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In einem Video spricht der ehemaligen Fußball-Nationalspielers Thomas Hitzlsperger über seine Homosexualität.
© dpa

Was das Outing von Thomas Hitzlsperger lehrt: Volle Gleichberechtigung - eher Prozess, denn Zustand

„Respekt“, „starkes Signal“, „wichtiges Zeichen“ - das Echo auf das Outing von Thomas Hitzelsperger macht Mut. Dennoch: „Du schwule Sau“ steht ganz oben auf der Rangliste der fiesesten Schulhofschimpfwörter. Es dürfte noch dauern, bis das ganze Land in einen Zustand der grundgesetzgerechten Toleranz angekommen ist.

Sie werden nicht genannt im Grundgesetz und können sich doch darauf berufen. Für Homosexuelle gilt in Deutschland wie für alle Bürger das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit. Dass es einen Abstand zwischen dem Grundrecht und der Lebenswirklichkeit gibt, zeigt das donnernde Echo auf das Outing des Fußballspielers Thomas Hitzlsperger. „Respekt“, „starkes Signal“, „wichtiges Zeichen“, sagen nun alle, die sich sport- oder sonst wie politisch berufen fühlen. Man darf gespannt sein, was daraus folgt.

Falsch wäre jedenfalls der Schluss, dass bloß Fußballer und ihre Fans noch nicht kapiert haben, wie tolerant das Land um die Fußballstadien herum längst ist. Toleranz in sexuellen Dingen ist, schräg formuliert, wohl eher ein Prozess als ein Zustand. Der Prozess hat zwei Seiten. Einerseits hat sich die Bundesrepublik vier Jahre lang mehr oder weniger elegant von einem schwulen Außenminister repräsentieren lassen. In der Hauptstadt regiert seit 2001 der Erfinder des politisch perfekten Outings, Klaus Wowereit, und man kann ihm noch heute zugutehalten, dass er damals eine starke Mischung aus Charme und Mut aufgebracht hat, trotz der „Lebenspartnerschaft“, die 2001 Gesetzeskraft erlangte.

Gewalt gegen Homosexuelle kein altes Thema

Dass Wowereit damals Mut brauchte und mit seinem Outing einem Westerwelle den Weg ins Spitzenamt erleichtert hat, führt unmittelbar auf die andere Seite des Gleichstellungsprozesses. Es sind eben gerade mal zwölf Jahre, in denen dieses Land mit bekennenden homosexuellen Politikern umzugehen gelernt hat. Zwölf Jahre, in denen die rechtliche Gleichstellung vorangekommen ist, auch wenn oft Gerichtsurteile dies bewirkt haben, bis hin zur Gültigkeit des Ehegattensplittings für Lebenspartnerschaften. Und weil doch gerade erst so viel von Willy Brandt die Rede war: Ganze 44 Jahre ist es her, dass der erste Kanzler aus der SPD und sein Kabinett das Strafrecht gelinde reformierten. Erst ab 1969 waren homosexuelle Beziehungen zwischen Erwachsenen nicht mehr strafbar.

Dass es in der Politik insgesamt und jedenfalls äußerlich etwas gesitteter als im Fußball zugeht, macht Wowereits Mut und Hitzlspergers Wagnis nicht kleiner. Die Antidiskriminierungsbeauftragte der Bundesregierung weist dieser Tage unermüdlich darauf hin, dass „du schwule Sau“ ganz akut ganz oben auf der Rangliste der fiesesten Schulhofschimpfwörter steht. Und dass diskriminierte arabische Jugendliche ihrerseits Homosexuelle aufs Tiefste verachten, zeigen einschlägige Studien alle paar Jahre. Polizeiberichte in Sachen „Gewalt gegen Schwule“ belegen darüber hinaus, dass manche dieser Jugendlichen manchmal sehr handfest diskriminieren.

Volle Gleichberechtigung? Nicht ins Sicht

Was schlicht bedeutet: Bis das ganze Land in einen Zustand der grundgesetzgerechten Toleranz angekommen ist, dürfte es noch dauern. Politiker, Sportler, Sportfunktionäre sind gleichermaßen berufen, etwas für diese Toleranz zu tun. Die neue Familienministerin Manuela Schwesig zeigt gleich, dass sie wellenreiten kann und outet sich als Freundin der „vollen Gleichberechtigung“. Schwesig spricht indes nicht vom vollen Adoptionsrecht für homosexuelle Paare. Davon schweigt auch der Koalitionsvertrag. Angela Merkel hat vor ein paar Monaten gesagt, was wohl viele denken: Sie tue sich schwer mit diesem Gedanken, sie sei sich unsicher über das Kindeswohl. Ehe die politischen Freunde der vollen Gleichberechtigung nun wieder auf das Verfassungsgericht warten – das wäre doch ein Thema für eine Bundestagsdebatte.

Werner van Bebber

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