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Au Backe. Auf Thomas Bach kommen als IOC-Pröäsidenten nun große Aufgaben zu.
© Reuters

Neuer IOC-Präsident: Thomas Bach hat sich durchgefochten

Thomas Bach hat lange auf diesen Moment hingearbeitet, obwohl er das abstreitet: Er wollte IOC-Präsident werden, nun hat er es geschafft. Das Amt hat Gewicht, nur wie viel ist unklar. In Sotschi wartet die erste Herausforderung auf ihn.

Er sitzt in der ersten Reihe gleich rechts, direkt neben dem Rednerpult, näher kann die Entscheidung gar nicht liegen. Als Jacques Rogge am Pult den Umschlag mit einem Ratschen öffnet, und Bachs Name auf der Karte steht, die Rogge herausziehen und in die Kameras halten muss, ist es nur noch ein halber Schritt bis zur Amtsübergabe. Auf kurzem Dienstweg kann Rogge zu Thomas Bach gehen, seinem Nachfolger im Amt des Präsidenten des IOC, des Internationalen Olympischen Komitees. Es ist ein fast natürlicher Übergang im mächtigsten Amt des Weltsports.

Thomas Bach und Rogge umarmen sich etwas steif. Rogge weist ihm mit einladender Geste das Pult zu, dann ist Bach tatsächlich angekommen, er steht alleine auf dem Olymp, als erster Deutscher. Dort wirkt er zum ersten Mal seit langem wieder wie ein Sportler, nicht mehr wie der immer abwägende, immer vorsichtige Jurist und internationale Sportdiplomat. Und auch nicht lauernd wie in seiner eigentlichen Disziplin dem Fechten, in dem er es 1976 mit dem Florett zum Mannschafts-Olympiasieger gebracht hatte. Bach ist außer Puste wie ein Läufer, der nach langer Strecke glücklich als Erster die Ziellinie überquert hat. Ein „Ufff“ entfährt ihm. Die Mitglieder des IOC jubeln ihm stehend zu, mit beiden Händen fordert er sie zum Setzen auf. Von Bach fällt in diesem Moment einiges ab, auch der Druck des Gewinnenmüssens. Siege aus der Favoritenposition sind manchmal schwerer als die eines Außenseiters.

Was so leicht aussieht, so naheliegend, hat Bach sich lange erarbeitet. Schon im zweiten Wahlgang die absolute Mehrheit hinter sich gebracht, 49 von 93 Stimmen. Dafür war Vorbereitung nötig. Der nächstbeste Kandidat, Richard Carrion aus Puerto Rico, kommt auf 23, alle anderen schaffen es nicht mal in den zweistelligen Bereich.

Vor allem auch für seine Ausdauerleistung haben ihn die Mitglieder des IOC am Dienstag auf ihrer Session in einem Hotel in Buenos Aires belohnt. Thomas Bach hat lange durchgehalten und dabei immer mehr an Höhe gewonnen. Ein kleiner Mann mit viel Ehrgeiz, schmalen Lippen, überschaubarer rhetorischer Begabung, aber großem Geschick. Er kann Kontakte knüpfen, stellt keine unangenehmen Fragen, führt gern Gespräche auf seine sehr diplomatische, aber verbindliche Art und durchaus mit Humor.

Schon vor 32 Jahren gehörte er der Athletenkommission des IOC an, seit 22 Jahren ist er Mitglied des IOC selbst, vor 17 Jahren rückte er erstmals in dessen Exekutive auf, die Regierung des IOC. Er hat in 14 Kommissionen gesessen, da wo die eigentliche Arbeit gemacht wird, wo Fernsehrechte verhandelt werden, Regeln beschlossen, Doper gesperrt. Walther Tröger, selbst lange IOC-Mitglied und inzwischen Ehrenmitglied nennt Bachs Wahl „logisch“.

Seine Welt, die Welt der Sportdiplomatie, versteht Bach wohl tatsächlich so gut wie kein Zweiter, jetzt kann er sie noch ein bisschen besser beherrschen. Acht Jahre dauert seine Amtszeit, um vier weitere Jahre kann sie noch einmal verlängert werden. Es ist eine ganz eigene Welt.

Es geht um Sport, das ja, aber eben nicht im offenen Wettbewerb, in dem am Ende der gewinnt, der das größte Talent mitbringt und am meisten trainiert hat. In dieser Welt fallen manchmal merkwürdige Entscheidungen. Das wichtigste Fußballturnier darf in der Wüste Katars stattfinden, Winterolympia in einem russischen Badeort.

Es geht auch um Märkte und Politik. Das ist der Grund, warum diese Welt gerade in der deutschen Öffentlichkeit mit Skepsis betrachtet wird. Wer weiß schon, was der kuwaitische Scheich, IOC-Mitglied Ahmad al-Sabah meinte, als er von einem Abkommen mit Bach sprach? Seine offene Unterstützung für Bach bei dieser Wahl entsprach jedenfalls nicht dem Verhaltenskodex für IOC-Mitglieder, und Bach kann sich auch nicht damit herausreden, dass man sich seine Unterstützer nicht aussuchen könne. Dazu ist die Verbindung zum kuwaitischen Scheich zu eng. Bachs Mitkonkurrent Denis Oswald aus der Schweiz kritisierte die Nähe der beiden sogar öffentlich.

Bisher hat es Bach immer geschafft, jegliche Anwürfe an sich abperlen zu lassen. Er kann sich verteidigen. Geradezu genial war seine Entscheidung, den nordrhein-westfälischen Minister Michael Vesper zum Generaldirektor des Deutschen Olympischen Sportbundes zu machen, dessen Gründungspräsident Bach seit 2006 ist. Vesper räumte ihm verlässlich allen Dreck weg, Bach konnte sich auf die politische Ebene und die internationale Bühne konzentrieren. In Bachs Welt stürzen auch mauerhohe ideologische Barrieren ein, die zwischen einem FDP-Mitglied wie Bach und einem Grünen-Mitbegründer wie Vesper sonst aufgetürmt sind.

Bachs erste Spiele als IOC-Präsident: 2014 in Sotschi

Für Bach ist nun ein Lebenstraum in Erfüllung gegangen, auch wenn er selbst immer abgestritten hat, lange darauf hingearbeitet zu haben. Wie groß die Favoritenrolle Bachs war, ließ sich auch daran ablesen, dass die ARD zur Berichterstattung 34 Mitarbeiter nach Buenos Aires geschickt hatte. Als Bach alleine vorne stand, schien er den Wahlerfolg zu genießen wie einen Olympiasieg. „Diese Sympathie und Unterstützung im Saal – das war ja fast körperlich greifbar.“ Auch einige Tränen seien bei ihm geflossen. Jetzt steht er an der Spitze des Weltsports, mit 59 Jahren. Im selben Alter war auch Rogge in Moskau zum Präsidenten gewählt worden. „Die beste Zeit seines Lebens“ werde der neue Präsident haben, sagte Rogge.

Mit seiner Frau wird Bach nun nach Lausanne umziehen, dem Sitz des Internationalen Olympischen Komitees. Er wird das Amtszimmer im Chateau de Vidy einrichten mit Blick auf den Genfer See, die zwei Sportplätze in der Nähe werden ihn an sein Erbe erinnern. Sie tragen die Namen von Pierre de Coubertin, dem Gründer der Olympischen Spiele der Neuzeit, der die Spiele als Jugendbewegung neu erfand, und von Juan Antonio Samaranch, dem IOC-Präsident, der die olympische Bewegung durch Kommerzialisierung reich machte und sie in einen Korruptionsskandal führte.

Auch sonst wird sich für Bach einiges ändern. Den Präsidentenposten im Deutschen Olympischen Sportbund wird er aufgeben. Auch das Präsidentenamt der arabisch-deutschen Industrie- und Handelskammer Ghorfa will er niederlegen, es stand symbolisch für seine guten internationalen Beziehungen. Er hat stets beteuert, Geschäftliches und Sportliches zu trennen. Aufsichtsratsvorsitzender der Weinig AG, des Weltmarktführers für Holzverarbeitungsmaschinen aus seiner Heimatstadt Tauberbischofsheim, möchte er bleiben.

Die Olympischen Winterspiele im Februar in Sotschi werden Bachs erste an der Spitze des IOC sein. Staatspräsident Wladimir Putin wird sie mit einem vorgegebenen Satz eröffnen, Bach darf bei der Eröffnungsfeier eine Rede halten. Für Bach mag das auch ein Zeichen für die Autonomie des Sports sein, neben seinen persönlichen Interessen seine wohl größte Motivation auf dem sportpolitischen Karriereweg. Er wollte sich nicht noch einmal so machtlos fühlen wie vor den Spielen 1980 in Moskau, wohin der deutsche Sport auf Druck der Bundesregierung keine Mannschaft schicken durfte. Das brachte Bach um eine mögliche zweite Olympiamedaille.

Diesmal reist er als IOC-Präsident zu Spielen nach Russland. Putin hat Bach am Dienstag schon telefonisch gratuliert. Der IOC-Präsident ist eine internationale Größe, der oberste Repräsentant des Sports, und weil Sport auch politisch ist, weil sich Staaten dort auf einer anderen Ebene begegnen, wird Bach gleich mit einem Konflikt konfrontiert.

Was Rogge mit den Chinesen vor und während der Spiele 2008 in Peking über Menschenrechte, freies Internet und den Fackellauf verhandeln musste, kommt nun auf Bach mit Sotschi zu. Das umstrittene Gesetz gegen „Homosexuellen-Propaganda“ verlangt von ihm eine Positionierung. Der mehrfache Ruder-Weltmeister Roland Baar, selbst fünf Jahre Mitglied des IOC, sagt dazu: „Da sind Persönlichkeitsrechte der Athleten betroffen, das macht die Sache ganz schön schwierig.“

Schon nach seiner Wahl ist Bach danach gefragt worden. Seine Antwort: „Sie kennen ja die Stellungnahmen von höchster russischer Stelle zu diesem Thema. Von mir wird es heute keine weitere Reaktion geben.“ Die Rolle des Sports hat Bach bisher immer klein geredet. „Das IOC kann nicht den Anspruch haben, als eine Art Weltregierung einem Staat zu sagen, wie er sich zu organisieren hat.“ Und was er 2008 zur Haltung des IOC gegenüber China sagte, könnte er nun einfach wiederholen: „Wie könnte das IOC eine Weltmacht mit Vetorecht im UN-Sicherheitsrat unter Druck setzen? Das ist doch selbst Generationen von UN-Generalsekretären und Staatschefs nicht gelungen, wenn sie es überhaupt versucht haben.“ Der Sport werde mit Erwartungen konfrontiert, die nicht seinem Sinn und Zweck entsprächen und denen er nicht gerecht werden könne.

Mit einem Präsidenten Thomas Bach scheint nur eines sicher zu sein: Fechten wird bestimmt nicht aus dem olympischen Programm verschwinden.

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