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Alles schön bunt hier. Gelegentlich gibt es Aktionen von Fußball-Fans gegen Homophobie. Wie hier bei Anhängern von Fortuna Düsseldorf.
© imago

Homosexualität im Fußball: Verstecken ist kein Spiel

Kein aktiver Bundesligaprofi hat sich bisher öffentlich zu seiner Homosexualität bekannt – obwohl das Versteckspiel an den Kräften zehrt. Ebnet das Coming Out von Thomas Hitzlsperger nun den Weg in die Öffentlichkeit?

Mal angenommen, Thomas Hitzlsperger würde noch Fußball spielen. Würden dann nun, nach seinem Coming Out, die Verkaufszahlen seines Trikots in die Höhe schnellen? Oder würde seine bekannte sexuelle Orientierung das Gegenteil bewirken? Schwulsein ist ja im Merchandising oder in der Werbung bislang noch nicht verkaufsförderndes Prädikat. Oder spielt es keine Rolle, sieht in einer aufgeklärten Gesellschaft die Mehrheit die sexuelle Orientierung eines Menschen tatsächlich schon als dessen Privatsache, wie es der „Kicker“ glaubte? So war dem Fußballmagazin das Coming Out des Ex-Nationalspielers in der gedruckten Ausgabe am Donnerstag nur eine Randnotiz wert, in der geschrieben stand, dass im „Kicker“ nichts über Hitzlspergers Homosexualität geschrieben werde. Damit war eine Menge gesagt zu Thomas Hitzlsperger, der nach seiner Karriere ein Versteckspiel verlassen hat, wie er glaubt. Ein Versteckspiel, das den aktiven Profi Hitzlsperger Kraft gekostet hat.

Thomas Hitzlsperger steht nicht mehr auf dem Fußballfeld. Als Bundesligaspieler habe er schon sein Coming Out erwogen, sagt er nun, während seiner Zeit beim VfL Wolfsburg vor zwei Jahren. Doch mal angenommen, ein aktiver Fußballprofi aus der Bundesliga bekennt sich tatsächlich öffentlich zu seiner Homosexualität, Hitzlsperger könnte ja zumindest den Weg dafür geebnet haben. „Ich hoffe, dass ich Mut machen kann“, sagt er. Wie würde es dem ersten bekennenden schwulen Bundesligaspieler ergehen?

Homophobie ist in den unteren Spielklassen weit verbreitet

Die Zuschauer in der Bundesliga sind – was zum Beispiel rassistische Diffamierung betrifft – disziplinierter geworden. Es gibt auch seit langem Fanklubs von Lesben und Schwulen. In Sprechchören ausgelebte Homophobie ist eher unwahrscheinlich. Möglich ist das trotzdem. Den Schiedsrichter als „schwule Sau“ zu besingen, ist noch Alltag in Spielklassen weit unter der geschniegelten Bundesliga. Im Stadion haben Menschen das ventilierende Gefühl, sich anders verhalten zu können als sonst. Emotionen ausleben zu dürfen ist Teil des Stadionbesuches. Doch das Stadion ist nur ein Teil. Bauarbeiter, Arbeitslose, Professoren oder Priester gehen nach 90 Minuten Fußball nach Hause – und alle haben ihre Einstellung zur Homosexualität. Mancher verschwendet mehr Energie damit, seine Vorurteile zu kultivieren, als Kraft darin zu investieren, sie zu hinterfragen. Jeder homosexuelle Mensch bekommt das im Alltag zu spüren.

Schwule werden immer mit Beschimpfungen konfrontiert, leben immer mit dem Problem, dass mancher Ort für sie kaum offen zu betreten ist. Händchenhalten mit dem Lebenspartner geht nicht überall in einer noch so aufgeklärten Gesellschaft. Um Ärger aus dem Weg zu gehen, versteckt sich der Mensch, der Profi auf dem Fußballplatz. Das kostet Kraft. Das Versteckspiel eines schwulen Fußballers „verschleißt Ressourcen, die ihm nicht für das Spiel zur Verfügung stehen“, sagt Marcus Urban, Urban ist einer der wenigen Fußballer, die sich zu ihrer Homosexualität bekannt haben. Bis Anfang der Neunziger stand er beim Zweitligisten Rot-Weiß Erfurt unter Vertrag. Dann hat er seine Karriere beendet, weil er den Druck des Versteckens nicht mehr aushielt. Urban sagt, die Wissenden im Umfeld eines schwulen Profis seien „ko-abhängig“, weil sie beim Versteckspiel mitmachten. Ein Outing eines aktiven Sportlers müsse gut vorbereitet sein, sagt der ehemalige Fußballer. Der walisische Rugbyprofi Gareth Thomas zum Beispiel bekannte sich 2009 erst zu seiner Homosexualität, nachdem er persönliches Umfeld, Mannschaft und Trainer unterrichtet hatte.

Über die Anzahl homosexueller Fußballer im Profi-Sport kann nur spekuliert werden

Es gibt nur Spekulationen über die Zahl homosexueller Profis in der Bundesliga. Kein Wunder, gibt es doch keine verlässliche Zahlen über den Anteil Homosexueller in der deutschen Bevölkerung. Und warum sollte es sie auch geben. Wahrscheinlich ist, dass der Anteil von Menschen mit homosexueller Ausrichtung unter Bundesligaprofis eher gering ist: weil viele Spieler das Versteckspiel nicht mitmachen wollen und daher bereits als Jugendliche aufhören oder eben den Weg in den Profifußball nicht einschlagen wollen.

Es gibt wenige Mannschaftssportler und noch weniger Fußballer, die sich geoutet haben. Thomas ist ein oft zitiertes Beispiel, wie auch der ehemalige US-Basketballprofi Jason Collins. Vor Hitzlsperger ging der US-Nationalspieler Robbie Rogers an die Öffentlichkeit. Er hatte seine Karriere schon beendet, doch jetzt spielt er wieder. In den USA hat Rogers dafür viel Zustimmung erhalten, es wurde applaudiert und nicht gepfiffen, als er erstmals wieder mit seinem Team ins Stadion lief.

Welche Auswirkungen das Outing auf die Fußballkarriere hat, bleibt ungewiss

Warum sich bis jetzt kein aktiver Bundesligaprofi geoutet hat? Weil die Hürde dafür im professionellen Mannschaftssport höher ist als in anderen Bereichen des Lebens, etwa in der Politik, im Showgeschäft oder in der Modebranche. Bis zum Lebensende damit umzugehen, der erste aktive Bundesligaprofi zu sein, der seine Homosexualität öffentlich bekannt gemacht hat, spielt dabei wohl weniger eine Rolle als die große Ungewissheit, wie diese Karriere weitergehen kann. Darauf können auch die vielen Menschen, die sich nun zum Thema äußern, keine Antwort geben.

Die Sexualität eines Menschen sollte seine Privatsache sein. Die aufgeklärte Gesellschaft ist da weit, aber vielleicht nicht weit genug mit ihren Menschen unterschiedlichster Ansichten und Glaubensrichtungen. Auch der „Kicker“ sieht es seit Donnerstag so. Online machte das Fußballmagazin das Thema Hitzlsperger doch zum Thema. Mit Videobericht und allem drumherum.

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