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Vedad Ibisevic hat in dieser Saison schon sechs Tore für Hertha BSC erzielt.
© dpa

Der bosnische Stürmer von Hertha BSC im Interview: Vedad Ibisevic: "Ich habe kein leichtes Leben gehabt"

Im Interview spricht Vedad Ibisevic über den Aufschwung von Hertha BSC, den Start in die Rückrunde, den Bürgerkrieg in seiner Heimat und die Flucht.

Herr Ibisevic, wissen Sie eigentlich, was Sie mit Manuel Neuer gemeinsam haben?
Nein, weiß ich nicht. Jetzt bin ich gespannt.

Sie beide haben im selben Spiel Ihr Bundesligadebüt gefeiert.

Ach, ja? Das ist neu für mich. War das in Schalke?

Nein, in Aachen, Sie wurden eingewechselt und haben 0:1 verloren.

Das wusste ich nicht, dass Manuel Neuer da auch debütiert hat. Aber an das Rückspiel erinnere ich mich sehr gut. Da habe ich ein Tor gegen ihn geschossen (lacht). Manuel war noch ein junger Spieler, aber sein Talent war damals schon auffällig.

Inzwischen ist Neuer mehrfacher Deutscher Meister, Champions-League-Sieger, Weltmeister. Im Vergleich zu ihm: Haben Sie zu wenig aus Ihrer Karriere gemacht?

Auf gar keinen Fall! Für einen kleinen Bosnier ist es unmöglich, einen solchen Weg zu gehen. Was Manuel Neuer erreicht hat, ist super für ihn. Aber ich bin ein glücklicher Mensch und wirklich froh mit meiner Karriere. Ich werfe mir nichts vor. Was gewesen wäre, wenn – das interessiert mich nicht. Ich schaue nicht nach hinten.

In Ihrer Karriere hat es viele Extreme gegeben: In Aachen wurden Sie als Chancentod verspottet, in Hoffenheim mit Gerd Müller verglichen, dem größten deutschen Stürmer überhaupt. In Stuttgart waren sie anfangs der gefeierte Torjäger, dann der Bankdrücker. Bei Hertha stehen Sie jetzt wieder im Rampenlicht. Können Sie diese Schwankungen erklären?

So ist das Geschäft. Oder kennen Sie viele Spieler, bei denen es nur bergauf gegangen ist? Daher stört es mich auch nicht. Im Gegenteil, ich bin stolz darauf, dass ich immer wieder zurückgekommen bin; dass ich es denen gezeigt habe, die mich abgestempelt haben. Dass es auch Tiefen gab, war nicht immer meine Schuld. Aber ich habe immer eine Antwort gehabt.

Was passiert mit Ihnen, wenn Sie mal unten sind wie zuletzt in Stuttgart?

Ich glaube, ich kann damit sehr gut umgehen. Ich habe kein leichtes Leben gehabt. Aber ich habe gelernt, Kräfte zu tanken, ruhig zu bleiben und aus der schwierigen Situation herauszukommen. Das ist meine Stärke. Man darf den Glauben an sich nicht verlieren. Man darf aber auch nicht überheblich sein, wenn es mal gut läuft. Daran habe ich mich gehalten.

Woher haben Sie diese Eigenschaft?

Ich glaube, dass das etwas mit meiner Familie und meiner Erziehung zu tun hat, aber noch viel mehr mit dem Weg, den ich im Fußball größtenteils allein zurückgelegt habe. Meine Familie hat mich zwar immer unterstützt, aber bei den großen und wichtigen Entscheidungen habe ich sie immer rausgehalten, die habe ich allein getroffen, von Anfang an, nicht erst als Profi.

Welche wichtigen und großen Entscheidungen waren das denn?

Hier ist eine: Mit 18 bin ich zu einem U-21-Länderspiel eingeladen worden. Ich lebte damals in St. Louis, in den USA, 10 000 Kilometer von Bosnien entfernt. Das Flugticket mussten meine Eltern für mich bezahlen, für die war das damals nicht gerade billig. Und dann saß ich bei dem Spiel, einem Freundschaftsspiel gegen Slowenien, nur auf der Bank. Ich habe beobachtet, wie andere Väter ihre Söhne in die Startelf oder zum Kapitän gepuscht haben. Da habe ich mir gesagt: „Das Spiel bringst du anständig über die Bühne, egal was passiert, aber dann gehst du zurück in die USA und kommst nie wieder.“ So sauer war ich. Zehn Minuten vor Schluss wurde ich eingewechselt, ich habe zwei oder drei Leute ausgespielt und ein wunderschönes Tor geschossen. Danach ging es los. Viele Berater und Manager haben angerufen und wollten was von mir. Weil an diesem Tag das Stadion eingeweiht wurde, ein Geschenk von der Fifa, saß auch Michel Platini auf der Tribüne. Kurz darauf bin ich von Paris Saint-Germain zum Probetraining eingeladen worden.

Treffsicher. Vedad Ibisevic kann es auch mit kleinen Bällen.
Treffsicher. Vedad Ibisevic kann es auch mit kleinen Bällen.
© dpa/Hilse

Wo Sie dann auch Ihren ersten Profivertrag unterschrieben haben.

Ja, aber das war nicht absehbar. Ich hatte damals ein Stipendium von der Universität in St. Louis, durfte mit Profis eigentlich nichts zu tun haben, nicht mal ein Probetraining bestreiten. Ich habe es trotzdem gemacht. Ich habe mich versteckt und bin nur mit einer Sporttasche in Paris gewesen. Natürlich kam alles raus, im Internet waren Bilder von mir zu sehen aus einem Freundschaftsspiel gegen Juventus Turin. Es dauerte nicht mal eine Woche, da hatte ich mein Stipendium verloren – obwohl ich noch gar keinen Profivertrag unterschrieben hatte. Aber ich habe alles darauf gesetzt, dass ich das schaffe. Eine Woche später habe ich den Vertrag bekommen.

Was haben Sie studiert?

Internationales Business. Das habe ich einfach so angegeben, weil ich mir noch nicht sicher war.

Besonders eifrig haben Sie aber nicht studiert, oder?

Na ja, ich musste schon studieren. Aber das hat mich gestört bei der ganzen College-Geschichte (lacht). Am liebsten hätte ich nur Fußball gespielt.

Waren Ihre Eltern nicht schrecklich wütend, als Sie das einfach aufgegeben haben?

Nein, aber sie waren skeptisch. Sie sind Arbeiter, die ihre Kinder nach Kräften unterstützen, aber eben auch auf Nummer sicher gehen. Sie hatten Angst, wussten aber auch, dass es mein Traum ist, Fußballprofi zu werden. Am Ende war alles richtig und gut so.

Sie sind in Bosnien geboren, in die Schweiz geflohen, Ihre Schwester ist inzwischen Amerikanerin, Ihre Eltern leben in den USA, Sie selbst seit fast zehn Jahren in Deutschland. Was bedeutet Heimat für Sie?

Ich bin Bosnier und sehr stolz darauf. Das ist meine Heimat, und das bleibt für immer so. Aber durch das viele Hin und Her, das Wechseln der Länder, ist meine Heimat da, wo meine Familie ist.

Sehen Sie sich als Weltbürger?

Wenn man in so vielen Ländern gelebt hat, auch die Kulturen kennengelernt hat und die Sprachen spricht, dann kann man das so nennen. Es hilft einem schon, sich überall wohlzufühlen.

Sie waren 15, als Sie mit Ihren Eltern und Ihrer Schwester Bosnien verlassen haben. Was löst die aktuelle Flüchtlingswelle in Ihnen aus?

Ich interessiere mich sehr dafür. Weil ich aus eigener Erfahrung weiß, dass es nicht leicht ist, nur mit zwei Taschen die Heimat zu verlassen. Damals war ich noch ein Kind, das die Situation noch gar nicht richtig einordnen konnte. Heute bin ich selbst Familienvater und versuche meine Eltern zu verstehen. Niemand verlässt seine Heimat freiwillig. Deswegen habe ich Mitleid und kann die Flüchtlinge verstehen. Aber ich verstehe auch, dass es nicht so einfach ist, auf einmal so viele Menschen aufzunehmen, und dass die Leute hier irgendwann auch mal genug haben.

Sind Sie damals auch mit zwei Taschen geflohen?

Ja, natürlich. Wir haben nicht viel mitgenommen. Vielleicht noch eine Tasche für meine Schwester und mich.

Warum haben Sie Bosnien verlassen?

Der Ort, aus dem meine Familie stammt, liegt im serbischen Teil Bosniens. Selbst nach dem Krieg sind nur wenige Moslems dorthin zurückgekehrt. Wir hätten natürlich in Tuzla bleiben können, wohin wir zunächst geflohen waren, und dort ein Haus kaufen können. Aber dafür hatten meine Eltern kein Geld. Sie hatten auch keinen Job, wir waren wirtschaftlich am Ende. Das war damals eine Reise ins Ungewisse. Ich habe die Entscheidung unterstützt, weil ich gesehen habe, wie schwer es für meine Eltern war. Trotzdem wäre ich lieber geblieben, wenn sie mich damals gefragt hätten. Ich hatte meine Freunde in Tuzla, bin dort zur Schule gegangen, habe Fußball gespielt. Für mich war es normal. Ich hatte zwar nicht alles, was ich mir gewünscht habe, aber diesen Schritt wäre ich nie gegangen.

War es schwieriger für Sie als die Flucht aus Ihrem Heimatort?

Nein, die erste Flucht war viel schlimmer. Da mussten wir weg! Wir sind von den Soldaten aus unserem Haus geschmissen, aus unserem Ort vertrieben worden. Natürlich war es in gewisser Weise Glück, dass ich noch ein Kind war. Trotzdem kann ich mich an alles erinnern. Einer der Ersten, die in unserer Heimatstadt umgebracht worden sind, war mein Großvater. Das bekommst du auch als Siebenjähriger mit, wenn alle trauern und dein Großvater nicht mehr da ist. Das musst du verarbeiten und lernen, damit umzugehen.

War es Zufall, dass Ihr Großvater erschossen wurde?

Nein, das war kein Zufall.

Wenn man so etwas erlebt hat, wird man es wohl nicht als Katastrophe empfinden, als Fußballer mal auf der Bank zu sitzen?

Natürlich nicht. Solche Erfahrungen helfen dir auch. Ich sitze nicht gerne auf der Bank. Ich liebe den Fußball, ich mache alles mit Leidenschaft. Die Kritik, die schwere Zeit – das ist nicht so einfach an mir vorbeigegangen, aber man geht ein bisschen leichter damit um.

Kennen Sie Selbstzweifel?

Ja, kenn' ich. Hab' ich von gehört. Aber war bei mir nie der Fall.

Entwickeln Sie eher so etwas wie Trotz?

Na klar, wir Bosnier sind sogar bekannt dafür. Bei uns gibt es so etwas wie bosnischen Trotz. Den habe ich auch. Wenn mir Leute gesagt haben, du bist doch nicht so gut, wollte ich ihnen erst recht zeigen, dass ich gut bin. Ich habe sie gezwungen zuzugeben, dass ich doch gut bin.

Dieter Hecking, Ihr erster Trainer in Deutschland, hat nach Ihrer Verpflichtung gesagt: „Der Junge hat was. Ich weiß noch nicht was, aber irgendetwas hat er.“

Ja? Cool!

Wussten Sie damals, was Sie haben?

Wahrscheinlich nicht. Das war am Anfang meiner Karriere. Da habe ich noch gesucht, was genau meine Stärken sind.

Ist Ihr Torriecher angeboren oder erlernt?

Als Jugendlicher war ich in Bosnien Mittelfeldspieler, Zehner und Achter. Das hat mir aber nicht gefallen, ich wollte immer Tore machen. Unbedingt. Deshalb bin ich Stürmer geworden. Stürmer sind für die besonderen Momente zuständig. Dieser unbedingte Wille macht es. Dann lernt man, wie die Bälle kommen, wo man hin muss. Man folgt auch seinem Gefühl, seiner Intuition. Am Anfang in Hoffenheim wollte ich alles perfekt machen, den Ball annehmen, erst noch zwei Leute ausdribbeln. Aber das war alles unnötig. Unser Co-Trainer Tomislav Maric, der früher selbst Stürmer gewesen war, hat zu mir gesagt: „Das ist nicht dein Job. Lass den Ball klatschen, geh in den Sechzehner und mach die Tore!“ Das hat mir sehr geholfen.

Was hat Sie mehr überrascht: Herthas Aufstieg vom Fast-Absteiger auf Platz drei? Oder Ihre eigene Entwicklung vom Aussortierten in Stuttgart zum gefeierten Stürmer in Berlin?

Also, meine Entwicklung hat mich sicherlich nicht überrascht. Ich kenne ja die Gründe, warum es in Stuttgart so war, wie es war. Da war nicht ich das Problem. Mich hat überrascht, dass wir uns als Mannschaft so entwickelt haben. Und es hat mich auch mehr gefreut.

Wie ist die Mannschaft aktuell drauf?

Man wird sehen, ob die Pause uns gutgetan hat oder nicht. Aber das ist bei allen Mannschaften so. Auf uns werden die Leute schauen. Sie werden beobachten, was mit Hertha passiert. Wir dürfen deswegen nicht nervös werden. Bisher haben wir mehr erreicht als gedacht. Absteigen werden wir eher nicht mehr. Von daher müssen wir die Situation genießen und die Rückrunde mit Freude angehen.

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