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Hertha-Trainer, einst und jetzt: Lucien Favre (l.) und Markus Babbel.
© Reuters

Marcel Reifs Kolumne: Von Favre lernen heißt siegen lernen

Unser Kolumnist Marcel Reif lenkte sein Augenmerk am zwölften Spieltag auf die Rückkehr von Lucien Favre in das Berliner Olympiastadion. Er meint: Hertha hat ihm viel mehr zu verdanken als den Abstieg.

Es spricht nicht gegen den Sachverstand der Berliner Fußballfans, dass sie Lucien Favre, ihren alten Kumpel und Trainer, freundlich begrüßten, beim Wiedersehen im Olympiastadion und mit Favre auf Seiten des Gegners aus Mönchengladbach. Sie haben ihm auch einiges zu verdanken. Schon klar, Hertha hat ihm den Abstieg zu verdanken, aber dass Hertha heute wieder in der Bundesliga mitspielt, und dass nicht einmal schlecht, das ist auch Verdienst von Lucien Favre.

Der hat die Spieler geholt, die heute enorm weiterhelfen, Raffael und Ramos. Und er hat einen Plan angelegt. Dass er damals nicht aufging, nun ja, der Mann ist Schweizer. Und ich weiß, wovon ich rede, ich lebe in diesem schönen Land, und Schweizern ist es am liebsten, nicht aufzufallen. Man kann das unter anderem daran ablesen, wie sich Favre hinter seinem putzigen Dialekt versteckte. Das passt ja.

Favre hat Hertha seinerzeit groß gemacht, fast groß gemacht. Aber als dann plötzlich, man hat es ja kaum zu denken gewagt, geschweige denn auszusprechen, sogar die Möglichkeit anstand, Meister zu werden – hey, was geht ab, wir holen die Meisterschaft – da bekam Favre diese Angst vor der eigenen Courage. Dass sie nach dieser fast triumphalen Saison 09/10 dann absackten bis zur Versenkung, das kann man als Folge werten, was auch immer der Grund war. Aber Lucien Favre hatte keine Wüste hinterlassen. Wie man auch heute, trotz der Niederlage gegen Favres neuen Arbeitgeber, sehen kann. Ich bin schon eine Wette eingegangen, dass Hertha am Ende einen einstelligen Tabellenplatz belegt. Aber zurück zu Favre. Er hat mit Gladbach auch keine Mannschaft übernommen, die allzu große Aussichten auf die Meisterschaft hatte. Das war eine Schießbude, als Favre kam. Eine Mannschaft in desolatem Zustand, ein Verein mit Vergangenheit und scheinbar ohne Zukunft. Und das ist es, was ihn auszeichnet: Das er in der Lage ist, mit Ruhe und Plan ein Gebilde aufzubauen, das wehrhaft ist in der Bundesliga.

Marcel Reif: TV-Reporter und Tagesspiegel-Kolumnist.
Marcel Reif: TV-Reporter und Tagesspiegel-Kolumnist.
© dpa

Inzwischen glauben sie ihm in Mönchengladbach alles, und sie tun gut daran. Wie auch der wunderbare Reus gut beraten wäre, würde er die Vorgehensweise des Trainers für sich übernehmen: Ruhe bewahren, langsam aufbauen, sich in Mönchengladbach weiterentwickeln und nicht hysterisch vor der Zeit zum FC Bayern wechseln. Von Favre lernen, heißt eben auch mitunter siegen lernen. Dass Hertha heute nicht so schlecht dasteht, hat auch damit zu tun. Sie werden heute nicht erfreut sein, die Berliner, aber wenn die Trauer überwunden ist, wird ihr Sachverstand ihnen sagen, dass sie an diesem Tag einem Guten unterlegen waren.

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