HSV im Bundesliga-Abstiegskampf: Urgestein Harry Bähre: "Ich leide still vor mich hin"
Er gehörte zur ersten HSV-Mannschaft in der Bundesliga: Im Interview spricht Harry Bähre über den Abstiegskampf, Zittern in der Loge mit Uwe Seeler und Erinnerungen an eine ähnliche Situation vor 45 Jahren.
Herr Bähre, wo finden wir Sie am Samstag?
Im Stadion, wie immer. Und nicht nur ganz Hamburg, ich würde sagen: Ab 15.30 Uhr fiebert ganz Deutschland mit, der HSV ist ja eine Institution in der Liga.
Um die es mal wieder nicht gut bestellt ist.
Ein Jeder, mit dem ich rede, leidet da mit. Am meisten aber leidet Uns Uwe. Er ist ja der HSV. Wenn ich im Ausland bin und das Gespräch fällt auf den HSV, dann sagen alle sofort: Uwe Seeler!
Neben wem werden Sie das Spiel gegen Mönchengladbach verfolgen?
Es hat Tradition, dass wir uns in einer der Logen treffen. Da kommt dann ein Uwe Seeler, ein Manni Kaltz, ein Özcan Arkoç, ein Harry Bähre. Da sitzen wir dann bei Speis und Trank. Uwe und ich machen das dann immer so, dass wir nach einem Sieg ein, zwei, drei Gläser Wein trinken. Aber das haben wir in diesem Jahr eher selten erlebt (lacht).
Werden Sie sitzen oder stehen?
Eigentlich würde ich ja lieber stehen! Aber jetzt sitze ich meistens und stehe nur noch, wenn es mich wirklich vom Sitz reißt und ich hochspringe.
Auch eher selten.
In den letzten Jahren kam das nicht oft vor. Ich sehe ein Spiel ja auch als alter Fußballer, als alter Trainer, und Sie müssen sich vorstellen: Ich bin jetzt im 63. Jahr HSV-Mitglied, ich habe bis hierhin alles mitgemacht! Und die letzten fünf, sechs Jahre sind dann doch unheimlich an die Substanz gegangen.
Sind Sie ein stiller Beobachter eines Spiels oder ein lauter Hitzkopf?
Ich bin ein ganz Stiller! Früher habe ich einfach das Spiel genossen, aber heute bin ich still, weil ich innerlich so fürchterlich nervös bin. Ich leide still vor mich hin, immer mit dem Prinzip Hoffnung.
Wie gehen Sie mit Ihrer Anspannung um? Rauchen Sie Kette? Kauen Sie an Ihren Fingernägel?
Ich gebe zu: Ich rauche dann schon mal eine mehr. Ich kaufe mir die aber nicht, ich kriege die dann zugesteckt. Das ist schon eine enorme Anspannung. Wir Fußballer von früher kennen diese Situation auf dem Platz ja auch gar nicht.
Wenn es gut läuft, rettet sich der HSV am letzten Spieltag noch zum dritten Mal in den vergangenen fünf Saisons in die Relegation. Gewöhnt man sich an das Leiden?
Das erste Mal Relegation, damals vor vier Jahren gegen Fürth, tat schon fürchterlich weh. Dass wir da überhaupt reingerutscht sind! Die zweite Relegation gegen Karlsruhe hat dann schon nicht mehr so weh getan. Und letztes Jahr sind wir ja noch entlastet worden. Dieses Jahr ist es jetzt wieder schlimmer geworden. Wir sind doch der letzte Dino!
Sie selbst gehörten vor 55 Jahren zum Kader der ersten Bundesliga-Mannschaft des HSV. Wie sehr identifizieren Sie sich mit dieser ununterbrochenen Ligazugehörigkeit?
Ja gut, das ist dann vielleicht Schnee von gestern, die Realität hat uns eingeholt. Aber HSVer bleibe ich natürlich trotzdem bis an mein Lebensende! Dass da jetzt auch noch weniger schöne Erinnerungen hinzukommen, gehört vielleicht zum Leben dazu. Aber für mich gilt: Einmal HSV, immer HSV.
Haben Sie Nichtabstiegsrituale?
Ich nicht. Aber meine Frau zum Beispiel zieht zu den HSV-Spielen schon seit Monaten immer einen roten Pullover an. Auch am Sonnabend.
Gilt es beim HSV mittlerweile als eine erfolgreiche Saison, wenn man den Abstieg verhindert hat?
Ne, das kann man nun wirklich nicht sagen. Wir haben ja immerhin noch 55 Millionen investiert, wenn ich das richtig nachvollziehe. Mit diesen Ausgaben liegen wir im Vergleich zu den anderen Klubs im Mittelfeld. Wolfsburg hat 90 Millionen investiert! Und schauen Sie, was da bei denen gerade herauskommt. Ich gönne dem VfL ja nichts Schlechtes – nur an diesem Wochenende mal (lacht).
"Dann werde ich mir richtig einen einschenken"
Wolfsburg hätte bei einem Abstieg ja immerhin noch einen Erstligisten in einer anderen Sportart, das Eishockeyteam der Grizzlys. In Hamburg sähe das schon anders aus. Kein Eishockey mehr, kein Handball mehr...
... kein Volleyball mehr. Hamburg war ja mal eine richtige Sportstadt! Und bald haben wir vielleicht nur noch den Marathon-Lauf. (Lacht) Mal schauen, wie lange es den noch gibt.
Wie wichtig wäre da in dieser Saison der Klassenerhalt?
Ich würde sagen: Wichtiger geht gar nicht. Und mal nur für den HSV gesprochen: Wir müssen dann endlich einen Neuaufbau wagen mit der Jugend. Der Titz und der Peters (Trainer und Nachwuchskoordinator, Anm. d. R.) sind dazu in der Lage, sie hören das raus: Das wäre mein absoluter Traum!
Sie würden also mit Christian Titz verlängern?
Ich will Ihnen mal was sagen: Nehmen wir das Frankfurt-Spiel weg, hat Titz in zuvor sechs Spielen zehn Punkte geholt, das können Sie ja mal hochrechnen. Aber das Wichtigste ist dabei ja: Die Mannschaft hat wieder Fußball gespielt. Was der Holtby da neulich gesagt hat... das stimmt ja! So eine Trainerleistung wie von dem Titz habe ich hier in Hamburg noch nicht erlebt: dass einer in sechs Wochen das ganze Spiel umbaut und es wird wieder Fußball gespielt. Nicht immer nur lange Bälle und keiner kriegt den, da wurde ja zum Teil richtig Tiki Taka gespielt – mit vielen Eigengewächsen aus der Jugend.
Wo hatte man die eigentlich alle versteckt?
Ich fühle mich gerade an die Siebziger Jahre erinnert mit Kaltz, Hidien, Krobbach, Memering, Eigl, Kargus, damals alle so 19, 20 Jahre alt – da waren wir in einer ähnlichen Situation wie jetzt. Mit neun Punkten waren wir da nach der Halbserie Letzter, dann haben die Jungs sich so stark entwickelt und sind am Ende noch Vierzehnter geworden. Und dann begann so langsam die erfolgreichste Ära des HSV.
Sagen Sie gerade den nächsten Meistertitel voraus?
Wo denken Sie hin! Aber mit dem Titz haben wir jetzt eine große Chance, denn Talente haben wir genug.
Würde der Verein einen Abstieg überleben?
Wenn wir jetzt runtergehen, dann sind wir schon sehr groß im Nachteil, das holt man vielleicht nie wieder auf.
Was passiert dann am Samstag in der Loge? Fließen da auch ein paar Tränchen?
Ach was, man sieht das ja realistisch über die Zeit. Ich vermute auch, dass wir dann kein Trübsal blasen werden. Innerlich sind wir aber schon ziemlich geschafft. Mit Uwe trinke ich dann wohl trotzdem einen Weißwein, egal wie das Spiel ausgeht.
Der HSV bräuchte ein ganz neues Image.
Der Dino ist dann erledigt, klar. Und dann wird auch die Uhr abgebaut. Ich habe schon überlegt, ob ich die Uhr abkaufe und mir dann hier in den Garten stelle (lacht). Das war ein Gag!
Glauben Sie denn noch an eine Rettung?
Leider nicht. Ich habe schon vor Monaten all die Wetten mit meinen Freunden auf Abstieg gelegt.
Kein Fünkchen Hoffnung mehr?
Die Wolfsburger scheinen mir völlig desolat zu sein, da spielen ja namentlich doch ganz gute Leute. Aber die haben wohl alle den Koffer schon in der Garderobe stehen. Und genau da liegt meine Hoffnung: Auch dass die Kölner sich anständig verabschieden wollen. Und wenn wir gegen Gladbach unsere Pflicht erfüllen …
... und der HSV sich noch in die Relegationsspiele rettet…
... dann verspreche ich Ihnen: Dann werde ich mir richtig einen einschenken.