Eisbären Berlin: Umbruch als Chance?
Zehn Spieler könnten die Eisbären Berlin nach dieser Saison insgesamt verlassen. Der Klub steht vor einem Umbruch. Das könnte auch eine Chance sein.
Peter John Lee lehnt sich zurück. Der Geschäftsführer der Eisbären fragt: „Sag, mal Barry, wie lange bist du eigentlich schon bei uns in Berlin?“ Barry Tallackson antwortet: „Seit fünf Jahren. Du hast doch den Vertrag gemacht.“ Lee, ungerührt: „Und?“ – „Es ist Zeit für einen Luftwechsel. Der Mark...“ Lee unterbricht: „Mark Mahon? Der wäre ohne uns nicht Sportdirektor bei den Kölner Haien. Wo war er denn vorher Co-Trainer? Wer gab ihm die Chance, Fuß in der DEL zu fassen?“ Tallackson: „Die Eisbären.“ Lee: „Und wer gab dir die Chance, in der schönsten Stadt Deutschlands zu spielen?“ Tallackson: „Die Eisbären“. Lee: „Und wen willst Du verlassen, um nach...“ Der Geschäftsführer schaut auf seinen Spickzettel: „Köln zu gehen?“ Tallackson: „Die Eisbären.“
Zugeben, die Szene hat sich so nicht abgespielt auf der Geschäftsstelle der Eisbären. Zumal der Kanadier Lee und der US-Amerikaner Tallackson in ihrer Muttersprache Englisch kommunizieren. Aber Geschäftsführer und Topstürmer reden dieser Tage miteinander. Lee hat gemeinsam mit Sportdirektor Stefan Ustorf und Trainer Uwe Krupp nach dem Aus im Play-off-Viertelfinale gegen Köln viele Personalgespräche geführt – nicht immer nur mit Erfolg: Zehn Spieler werden die Eisbären wohl verlassen. Dabei hieß es vor einer Woche im Klub-Umfeld noch, dass für die kommende Saison nur ein paar Stellschrauben zu justieren seien. Nun steht fest: Die Eisbären Berlin stehen vor dem größten Umbruch, seit 2002 der ehemalige Trainer Pierre Pagé den Klub in seine neue erfolgreiche Ära im deutschen Eishockey führte. Zwei Torhüter, sieben Verteidiger und neun Stürmer sind nach dem Exodus noch im Kader. Und die Zahl ist noch geschönt, denn der junge Verteidiger Kai Wissmann kam vergangene Saison kaum zum Einsatz in Berlin und seine Defensivkollege Bruno Gervais muss nach seinem Kreuzbandriss erst einmal wieder gesund werden.
Doch ist die personelle Situation nun Chance oder Belastung für die Eisbären? Momentan wirken sie bei den Berlinern so, als seien sie von der Situation überrumpelt worden. In den Fällen Tallackson und Mark Olver sei man noch am Verhandeln, sagt Lee. Und dass ein junger Verteidiger wie Henry Haase, im eigenen Klub groß geworden, gehe, sei schade, habe aber „auch geschäftliche Gründe“, sagt Ustorf. In anderen Fällen können die Berliner nicht überrascht sein: Das zuletzt in Dresden groß aufspielende Talent Vladislav Filin soll bereits im Januar in Nürnberg unterschrieben haben. Dass ein Mark Bell seine Karriere trotz Comeback mit fast 36 beendet, ist keine Sensation. Noch schwerer wiegen die Abgänge von Petr Pohl (Ingolstadt) und Travis Mulock (Köln) – zumal der Tscheche und der Kanadier mit deutschem Pass in Berlin gespielt haben.
Zurzeit steht nur 18 Profis im Kader der Eisbären
Von zurzeit 18 Profis im Aufgebot haben aber nur sechs keinen deutschen Ausweis. Nach dem Zugang von Nick Petersen aus Iserlohn sind nur noch fünf Kontingentstellen im Kader frei. „Und die wollen wir nicht alle sofort besetzen“, sagt Ustorf. Uwe Krupp hat nun die Möglichkeit, das Team im dritten Jahr seiner Amtszeit nach seinen Vorstellungen zu formen. Es wird eine arbeitsintensive spielfreie Zeit für Trainer, Geschäftsführer und Sportdirektor. Was die deutschen Spieler betrifft, müssten sie allerdings schon weit sein, denn da sind im April erfahrungsgemäß für die nächste Saison schon alle Verträge fix. Beim ausländischen Personal bietet sich aber noch die eine Einkaufstour an - eben die nach Nordamerika.
Der Umbruch geht allerdings nicht ganz ohne Hypothek: Als Krupp Ende 2014 nach Berlin kam, forderte er, dass Busch, Rankel und Co. nun die Führungsspieler sein müssten. Diesem Anspruch wurde das deutsche Quartett mit den sieben Meistertiteln nur zum Teil gerecht – André Rankel war zuletzt als Kapitän bester Torschütze. Aber die vier Gutverdiener aus dem Jahrgang 1985 sind bei den Eisbären und ihren Fans nicht wegzudenken. Und dann gab es in dieser Saison – nicht ungewöhnlich – Grüppchenbildung im Team. Die nordamerikanische Fraktion war wohl oft für sich. Erschwerend kommt hinzu, dass der finanzielle Spielraum bei den Eisbären geringer ist als etwa in Mannheim oder Nürnberg.
Es kommt eine Geduld fordernde Aufbauzeit auf die Eisbären zu. Geschäftsführer Lee hat Geduld: „Unter Pierre Pagé kam der erste Titel auch erst in seiner vierten Saison.“ Wobei Krupp ja Erfolg und Aufbau auch in Einklang bringen kann, wie er schon bewiesen hat. Hilfe beim Einkaufen braucht der Trainer natürlich. Mancher Spieler will eben nicht nur wegen der tollen Stadt Berlin in Berlin sein. Bei den Kölner Haien bestätigen sie die Verpflichtung von Barry Tallackson übrigens noch nicht. Gelingt es den Berlinern, den US-Amerikaner vom Bleiben in Berlin zu überzeugen? Vielleicht wäre das gar nicht mal so gut. Tallackson wird im Sommer 33 Jahre alt.