor ein paar Jahren war der englische Fußball eine langweilige Angelegenheit mit drei Mannschaften, die die Meisterschaft unter sich ausmachten. Das viele schöne Fernsehgeld gibt nun sogar dem vorjährigen Fastabsteiger Leicester die Chance, mit cleveren Einkäufen ganz oben mitzuspielen. Der Außenseiter-Spitzenreiter hält bis in die Nachspielzeit ein 1:1. Dann fällt doch noch Arsenals Siegtor, die Hölle bricht los und der Saal grölt: „Arsenal! Arsenal!“ Und: „Oziiiiil!“ Gewidmet dem filigranen Mesut Özil, er hat das finale Glückserlebnis vorbereitet.

Auch der Sonntag von Özils Landsmann Jürgen Klopp endet mit einem schönen Erlebnis. In der Railway Tavern an der, na klar, Liverpool Street fährt sein FC Liverpool beim 6:0 gegen Aston Villa den höchsten Saisonsieg ein. Das Publikum in dem schlauchartigen Raum ist hin- und hergerissen von der Fußballübertragung auf der linken Seite und der des Rugbyspiels zwischen England und Italien auf der anderen. Die vielen Tore lassen die rugbybegeisterten Engländer am Ende komplett auf die Fußball-Leinwand umschwenken. Es gibt spontanen Applaus, als der Trainer seinem Assistenten um den Hals fällt. Später kann Klopp sich nicht mehr daran erinnern, wer denn all die vielen schönen Tore geschossen hat. Die Reporter lachen. Noch eine schöne Geschichte über den verrückten Deutschen, mit dem es nie langweilig wird in der teuersten, besten und neuerdings auch spannendsten Fußballliga der Welt.

Zur Startseite