Davie Selke über Klinsmann und Hertha BSC: „Um die Stürmer kümmert er sich gern auch mal selbst“
Hertha-Stürmer Davie Selke ist beeindruckt von der Aufbruchstimmung unter Klinsmann. Ein ausführliches Interview zur Entwicklung des Klubs und dem Saisonziel.
Davie Selke, 24, stürmt seit dem Sommer 2017 für Hertha BSC. Unter Jürgen Klinsmann hat er Kapitän Vedad Ibisevic aus der Startelf verdrängt. Darüber und mehr haben wir mit Selke im Interview vor dem Bundesliga-Spiel gegen den FC Bayern München gesprochen.
Herr Selke, wie groß sind Sie?
1 Meter 94.
Sind Sie sicher, dass Sie seit Ende November nicht ein bisschen gewachsen sind?
(Lacht) Nee, seitdem nicht. Aber ich habe mal meine Schuhe kontrolliert: wie weit meine Hacke herausragt.
Sie spielen auf Ihr Tor gegen Dortmund an, das wegen einer minimalen Abseitsstellung nicht gegeben wurde ...
... ja, leider. Das wäre perfekt gewesen: das erste Spiel unter Jürgen Klinsmann und gleich das erste Tor.
Trotzdem: Seitdem Klinsmann bei Hertha als Trainer arbeitet, wirken Sie wie aufgeblüht. Als wären Sie tatsächlich noch ein Stück gewachsen.
Ich glaube schon, dass es etwas mit mir gemacht hat. Wenn du als Spieler das Vertrauen deines Trainers kriegst, ist es immer gut. In der Phase befinde ich mich gerade. Jetzt möchte ich es hinbekommen, dieses Vertrauen auch in Tore umzumünzen. Gegen Dortmund war es ärgerlich. Aber ich mache weiter. Ich versuche, die Bälle vorn zu halten, Meter zu machen für das Team und mich so in Position zu begeben, um wieder auf die Score-Liste zu kommen.
Spielt es eine Rolle, dass Sie wie Klinsmann Schwabe sind?
Wir haben mal kurz darüber gesprochen, aber große sportliche Auswirkungen hat es nicht. Ich glaube, jeder ist mit dem Trainer gut. Er ist ein kommunikativer, offener Mensch.
Schwätzen Sie wenigstens Schwäbisch miteinander?
Dazu bin ich schon viel zu lange weg aus dem Schwabenland. Das müsste ich erst wieder lernen (lacht).
Seit der WM 2006 ist Klinsmann bekannt als Motivator. Wie erleben Sie ihn bei Hertha?
Die meisten von uns kennen das Sommermärchen und haben gesehen, dass er mit seiner Art Euphorie entfachen kann. Hier geht er ähnlich vor. Er hat auch bei Hertha eine Aufbruchsstimmung hinbekommen. Das beeindruckt mich. Seine Ansprachen sind sehr gut und detailliert, aber nicht zu lang. Es ist immer klar, was er von uns will.
Was tut er fußballerisch?
Um die Stürmer kümmert er sich gern auch mal selbst. Das ist auch in unserem Sinne. Ansonsten wirft er lieber einen Blick von außen auf das Geschehen und steuert das große Ganze. Er überlässt vieles Alexander Nouri, der mit Markus Feldhoff taktisch sehr stark ist. Im Training tritt Jürgen Klinsmann gern einen Schritt zurück. Er beobachtet, zieht seine Schlüsse und teilt sie uns dann mit.
Unter Klinsmann standen Sie in allen fünf Spielen in der Startelf. Hat er Ihnen das von vornherein so angekündigt? Oder ist es Woche für Woche eine neue Entscheidung?
Ich glaube, dass er anfangs eine Mannschaft zusammengestellt hat, von der er gedacht hat, dass sie für die Situation am besten geeignet ist. Da war ich mit dabei, und dann haben wir es ja auch nicht schlecht gemacht bis Weihnachten.
Sie haben vier Spiele hintereinander nicht verloren – aber jetzt kommen die Bayern! Was fällt Ihnen zu denen ein?
Ausverkauftes Haus, geiles Spiel. Und dass wir in den letzten Spielen gegen die Bayern eine gute Figur abgegeben haben. Deswegen freue ich mich auf dieses Spiel.
Was ist möglich?
Es ist auf jeden Fall etwas möglich. Wir sind gerade unangenehm zu bespielen, das hat man vor der Winterpause gesehen. Wir freuen uns auf einen sehr starken Gegner, auf einen geilen Kampf. Ich spüre ja auch, wie fokussiert die Jungs hier alle sind.
Herthas Spiel ist unter Klinsmann generell laufintensiver und zweikampforientierter geworden.
Absolut. Wir stehen tiefer, wir stehen kompakter. Jeder hat seinen Bereich, in dem er arbeiten, in dem er zum Ball gehen muss und seinen Gegenspieler hat. Das passt gut zu meinem Spiel. Ich mag es, gegen den Ball zu arbeiten.
Bei den Bayern spielt Robert Lewandowski. Wie sehen Sie ihn, so als Kollegen?
Meiner Meinung nach ist er momentan der beste Mittelstürmer der Welt. Er ist sehr klar in seinen Aktionen, bringt sich immer wieder in Position, und sein Abschluss ist wirklich beeindruckend.
Gucken Sie sich seine Aktionen konkret an?
Natürlich. Ich gucke mir schon an, wie er die Tore erzielt. Aber nicht nur bei Lewandowski, sondern bei allen Topstürmern. Wie Lewandowski die Bälle annimmt – das ist schon ein sehr hohes Niveau, über das wir hier reden. Er hat eine herausragende Technik. Aber was mir besonders imponiert: wie er sich die Bälle zum Abschluss zurechtlegt, ein bisschen vom Verteidiger weg, so dass er sich etwas Zeit verschafft.
Lewandowski ist 31 Jahre alt und in der Form seines Lebens. Macht Ihnen das ein wenig Hoffnung?
Wieso Hoffnung?
Dass Sie noch nicht zu alt sind für den großen Durchbruch.
Das ist unabhängig von Lewandowski und seinem Alter. Ich gucke auf mich. Ich schaue, was ich verbessern muss, um wieder besser in Position zu kommen. Ich gucke, woran ich arbeiten kann und was in meiner Hand liegt. Wenn der Ball abgefälscht wird und an den Pfosten geht, dann kann ich nichts dafür. Wenn aber der erste Kontakt nicht sauber ist – dafür kann ich was. Daran muss ich arbeiten. Und daran arbeite ich schon. Ich habe gute Phasen gehabt. Jetzt bin ich in einer Phase, in der ich mich wieder zurückkämpfen muss. Und wenn ich wieder in die richtigen Bahnen komme, dann warten auch wieder Tore auf mich.
Haben Sie auch mal geschaut, wie Jürgen Klinsmann es als Stürmer gemacht hat?
Ich habe tatsächlich ein paar Szenen von ihm gesehen. Wie er in die Tonne tritt (lacht). Nein, auch Spielszenen. Er war auch ein wuchtiger Spieler, sehr kopfballstark. Aber wichtiger ist für mich, welche Tipps er mir gibt. Das klappt ganz gut.
Welche Tipps sind das?
Es sind Kleinigkeiten, Details. Er sieht, was ich gut mache. Aber darüber reden wir nicht lange. Er sagt mir vor allem, was ich besser machen kann. Zum Beispiel bei Flanken, die in den Strafraum kommen.
Nämlich?
Dass ich mich geschickter und schneller von meinem Gegenspieler löse. Nicht so statisch bin, sondern versuche, in die Räume zu gehen.
Gab es da für Sie einen Aha-Moment?
Den gab es tatsächlich, genau in solchen Situationen. Ich beschäftige mich mehr mit mir selber, als vielleicht viele von euch denken. Ich gehe nach dem Spiel nicht nach Hause und denke: Geil, drei Punkte, jetzt geht es weiter. Ich analysiere beispielsweise, wie ich häufiger und besser in gefährliche Räume komme. Natürlich gibt es auch Momente, wo du kurz gehst, und der Ball wird lang gespielt. Oder umgekehrt. Aber wie erhöhe ich die Wahrscheinlichkeit, dass der Ball wieder öfter zu mir kommt?
In den Testspielen haben Sie immerhin drei Tore erzielt. Es wird also wieder, oder?
Von mir aus darf es gern so weiter gehen. Aber im Sommer habe ich auch drei oder vier Testspieltore gemacht, und dann passte es anschließend trotzdem nicht. Ich will jetzt wieder dahin kommen, wo ich schon mal war: als ich die Bälle reingemacht habe. Ich arbeite vor allem an meinem ersten Kontakt. Es gab schon Beispiele, wo ich mir sage: Hätte ich den Ball besser angenommen, wäre ich besser zum Abschluss gekommen. Das sehe ich und daran arbeite ich.
Beschäftigt Sie Ihre persönliche Bilanz mit nur einem Tor in der Hinrunde noch? Oder haben Sie das hinter sich gelassen, weil Sie nur nach vorn denken?
Beschäftigen tut es mich nicht, aber ich setze mich damit auseinander. Natürlich ist das nicht die Quote, die ich mir vorstelle und mit der ich zufrieden sein kann. Wenn ich in der Saison zweistellig treffen will, sind das vier Tore zu wenig. Trotzdem lasse ich mich davon nicht aus der Ruhe bringen. Stattdessen frage ich mich: Was kann ich verbessern?
Bleibt es bei Ihrem Saisonziel, zweistellig zu treffen?
Die Möglichkeit besteht natürlich immer noch. Wenn ich gut in die Rückrunde reinkomme, wenn ich drei, vier Tore in den ersten sieben, acht Spielen mache, dann geht was. Aber ich will jetzt keine Zahl nennen.
Profitieren Sie von der Euphorie, die rund um Hertha entstanden ist? Gehen Sie inzwischen wieder lieber zur Arbeit?
So würde ich das nicht sagen, weil es sich bezogen auf die Situation davor extrem negativ anhören würde. Und das wäre nicht richtig. Es ist spannend! Das trifft es ganz gut. Es tut sich viel. Unsere Kabine wurde gerade umgebaut, es wird noch mehr Wert auf Ernährung gelegt, alles wird noch professioneller. Es gibt viele Möglichkeiten, wie man sich immer noch verbessern kann, in allen Bereichen. Und diese Möglichkeiten werden beeindruckend schnell umgesetzt.
Auch in den Kader ist Bewegung gekommen: Er wird ausgedünnt, der Druck nimmt zu ...
Stimmt. Das nehmen wir auch wahr. Aber eher positiv. Als Ansporn. Man muss ackern, man muss liefern. Sonst kann es schnell gehen.
Reden Sie in der Mannschaft darüber, wenn mal wieder ein prominenter Name als potenzieller Neuzugang ins Spiel gebracht wird?
Wir reden eher über die Entwicklung, die Hertha nehmen will. Wir waren ja neulich bei Lars Windhorst auf dem Boot eingeladen. Wobei: Boot trifft es nicht ganz, eher Yacht. Es war gut, ihn kennenzulernen, seine Vision zu hören. War ein angenehmer Abend. Da hat man auch die Power gespürt. Jeder Spieler, der hier ist, will alles dafür tun, so lange wie möglich zu dieser Entwicklung beizutragen und die Chance zu nutzen, mit dem Klub zu wachsen.
Kommt einem nicht auch mal der Gedanke: Hoffentlich wächst der Klub mir nicht über den Kopf?
Gute Frage, aber das muss jeder für sich selbst definieren. Entweder du sagst: Du hast Angst, weil ... Oder du sagst: Es ist eine Chance, weil ... Wenn ich den Weg mitgehe, ist es eine Riesenchance hier. Da hast du Berlin, da hast du einen Klub, der das Potenzial hat, auch international vertreten zu sein. Wenn du da mitwachsen kannst, das ist doch was! Jeder sollte das eher als Chance sehen und keine Angst haben, dass man vielleicht nicht mehr mitkommt. Das wäre nicht gut für den Kopf.
Wissen Sie aus dem Kopf, wie viele Punkte es auf die Abstiegsplätze sind?
Ich weiß, dass es nicht allzu viele sind. Und ich weiß, dass wir Zwölfter sind.
Vier Punkte sind es bis zu Platz 16. Wissen Sie auch, wie viele Punkte Abstand Sie auf Platz sechs haben?
Das habe ich erst vor ein paar Tagen nachgeschaut. Das müssten neun sein. Nach unten sind es auf jeden Fall weniger.
Sie schielen also schon noch nach oben.
Auf keinen Fall. Ich habe nur gedacht, dass sich Zwölfter eigentlich gar nicht so schlecht anhört, wenn man überlegt, wo wir noch vor ein paar Wochen standen. Aber es wäre fatal, wenn wir jetzt nach oben gucken. Das machen wir auch nicht. Wir sind Realisten genug, weil wir auch wissen, dass uns jetzt ein schweres Programm bevorsteht. Aber wir haben Bock. Wir haben Bock auf mehr – weil wir uns da unten rausgekämpft haben, weil es da unten eklig war und wir trotzdem entspannt geblieben sind.