Nach Absage des Rennens in Deutschland: Verschwindet die Formel 1 bald dauerhaft aus Europa?
Kein Rennen in Deutschland, auch keines in Frankreich. Die Grand Prix von Belgien und Spanien wackeln. Dafür gibt es die Formel 1 künftig in völlig motorsportfernen Regionen. Kann das die Zukunft sein?
Seit 55 Jahren gab es das nicht mehr: Die Formel 1 macht einen Bogen um Deutschland. Nach der endgültigen Absage des diesjährigen Grand Prix wird in einem der traditionellen Kernländer der Formel 1 das erste Mal seit 1960 kein Rennen ausgetragen. Damals folgte dem Rennen auf der Avus in Berlin 1959, das vom tödlichen Unfall des Franzosen Jean Behra überschattet wurde, wegen politischer Gründe eine einjährige Pause. 2007 gab es zwar wegen des Hickhacks um die Veranstalter- und Namensrechte offiziell keinen Grand Prix von Deutschland, aber wenigstens ein Rennen auf dem Nürburgring, das unter dem Titel „Grand Prix von Europa“ ausgetragen wurde.
Aus der einjährigen Abstinenz könnte nun gut ein Abschied auf lange Sicht werden. Denn es sind die Finanzen, die das Autoland Deutschland ausbremsen. Und das zu einem Zeitpunkt, an dem Mercedes die Formel 1 dominiert. Immerhin boten die Stuttgarter offenbar in letzter Sekunde an, dem Hockenheimring finanziell zu helfen. Das Angebot war aber wohl nicht hoch genug, um bei Formel-1-Boss Bernie Ecclestone Gnade zu finden. Offensichtlich war man bei Mercedes nicht bereit, praktisch das gesamte Antrittsgeld zu übernehmen, das Ecclestone von Rennveranstaltern einfordert. Der Hockenheim-Geschäftsführer Georg Seiler hatte zuvor davon gesprochen, dass es um zwölf Millionen Euro gehe. Mercedes hat sicher intern ganz genaue Kosten-Nutzen-Rechnungen darüber aufgestellt, ob man das Rennen in Deutschland marketing-technisch so dringend braucht, um derartig hohe Summen auf den Tisch zu legen. Nun blieb nur noch den Verlust des Rennens zu betonen, das laut Mercedes „zu den traditionsreichsten Veranstaltungen der Saison gehört“.
Abschlagszahlungen in zweistelliger Millionenhöhe an Bernie Ecclestone
Der Aufsichtsrats-Vorsitzende des Mercedes-Teams, Niki Lauda, hatte den deutschen Rennveranstaltern vor kurzem noch vorgeworfen, sie allein seien an der Misere schuld, weil sie ihre Rennen nicht zum Event ausbauten, um mehr Zuschauer anzulocken. Bernie Ecclestone sei dafür nicht verantwortlich. Das stimmt so aber nicht, zumindest nicht in dieser Absolutheit. Am Nürburgring wurde zwar über viele Jahre hinweg Misswirtschaft betrieben, die die Strecke schließlich in die Insolvenz trieb. Und auch in Hockenheim konnte man den Zuschauerschwund nicht stoppen und rutschte deshalb in eine bedrohliche finanzielle Situation.
Andererseits ist es vor allem Ecclestones Grundkonzept, das nicht nur in Deutschland, sondern europaweit Streckenbetreiber in die Bredouille bringt. Sie können zur Refinanzierung der Abschlagszahlungen in zweistelliger Millionenhöhe an Ecclestone nicht auf staatliche Hilfen zurückgreifen wie etwa die Rennen in Singapur, Sotschi, Bahrain oder Abu Dhabi.
Deshalb müssen die klassischen Standorte hohe Eintrittpreise nehmen, die den Besuch an der Strecke oft teurer machen als eine Woche Mittelmeerurlaub. Doch selbst große Rennsportfans scheuen diese Ausgaben – die neue, komplizierte, leise Formel 1 lockt sie nicht mehr. Als Ergebnis blieb dem Hockenheimring vom Rennen 2014 ein Minus von 2,5 Millionen Euro. Im nächsten Jahr wird soll auf der Piste im Badischen zwar wieder gefahren fahren – für 2016 und 2018 hat der Kurs noch einen Vertrag mit Ecclestone. Aber was, wenn auch das Rennen 2016 wieder einen Verlust bringt? Was, wenn sich der Nürburgring nicht mehr aus seinen Schwierigkeiten befreien kann, wie zu befürchten ist?
In fast allen ihrer europäischen Kernländer hat die Formel 1 einen schweren Stand
Deutschland ist in dieser Frage in bester Gesellschaft. In fast allen ihrer europäischen Kernländer hat die Formel 1 einen schweren Stand. Der Grand Prix von Frankreich ist schon seit einigen Jahren aus dem Kalender verschwunden. Für 2016 steht mit Monza ein weiteres Traditionsrennen aus finanziellen Gründen auf der Kippe. Der belgische Grand Prix in Spa wackelt immer wieder, die Rennen 2003 und 2006 fielen bereits aus. Fraglich ist auch, ob sich in Spanien genügend Formel-1-Fans finden werden, wenn Fernando Alonso seine Karriere beendet hat.
Sakrosankt sind lediglich die Saisonhöhepunkte im motorsportbegeisterten Großbritannien und der Glamourklassiker Monaco – die Monegassen sind von jeglichen Zahlungen an Ecclestone befreit. Recht gut steht dank der Mitgift von Red Bull auch Österreich da, allerdings wird auch dieser Grand Prix in diesem Jahr wohl nicht ausverkauft sein.
Eigentlich kann es sich die kriselnde Formel 1 in ihrer gegenwärtigen Situation nicht leisten, sich aus ihren Kernmärkten zu verabschieden. Sie müsste alles daran setzen, ihre Fans zu halten, statt mit großem Aufwand neue gewinnen zu wollen in völlig Formel-1-fernen Regionen wie Aserbaidschan, wo 2016 zum ersten Mal gefahren werden soll. Aber diese Einsicht scheint speziell bei Ecclestone immer noch nicht angekommen zu sein, allen Warnzeichen zum Trotz. Beim Automobil-Weltverband Fia übrigens auch nicht. Denn der hätte ein Veto-Recht, was die Rennvergabe angeht, und könnte die Traditionsrennen vor dem Aus bewahren. Aber aus Frankreich, wo der Fia-Präsident Jean Todt sitzt, ist dazu nichts zu hören.