Big Point für Hertha BSC: Um die eigene Mitte
Hertha BSC gelingt mit dem Sieg beim 1. FC Köln ein Big Point, der die Bilanz dreht und Selbstvertrauen schenkt. Statt sechs Spielen ohne Sieg heißt es jetzt: Hertha hat nur eines der vergangenen elf Pflichtspiele verloren.
Rainer Widmayer verzog das Gesicht und musste sich erst einmal den Druckschmerz aus dem Oberarm massieren. Offensichtlich hatte Pal Dardai, sein Chef, ordentlich zugepackt. Praktisch mit dem Schlusspfiff waren sich der Trainer von Hertha BSC und sein Assistent Widmayer laut schreiend in die Arme gefallen, sie hüpften einmal eng umschlungen um die eigene Mitte, und erst nach einer gefühlten Ewigkeit ließen sie wieder voneinander ab. Da organisierte Kapitän Fabian Lustenberger schon die nächste Jubelrunde. Der Schweizer winkte die komplette Ersatzbank aufs Feld, wo die Delegation aus Berlin einen großen Kreis bildete. So ausgelassen feiert man ganz sicher keinen biederen 1:0-Sieg.
Das 1:0 des Berliner Fußball-Bundesligisten beim 1. FC Köln war auch alles andere als ein biederer 1:0-Sieg. Es war ein Big Point für Hertha, eine richtig fette Ernte nach einer elendig langen Dürrephase. „Es hat sich auf jeden Fall nach viel angefühlt“, sagte Mitchell Weiser, der erstmals als Profi an die Stätte seines Bundesligadebüts zurückgekehrt war.
„Drei Punkte, endlich!“, sagte Mittelfeldspieler Per Skjelbred. Fünf Spiele mussten die Berliner auf dieses Glücksgefühl warten. Dass sie immerhin viermal unentschieden gespielt hatten, ließ die Bilanz noch halbwegs erträglich erscheinen. Von einem freien Fall konnte keine Rede sein, der Trend aber sprach zuletzt eher gegen Hertha. „Der Druck ist langsam gestiegen“, sagte Vedad Ibisevic, der gegen die Kölner mit seinem ersten Tor im Jahr 2016 Herthas ersten Sieg im Jahr 2016 sichergestellt hatte. „Das war wichtig, weil wir einfach wieder Selbstvertrauen brauchten.“ Statt sechs Spielen ohne Sieg heißt es jetzt: Hertha hat nur eines der vergangenen elf Pflichtspiele verloren.
Im Nachhinein erwies sich der Spielplan als Segen
Der erste Sieg der Rückrunde war nicht nur fürs eigene Selbstverständnis wichtig; er war auch ein Big Point im Kampf um einen Platz im Europapokal. Dass Hertha nach gerade mal vier von fünfzehn möglichen Punkten in der Rückrunde immer noch auf Platz drei der Tabelle lag, mutete ja fast schon komisch an. Es war nur bedingt das Verdienst der Berliner. „Viele große Mannschaften haben gewackelt, die nicht hätten wackeln dürfen“, sagte Trainer Dardai. Aber auf Dauer ist es kein tragfähiges Konzept, sich allein auf die Schwäche der Verfolger zu verlassen. Insofern war der Auswärtssieg auch ein Signal an die Konkurrenz: Okay, wenn ihr nicht wollt, dann überlegen wir uns das mit der Champions League vielleicht doch noch einmal.
Im Nachhinein erwies sich sogar der Spielplan als Segen. Die Berliner haben am Freitagabend erst einmal vorgelegt. Dritter bleiben sie auch nach dem 23. Spieltag in jedem Fall – egal was bis Sonntagabend noch passiert. „Wir haben den Druck auf die Mannschaften erhöht, die hinter uns stehen“, sagte Salomon Kalou. Zudem erwischte Hertha den perfekten Einstieg in die englische Woche. „Jetzt kommen zwei wichtige Spiele, die du gewinnen kannst“, sagte Trainer Pal Dardai. Am Mittwoch gastieren die zuletzt taumelnden Frankfurter im Olympiastadion, am Sonntag spielen die Berliner beim Hamburger SV, gegen den sie die vergangenen fünf Spiele gewonnen haben, und das jeweils zu null.
Optimistisch betrachtet können die Berliner in einer Woche also bereits 45 Punkte gesammelt haben – bei nur noch neun ausstehenden Spielen. Laut Dardai wäre das immer noch ein Punkt zu wenig für eine grundsätzliche Neubewertung der Situation. Die will Herthas Trainer erst vornehmen, wenn die Mannschaft 46 Punkte beisammen hat, zehn mehr als in der kompletten Vorsaison. „Wir träumen nicht“, sagte Pal Dardai. „Ich glaube, das ist unsere Stärke.“
Aber jetzt, da bereits mehr als zwei Drittel der Saison gespielt sind, ist Herthas Platzierung weit mehr als eine Momentaufnahme. „Sie tun nicht viel fürs Spiel“, sagte der Kölner Torhüter Timo Horn, „stehen mit dieser Art Fußball aber zu Recht da oben.“ Sein Trainer Peter Stöger bescheinigte den Berlinern „den reiferen, abgebrühteren, besseren Eindruck“.
Zum zehnten Mal in dieser Saison bliebt der Berliner Bundesligist ohne Gegentor. Nur in der Schlussphase, als sich das Spiel laut Dardai „in Richtung zweiter englischer Liga“ bewegte, musste die Mannschaft noch ein paar Schreckmomente überstehen. Die Kölner probierten es mit Wucht – Hertha setzte Wucht dagegen. „In Bremen haben wir ein solches Spiel noch unentschieden gespielt“, sagte Herthas Trainer Pal Dardai. „Jetzt haben wir es gut verteidigt.“ Der Fortschritt geht weiter.
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