Ohne Andersson ganz anders: Vorne setzt der 1. FC Union jetzt auf Variabilität
Die Offensive des 1. FC Union Berlin steckt mitten in einem Wandel. Trainer Urs Fischer hat vor dem Spiel bei Schalke 04 am Sonntag die Qual der Wahl.
Normalerweise sind Fußballtrainer nicht sonderlich froh über Länderspieleinsätze ihrer Profis. Sie fehlen im Training, kommen meist erst wenige Tage vor dem nächsten Spiel zurück und sind durch die Reiserei teilweise so erschöpft, dass man sie allenfalls als Joker gebrauchen kann. Sicherlich hätte auch Urs Fischer gerne mit seinem gesamten Team gearbeitet, einen kleinen Vorteil könnte der Trainer des 1. FC Union aus der Situation aber ziehen.
Da Joel Pohjanpalo noch am Mittwoch mit der finnischen Nationalmannschaft im Einsatz war, wird Fischer die Auswahl im Angriff vermutlich etwas erleichtert und der Schweizer kommt nicht in die Verlegenheit, den Neuzugang nach seinem Premierentor gegen Mainz vor zwei Wochen in die Startelf zu befördern. Und zumindest statistisch ist das im Fall des Mittelstürmers eine gute Sache: Denn alle seine acht Bundesliga-Tore hat der Finne als Joker erzielt.
Nun könnte man richtigerweise einwenden, dass er in 21 Spielen auch nur einmal von Beginn an gespielt hat. Aber bekanntermaßen geht es im Fußball oft genug auch um Aberglaube. Wenn Pohjanpalo am Sonntag beim Auswärtsspiel gegen den FC Schalke 04 (18 Uhr, live auf Sky) also anfangs auf der Bank sitzt, muss das für Union nichts Schlechtes sein.
Bei allem Interesse am Zweikampf um den Platz im Tor zwischen Andreas Luthe und Loris Karius sind es momentan eher die Veränderungen in der Offensive, die über Erfolg oder Misserfolg von Union entscheiden. Denn das Stören des gegnerischen Spiels und das Verhindern von Toren war schon in weiten Teilen der vergangenen Saison eine Stärke der Berliner.
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Diese Qualitäten muss Fischer mit leicht verändertem Personal nur konservieren, so schwer das auch sein mag. In der Vorwärtsbewegung ist jedoch ein Wandel im Gange, den der Schweizer schon in der Winterpause der vergangenen Spielzeit ankündigt hatte: Union muss flexibler werden und eine Alternative zum bevorzugten Spiel mit hohen Bällen finden.
In der Rückrunde gelang das kaum, letztlich reichte es aber auch so zum Klassenerhalt. Nach dem Abgang von Sebastian Andersson nach Köln war Fischer nun gezwungen, das Berliner Angriffsspiel wesentlich zu verändern. Denn die Kopfballstärke des Schweden, die Qualitäten beim Behaupten und verteilen hoher Bälle hat keiner der Neuzugänge. Dafür bringen sie ganz neue Facetten mit.
Das gilt in erster Linie für Max Kruse. Der ehemalige Nationalspieler ist schon allein physisch ein ganz anderer Spielertyp als Andersson. Er ist technisch viel stärker, hat seine Stärken im Eins-gegen-eins und übernimmt mit seiner Kreativität als Stürmer viele Spielmacheraufgaben. „Er hat Qualitäten, die uns helfen können“, sagt Fischer. „Sei es in der Vorwärtsbewegung, wenn es um Kreativität geht. Sei es aber auch mal das Spiel zu beruhigen, den Takt anzugeben.“
Das hatte sich der Trainer in der vergangenen Rückrunde schon von Yunus Malli erhofft, der Leihspieler aus Wolfsburg kam trotz seiner offensichtlichen Qualitäten am Ball aber nicht über gute Ansätze hinaus.
Union spielt inzwischen viel mehr flache Bälle als früher
Beim 4:0-Heimsieg gegen Mainz vor der Länderspielpause stand Kruse zum ersten Mal in der Startformation und auch abseits von seinem eher untypischen Kopfballtor war deutlich zu erkennen, wie Unions Spiel mit ihm aussehen kann. Anders als Andersson wartet Kruse nicht in der Spitze auf Bälle, sondern holt sich diese auch im Raum zwischen gegnerischer Abwehrkette und Mittelfeld. Für die gegnerischen Verteidiger ist das unangenehm, denn sie müssen entscheiden, ob sie ihm folgen und so ihre Position aufgeben oder im Zweifel in Kauf nehmen, dass er sich mit Ball ohne Gegnerdruck in Richtung Tor drehen kann.
Die neue, mehr auf flache Pässe ausgerichtete Herangehensweise begünstigt auch Sheraldo Becker. Der Niederländer ist einer der schnellsten Spieler der Bundesliga, kam in der vergangenen Saison aber kaum zum Zug.
Gegen Gladbach und Mainz wurde er mit Pässen hinter die gegnerische Abwehrkette immer wieder auf der rechten Seite freigespielt. Die Streuung seiner Flanken ist zwar noch sehr groß, gegen Mainz waren aber schon klare Fortschritte erkennbar. Und neben Becker gibt es für die Offensive noch einige Alternativen.
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Marius Bülter war die Entdeckung der vergangenen Saison. Der japanische Neuzugang Keita Endo gab gegen Mainz sein Debüt, Akaki Gogia spielte im Test gegen Hannover nach langer Verletzung mal wieder eine Halbzeit und Marcus Ingvartsen ist sowohl in der Mitte als auch Außen einsetzbar.
Dazu kommen Pohjanpalo, Cedric Teuchert und der noch verletzte Anthony Ujah. „Das ist ja genau das Schöne“, sagt Fischer zu seinem neuen Luxusproblem. „Auf der einen Seite hast du Geschwindigkeit, Spieler die ins Eins-gegen-eins gehen, Spieler, die die Tiefe attackieren. Auf der anderen Seite hast du Spieler, die es lieber haben, wenn du ihnen in den Fuß spielst. Die Mischung passt und das macht uns variabler.“