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Gemischte Gefühle: Während Norwegen jubeln konnte, musste das französische Team bereits in der Vorrunde nach Hause fahren.
© Robert Michael/dpa

Handball-EM 2020: Warum die Europameisterschaft alles andere als öde ist

Die Handball-EM könnte langweilig werden, hatten viele befürchtet. Doch schon in der Vorrunde gab es große Überraschungen – das deutsche Team kommt heil davon.

Timo Kastening, der Rechtsaußen der deutschen Handball-Nationalmannschaft, ist dieser Tage im Wiener Teamhotel um eine kurze Zwischenbilanz zur EM-Vorrunde gebeten worden. War das wirklich schon alles, was die Auswahl von Bundestrainer Christian Prokop draufhat? Oder geht das Turnier jetzt, nach dem Umzug von Norwegen nach Österreich, erst richtig los?

Kastening holte ein wenig aus und sagte dann einen interessanten Satz: „Wir Deutschen sind ja immer sehr gut darin, alles erst mal schlechtzureden.“ Das sei gar nicht böse gemeint, führte der 24-Jährige weiter aus und legte vor dem ersten Hauptrundenspiel gegen Weißrussland am Donnerstagabend großen Wert auf die Feststellung: „Aber für uns ist bei diesem Turnier weiterhin alles möglich.“

Die Handball-EM als Langweiler? Es kommt anders

Das ist eine Tatsache, die das deutsche Team sehr wohl von einigen Teilnehmern unterscheidet, die ihrerseits als Favoriten in die Europameisterschaft gestartet waren und nach einer Woche bereits wieder auf dem Heimweg sind. Der neue Turniermodus mit erstmals 24 statt der sonst üblichen 16 Teilnehmer hatte im Vorfeld ja durchaus den Verdacht genährt, die sportliche Qualität der Spiele könnte darunter leiden und für Langeweile sorgen, wie man sie aus den WM-Vorrunden der vergangenen Jahre kennt. Handball ist traditionell eben ein sehr europäischer Sport; noch nie kam ein Weltmeister von einem anderen Kontinent.

Trotz der Erweiterung um acht Teams ist nun das Gegenteil der Fall. Tatsächlich ist die EM so spannend, ausgeglichen und von Überraschungen geprägt, wie es vor dem Startschuss kaum jemand für möglich gehalten hätte. Die erfolgreichste Handball-Nation der vergangenen zwei Dekaden etwa, der fünffache Weltmeister, dreifache Europameister und zweifache Olympiasieger Frankreich, verpasste sensationell den Einzug in die Hauptrunde.

Das Team von Didier Dinart – neben dem ehemaligen Bundestrainer Heiner Brand der einzige Handballer, der die WM als Spieler und Coach gewinnen konnte – leistete sich zum Auftakt einen Ausrutscher gegen Portugal und musste nach der zweiten Niederlage gegen Mitgastgeber Norwegen frühzeitig die Koffer packen.

Niedergeschlagen: Superstar Mikkel Hansen ist bei der Handball-EM mit Dänemark bereits ausgeschieden.
Niedergeschlagen: Superstar Mikkel Hansen ist bei der Handball-EM mit Dänemark bereits ausgeschieden.
© Petter Arvidson/dpa

In französischen wie internationalen Medien war gar vom Ende einer Ära die Rede. „Wir haben alles versucht, aber Norwegen war einfach mit mehr Leidenschaft dabei“, sagte Nikola Karabatic, der Star des Teams. „Wir sind sehr traurig, dass wir ausgeschieden sind“, ergänzte der dreimalige Welthandballer.

Am Mittwochabend erwischte es dann einen zweiten, vielleicht noch größeren Favoriten: Dänemarks Auswahl, die vor einem Jahr mit geradezu beängstigender Normalität zum WM-Titel gerauscht war und die Konkurrenz dabei phasenweise deklassiert hatte, schied mit 3:3 Punkten ebenfalls aus – stattdessen zogen Ungarn und Island in die Hauptrunde ein.

Schon vor dem abschließenden Gruppenspiel gegen Russland gab es keine theoretische Rechenkonstellation mehr, die das Team des langjährigen Bundesliga-Trainer Nikolaj Jacobsen eine Runde weitergebracht hätte. Damit verpassten die Dänen nach ihrem Olympiasieg in Rio de Janeiro und dem WM-Titel 2019 die Chance auf ein Titel-Triple.

Norwegen ist nun der Topfavorit

Spieler wie Regisseur Rasmus Lauge oder Torhüter Niklas Landin, die ihre Landesfarben vor einem Jahr noch zur Weltmeisterschaft geführt hatten, blieben diesmal weit hinter den Erwartungen zurück – nicht zuletzt, weil sie erst kurz vor dem Turnier fit geworden waren.

Entsprechend vernichtend war das Medienecho im Land des amtierenden Weltmeisters. „Eine schockierend schlechte dänische EM endet mit einem gleichgültigen Sieg über Russland“, schrieb die Zeitung „Politiken“. Der dänische Rundfunk prognostizierte, es werde „eine Zeit dauern, um sich von dem frühzeitigen Ausscheiden zu erholen“.

Für den Moment sieht es also so aus, als hätte eines der drei Gastgeberländer ausgesprochen gute Chancen, den ersten großen Handball-Titel im Männerbereich zu holen: Norwegen um Superstar Sander Sagosen, den künftigen Kieler und überragenden Spieler des bisherigen Turniers. Zuletzt standen die Norweger bekanntlich zwei Mal in Folge im WM-Endspiel – und mussten sich sowohl gegen Frankreich (2017) und Dänemark (2019) geschlagen geben. Dieses Szenario fällt im Jahr 2020 definitiv aus.

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