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Radfahren ist krisensicher, sehr umweltfreundlich und vor allem meistens auch gesund.
© Getty

Faszination Fahrrad: Training, Naturerlebnis, Weg zur Arbeit – fünf Liebeserklärungen

Radfahren kann man fast immer – auch ganz unbeschwert in Krisenzeiten. Hier erzählen Profis, Trainer und Hobbyfahrer, was sie daran begeistert.

Fasziniert von der Freiheit

Am Radfahren fasziniert mich am meisten die Vielseitigkeit. In jeder Form und bis ins hohe Alter ist auf dem Rad alles möglich. Ob auf der Straße, im Gelände oder auf der Radrennbahn, das Rad macht alles mit und interessiert sich auch nicht für die Jahreszeit. Und durch die E-Bikes wird der Kreis der Nutzer sogar noch größer. Nun können auch Menschen mit einem Handicap ebenso mit den Freunden eine Runde drehen wie Eltern, die mit Anhänger, Kind und Kegel einmal zusammen ins Grüne fahren wollen.

Die Freude am Radfahren zieht sich durch alle Bevölkerungsschichten, das erlebe ich auch auf meinen Events. Egal aus welcher gesellschaftlichen Gruppe jemand kommt, Radfahren verbindet. Die Bewegung in der Natur und die Geschwindigkeit begeistern alle, denn man ist schneller als beim Gehen und langsamer als beim Motorrad- oder Autofahren.

Ich weiß noch, als Kind war ich fasziniert von der Freiheit, die ich plötzlich durch das Radfahren erlangte. Der Bewegungsradius im Gegensatz zum Gehen vergrößerte sich deutlich. Damals stand ich am Straßenrand, als die Friedensfahrt auch einmal durch unseren Ort führte. Dieses Geräusch der vielen Rennräder, die glitzernden Speichen, Felgen und vorbeirauschenden Farben – das alles war später der Inbegriff von Geschwindigkeit, die ich auch erreichen wollte.

Hanka Kupfernagel bei der deutsche Meisterschaft im Cyclocross 2019.
Hanka Kupfernagel bei der deutsche Meisterschaft im Cyclocross 2019.
© imago/Beautiful Sports

Der Radsport hat mich dann auch nie wieder losgelassen. In keinem anderen Sport kommt man als Zuschauer so dicht an die Top-Athleten heran. Bei einer Bergetappe der Tour, einem Klassiker wie der Flandern-Rundfahrt oder einem Cyclocross-Rennen ist man auf Armlänge am Renngeschehen dran. Das ist ein großartiges Gefühl, ein echter Hexenkessel und das nicht nur für die Zuschauer – als Sportler gibt einem das natürlich einen besonderen Kick. Dass sich dieser Faszination keiner entziehen kann, sieht man am besten bei den Kindern, wenn man sie einmal zu solch einem Ereignis mitgenommen hat. Ich freue mich schon, wenn ich meinem Sohn das erste Mal die Faszination Radsport am Streckenrand zeigen kann. (Hanka Kupfernagel, Radrennfahrerin)

Fasziniert von der Tour

Es war Liebe auf den ersten Blick, was damals vor über 40 Jahren begann. Ich weiß noch genau wie alles mit dem Radsport und mir anfing. Es war der Sommer 1977, als Didi Thurau bei der Tour de France im Gelben Trikot fuhr. Ich durfte als Zwölfjähriger auf die Wohnung eines Freundes aufpassen, der mit seinen Eltern im Urlaub war. Dort stand ein Farbfernseher und ich habe mir nachmittags das Spektakel im Fernsehen angeschaut. Die Zuschauer an der Strecke, diese gigantischen Berge, die Rennräder mit den schmalen Reifen und dann die Fahrer in ihren bunten Trikots, die sich über Hunderte von Kilometern oft bis zur völligen Erschöpfung verausgabt hatten: Das alles beeindruckte mich. Thurau hat die Frankreich-Rundfahrt damals nicht gewonnen, aber für mich war klar, ich wollte auch Radrennfahrer werden.

Dietrich Thurau im Gelben Trikot bei der Tour de France 1977.
Dietrich Thurau im Gelben Trikot bei der Tour de France 1977.
© imago images/Sportfoto Rudel

Radrennen bin ich dann zwar gefahren, aber die große Sportkarriere ist es nicht geworden. Ich habe irgendwann eingesehen, dass man aus einem Esel kein Rennpferd, sondern maximal einen Rennesel machen kann. Das reichte aber nicht für die Tour oder die großen Klassiker, sondern maximal für das kleine Rundstreckenrennen in Spandau. Trotzdem bin ich dem Radsport immer treu geblieben und versuche seitdem, meine Begeisterung dafür anderen nahe zu bringen.

Denn es ist nicht nur der sportliche Aspekt, der mich beim Radfahren so sehr fasziniert. Man kommt jederzeit überall hin und in der Regel auch wieder zurück. Auf dem Fahrrad ist man frei. Wer einmal kilometerlang einen Berg hinaufgefahren ist und dann von oben auf die Welt hinunterschaut, der kennt vielleicht dieses Gefühl.

Und das Gute ist: Das Radfahren an sich und der Radsport im Besonderen ist eigentlich keine Raketenwissenschaft. Es fängt immer damit an, dass man sich erst einmal auf das Fahrrad setzt und einfach losfährt. Am Ende gilt immer noch der alte Rennfahrer-Spruch: Radfahren kommt von Radfahren. (Michael Wiedersich, Radsporttrainer)

Fasziniert vom Tempo

Es ist diese Geschwindigkeit, sie kommt allein von der Kraft der Beine – das ist es, was mich am meisten fasziniert. Skifahren, Schlittschuhlaufen, Radfahren, das sind drei Sportarten, die mich immer begeistert haben, in jedem Alter. Abseits des Mannschaftsports natürlich, eben auch, weil sie sich abseits des Mannschaftsports betreiben lassen. Ganz allein und ganz allein in Gedanken und das ist der Reiz. Ich fahre am liebsten ohne Begleitung.

Schnee und Eis sind nicht immer verfügbar, das Fahrrad aber schon. Oder eben in meinem Fall die Fahrräder, unser Keller ist vollgestopft damit. Ich werde schon mal aufgefordert, ob ich nicht eines der alten Räder verkaufen könne – bisher habe ich mich fast immer erfolgreich dagegen gewehrt. Ich trenne mich einfach nicht gerne, da kleben ja Erinnerungen dran, Touren und Urlaube.

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Ich war lange weit davon entfernt, das Radfahren mal ernsthaft zu betreiben, Radfahren musste ich, um zur Schule zu kommen. Früher habe ich Fußball und Eishockey gespielt, Ski fahre ich von klein auf, Radfahren sah ich sehr lange eher als Notwendigkeit denn als Sport. Aus dieser Notwendigkeit ist aber eine große Liebe geworden.

Ein Tag ohne Radfahren, den gibt es bei mir nicht. Und wenn das mal passiert, dann bekomme ich schlechte Laune. Da fehlt mir was. Zum Glück habe ich es relativ weit zum Büro, die fast 15 Kilometer hin und zurück sind ein Geschenk, denn zur Arbeit mit dem Fahrrad zu fahren, das befreit. Da klingelt bei mir kein Smartphone, da muss ich nicht noch schnell eine E-Mail beantworten oder eine Glosse schreiben, wie ich das in der S-Bahn zu oft mache.

Bei Arbeit im Homeoffice ist das sogar noch besser, da kann ich mir jeden Tag eine andere Route aussuchen. Und ich bin ein Freak: Lange habe ich mich gegen ein E-Bike gewehrt (siehe erster Satz), jetzt habe ich doch ein ziemlich Gutes. Ab und an benutze ich es, trotz des Hilfsmotors – er ist leise und er gibt keinen stinkenden Qualm von sich. ( Claus Vetter, Hobbyfahrer)

Faszination Dreiradsport

Ich bin ein Radfahrer mit Behinderungen und nicht auf normalem Weg zum Radsport gekommen, sondern nach einem unverschuldeten Unfall. Per Rezept bekam ich damals ein Dreirad verordnet und musste mir da die Faszination erst erarbeiten. Als damals 37-Jähriger fand ich das Dreirad gar nicht faszinierend, das habe ich zunächst mit der Kindheit assoziiert. Aber durch Motivation im Umfeld und viel Zuspruch von Freunden und Familie fing ich irgendwann an, die Freiheit und meine neue Mobilität zu genießen. Das Radfahren wurde dann bei mir schließlich zum Leistungssport. Bei den Paralympics in Rio im Jahr 2016 gewann ich Gold im Einzelrennen und im Straßenrennen. Heute bin ich mit fast 62 Jahren stolz darauf, der älteste im deutschen paralympischen Team zu sein.

Paralympics-Sieger Hans Peter Durst
Paralympics-Sieger Hans Peter Durst
© imago images / Beautiful Sports

Das Radfahren eröffnet mir mit meinen Einschränkungen viele Möglichkeiten. Autofahren kann ich nicht, gehen kann ich nicht sehr gut. Aber auf dem Rad kann ich mit sehr vielen Menschen mithalten, natürlich nicht mit einem Profi wie Hanka Kupfernagel. Aber anderen Radfahrern fahre ich auch davon, so ein Dreirad ist ja schon ein sehr anspruchsvolles Sportgerät geworden. Das ist heutzutage schon fast wie ein normales Rennrad.

Natürlich gibt es bei mir keinen Tag ohne Radfahren. Was mir besonders gefällt: Es fordert den ganzen Körper. Ich bin fasziniert vom Dreiradsport. (Hans-Peter Durst, Paralympicssieger)

Faszination Langsamkeit

Ich bin mir sicher, dass mich Hans-Peter Durst auf seinem Dreirad locker abhängen würde. Für mich ist der Weg das Ziel. Radfahren wird auch dann nicht langweilig, wenn ich tagein, tagaus immer die gleiche Strecke fahre. Als Kind bin ich in den Ferien oft auf mein Rad gestiegen und immer den gleichen Berg hochgefahren. Dabei ging es nicht ums Tempo, sondern das Ganze möglichst im Sitzen zu vollbringen. Runter bin ich dann nur ganz sachte wieder gerollt.

Das Rad von damals habe ich immer noch, es steht jetzt im Fahrradschuppen und erinnert sich an bessere Tage. Für die Stadt ist es nicht mehr zu gebrauchen, eine Nachbarin will es jetzt wieder aufpäppeln. Das würde mich freuen. Vor einigen Jahren hatte ich eine Phase, in der ich kaum noch aufs Rad gestiegen bin. Meine Frau habe ich damals bewundert, wie sie es jeden Tag geschafft hat, sich vor allem morgens zu motivieren und auf ihrem Hollandrad zur Arbeit zu fahren. Dann machten wir irgendwann eine Radtour durch Masuren. Meine Frau fuhr ganz bewusst und kam auch nach 80 Kilometern noch entspannt an. Ich dagegen kämpfte gegen Krämpfe und konnte mich am Abend kaum bewegen. In diesen Moment hätte die Beziehung zwischen dem Fahrrad und mir endgültig in die Brüche gehen können – das Gegenteil war der Fall.

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Seither fahre ich praktisch jeden Tag mit dem Rad, vor der Coronavirus-Pandemie zur Arbeit und jetzt aus dem Homeoffice in den Garten. Auch im Winter, wenn es nicht gerade Eis und Schnee gibt. Dann oft sogar lieber, weil die Radwege leerer sind. Natürlich gibt es im Berliner Stadtverkehr immer wieder Situationen, in denen es auch gefährlich wird. Da hilft es, ein bisschen auf die Bremse zu treten. Das klappt auch bei mir nicht immer, aber was nutzt die ganze Aufregung. In der Ruhe liegt die Kraft.

Womit wir wieder bei meiner Frau wären. Mit ihr zu fahren, ist inzwischen auch für mich entspannend. Weil sie nicht schnell fährt, nimmt sie viele Dinge am Straßenrand wahr. Lustig gekleidete Menschen genauso wie öffentlich entsorgte Gegenstände, die wir vielleicht noch gebrauchen könnten. Manchmal steigt sie auch ab und macht ein Foto. Das Fahrrad bewegt uns fort, aber es verschafft uns auch die Gelegenheit, einfach mal inne zu halten. (Jörg Leopold, Radgenießer)

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