Ein Rundgang durch Japans Hauptstadt: Viel Liebe im Spiel – auch ohne Zuschauer
Die Spiele von Tokio sind ohne Fans sehr stille Spiele – aber es ist nicht alles trist. Viele kleine Botschaften sorgen für besondere Momente.
Es gibt Momente, an denen man vergessen könnte, dass gerade zum ersten Mal Olympische Spiele ohne Zuschauer stattfinden. In der „Nippon Budokan“, der Judo-Halle, ganz in der Nähe des Kaiserpalastes in Tokio gelegen, haben sich die Zuschauerränge beachtlich gefüllt.
Immer noch sind viele der 12 000 Sitzschalen leer, weil aber beinahe alle freiwilligen Helferinnen und Helfer bei den Finalkämpfen zuschauen, kommt ein Gefühl auf, das in den zurückliegenden anderthalb Jahren verlorengegangen schien. Mehrere hundert „Fans“ blicken neben den Delegationen der Nationen, deren Kämpferinnen und Kämpfer noch im Wettbewerb sind, gespannt in Richtung der Matte in der Mitte der Arena.
Judo ist Volkssport in Japan und bei den großen Kämpfen am Ende eines langen Tages wollen alle dabei sein, die irgendwie dabei sein können.
Die ersten Spiele ohne Publikum
In der Rückschau werden die Wettkämpfe in Tokio als die ersten ohne Fans in Erinnerung bleiben. Dadurch werden sie gerade aber gleichzeitig zu den Spielen der besonderen Momente. Die Japaner schaffen es, ihre Begeisterung für die Veranstaltung durch kleine Zeichen spürbar zu machen. Die freiwilligen Helfer in der Judo-Halle sind so ein Zeichen – oder die Kinder aus der Matsugami-Youth-School.
Auf der Bogenschießanlage stehen unzählige Töpfe, aus denen Petunien herausragen. Verziert sind sie mit Bildern und Sprüchen der Schulkinder, die die Pflanzen gezogen haben. „Du kannst es, gib dein Bestes im Teamwork“, steht auf einem der Zettel.
Die Kinder wollten bei den Wettbewerben zuschauen, jetzt sollen die Petunien, der „Morgenruhm“, ihre Begeisterung für die Spiele transportieren. Nicht nur in der Matsugami-Youth-School wurden Petunien gezüchtet, an jeder Wettkampfstätte stehen Pflanzen von Schülerinnen und Schüler – die Blumen sind ein kleines Zeichen der Liebe.
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Sie stehen genauso für die spezielle Veranstaltung in der japanischen Hauptstadt wie der verwaiste Fan-Park. Der liegt hinter der Arena fürs Sportklettern und dem Stadion, in dem 3x3-Basketball gespielt wird. Hier sollten sich die Sponsoren präsentieren, vor allem aber die Zuschauenden die Möglichkeit haben, sich in Feierstimmung zu bringen.
Nicht weit entfernt und fußläufig erreichbar ist das Beachvolleyball-Stadion. Auf diesem Areal hätte das jugendliche Herz der Olympischen Spiele schlagen können. Modern, enthusiastisch und umrahmt von fetzigen Beats sollten Tokio und die Spiele hier sein.
Die Realität sieht anders aus. Der Fan-Park ist geschlossen und die Wettbewerbe der Trendsportarten findet ohne Zuschauende auf den Rängen statt. Hier werden nicht die bunten Bilder präsentiert, mit denen das IOC weltweit für sich werben wollte. Die Pandemie hat es verhindert.
Dusan Bulut bedauert das, er umschreibt es kurz mit „shit“, aber die Umstände, die die Welt und Tokio seit anderthalb Jahren einschränken, ändern nichts an der Begeisterung für den Wettkampf. Er ist der Superstar seiner Sportart, wird am Ende Bronze gewinnen. „Das ist das größte Turnier, das ich gespielt habe“, sagt der 35-Jährige. Bulut verlässt Tokio mit großartigen Erinnerungen.
Für die Athleten hat die Anziehungskraft der Spiele durch die äußeren Umstände nicht gelitten. Das gerät angesichts der Bilder von leeren Zuschauerrängen an den Wettkampfstätten schnell in Vergessenheit. Die Sportler bedauern das Fehlen der Zuschauer und die Einschränkungen in der Bewegungsfreiheit, aber die Kraft der Wettbewerbe im Zeichen der fünf Ringe hat nicht gelitten.
Die Vorsichtsmaßnahmen sind streng
Die Olympischen Spiele und die Menschen dieser Metropole werden in den kommenden Tagen nicht mehr unmittelbar zusammenkommen können. Die Ausbreitung des Covid-19-Erregers verhindert es. Am Samstag gab es im Großraum Tokio 4058 neue Corona-Infektionen, angesichts der Einwohnerzahl von 14 Millionen klingt die Zahl gering, die Steigerung im Vergleich zur Vorwoche beträgt jedoch 180 Prozent.
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Die Sorge vor dem Virus ist real. Um die Wettbewerbe so sicher wie möglich zu machen, betreiben die Organisatoren einen Aufwand von gigantischer Dimension. Mehr als 25 000 Personen sind bei den Spielen als Athleten, Journalisten oder Offizielle im Einsatz. Etwa die Hälfte von ihnen muss sich täglich einem Corona-Test unterziehen, der Rest spätestens alle vier Tage.
Mittels einer Smartphone-App müssen alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer täglich Daten zu ihrem Gesundheitszustand übermitteln. Erst 14 Tage nach dem Eintritt ins Land darf man sich frei in Tokio bewegen, sofern keine Krankheit aufgetreten ist.
Vor dem Betreten eines Veranstaltungsortes wird mit einer Wärmebildkamera die Körpertemperatur ermittelt, die Hände müssen desinfiziert werden. Polizei, Sicherheitsdienste und unzählige Volunteers wickeln die Sicherheitsmaßnahmen ab – die Armee der Helferinnen und Helfer ist noch größer als die der Teilnehmerinnen und Teilnehmer.
Trotz allem: überstrahlt werden die Bedingungen von den kleinen Botschaften der Liebe.
Michael Wilkening