Zweiklassengesellschaft im Berliner Fußball: „Warum darf ein Prozent der Spieler trainieren und 99 Prozent dürfen es nicht?“
Die Berliner Amateurfußballer dürfen nur mit Einschränkungen trainieren. Doch es gibt ein paar wenige Ausnahmen. Das stört Gerd Thomas vom FC Internationale.
Gerd Thomas, Vorsitzender vom FC Internationale, und Christian Hildebrandt von den Füchsen Berlin haben in einem Offenen Brief an Sportsenator Andreas Geisel und an Bernd Schultz, den Präsidenten des Berliner Fußball-Verbandes (BFV), die Trainingssituation im Amateurfußball kritisiert.
Herr Thomas, trainiert Ihre erste Herren-Mannschaft schon wieder?
Alle unsere Mannschaften trainieren wieder, seitdem das erlaubt ist – aber eben mit Einschränkungen. Duschen dürfen nicht genutzt werden, Abstände müssen eingehalten werden. Wir trainieren unter den Bedingungen, die für alle gelten. Bis auf ein paar Ausnahmen.
Die Ausnahmen gelten für Regionalligisten und für Junioren-Bundesligisten. Deshalb haben Sie zusammen mit Christian Hildebrandt von den Füchsen einen Offenen Brief an Sportsenator Andreas Geisel und an Bernd Schultz, den Präsidenten des Berliner Fußball-Verbandes, geschrieben. Er fängt an mit den Worten: „Wir sind empört!“
Ich fand schon die ganze Diskussion um den Re-Start der Bundesliga sehr schräg, um es mal vorsichtig zu formulieren. Und jetzt dürfen bei manchen Amateurvereinen die Jugendmannschaften wieder ganz normal trainieren – und 99 Prozent der Fußballerinnen und Fußballer dürfen das nicht. Irgendwas stimmt da nicht.
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Sie schreiben an Schultz und Geisel: „Sie haben es geschafft, die Berliner Fußball-Gemeinde endgültig zu spalten.“ Wie meinen Sie das?
Es gibt überhaupt keine Erklärung dafür, dass 17-jährige Bundesligaspieler bei Hertha BSC oder Viktoria wieder normal trainieren dürfen, die erste Frauen-Mannschaft von FC Internationale aber nicht. Das ist unlogisch. Dass der Berliner Fußball-Verband diese Situation klaglos hinnimmt, ist für mich echt ein Problem. Der BFV behauptet immer, sein Präsident habe Zugang zu den höchsten politischen Stellen. Da frage ich mich: Was macht er denn da? Eigentlich müsste es vom Verband einen Aufschrei geben. Aber er nimmt seine Rolle als Vertreter der Basis und des Amateurfußballs einfach nicht wahr.
Wenn es, wie Sie sagen, keine Erklärung gibt: Haben Sie wenigstens eine Begründung bekommen?
Nein. Nicht, dass Sie mich falsch verstehen: Wir haben den offenen Brief nicht geschrieben, weil wir unglaubliche Lockerungen fordern oder glauben: Wir sind die besseren Corona-Experten. Das sind wir nicht. Uns geht es um rein sportliche Dinge. Beim Berliner SC zum Beispiel sollen die ersten Herren jetzt wieder normal trainieren dürfen, weil sie noch das Halbfinale um den Berliner Pokal bestreiten – für die anderen 20 oder 30 Mannschaften des Vereins gilt das aber nicht. Das ist doch völlig absurd. Und was meinen Sie, wie oft wir in den vergangenen Wochen gefragt worden sind: Wieso darf man in Brandenburg schon wieder normal spielen – und wir dürfen das hier nicht? Berlin ist komplett von Brandenburg umgeben.
War der Offene Brief so etwas wie das letzte Mittel, um auf das Problem aufmerksam zu machen?
Ich kann nur von mir reden. Unser Verein hält sich an die Vorgaben. Wir wollen das Problem nicht zu locker sehen. Und wir schreiten auch ein, wenn wir den Eindruck haben, dass die Regeln zu grob missachtet werden. Selbst auf die Gefahr hin, dass die Spieler der B-Jugend mich auslachen, wenn ich heute beim Training zu ihnen sage: „Achtet bitte auf den Abstand!“ Als die Plätze zu Beginn der Pandemie komplett gesperrt waren, sind wir gefragt worden: „Ihr habt doch einen Schlüssel. Könnt ihr nicht aufschließen?“ Das haben wir nicht gemacht. Ich will keine Corona-Diskussion führen. Ich will eine Diskussion darüber führen, warum ein Prozent der Fußballer trainieren darf, und 99 Prozent dürfen das nicht. Das sollen mir Herr Schultz und Herr Geisel erklären. Aber darauf kriege ich keine Antwort.
Wie ist die Resonanz auf den Offenen Brief?
Innerhalb der ersten 24 Stunden haben tausend Leute unterschrieben. Damit hätte ich wirklich nicht gerechnet. Ich hatte eher gedacht: „Wenn 250 dabei sind, ist es gut. Damit kann man schon mal loslegen.“ Ich war auch nicht sicher, wie die Reaktion ausfallen wird. Deshalb habe ich vorher zehn Leute aus meinem Umfeld gefragt. Niemand hat gesagt, es muss jetzt alles gelockert werden. Aber alle sind empört, dass ein paar wenige trainieren dürfen – und der ganz überwiegende Teil nicht. Das ist nicht im Sinne von Solidarität und Gleichberechtigung. Das ist nicht zu akzeptieren.
Gab es auch schon eine Reaktion der beiden Adressaten?
Von Bernd Schultz gibt es ja eigentlich nie eine Reaktion. Ich weiß auch gar nicht, ob er sich angesprochen fühlt. Herr Geisel soll in Urlaub sein. Aber als ich am Sonntag den Zwischenstand von 850 Unterzeichnern bei Facebook vermeldet habe, hat er die Nachricht zumindest nach wenigen Sekunden geliked. Humor hat er also. Vielleicht sieht er die Sache auch ähnlich wie wir. Wir wissen es nicht. Aber er ist der Sportsenator. Bernd Schultz müsste Lockerungen für die Fußballer eigentlich befürworten. Doch wenn es so ist, kann er sich halt nicht durchsetzen. Wieder einmal.