IOC-Präsident Jaques Rogge: Der erschöpfte Graf
Der scheidende Präsident Jacques Rogge hat das IOC vorangebracht und dafür seinen Preis bezahlt. Eine Würdigung zum Abschied des Belgiers.
Zum Abschluss seiner Amtszeit öffnete er noch einmal einen der großen Briefumschläge, die Millionen zu Gewinnern machen und Millionen zu Verlierern. Und wenn 2020 die Olympischen Spiele in Tokio stattfinden, werden die Fernsehsender noch einmal die Bilder von Buenos Aires zeigen, wie Jacques Rogge aus dem Umschlag die Karte zog mit dem Aufdruck "TOKYO 2020".
Wie der Überbringer einer freudigen Nachricht sieht Rogge jedoch längst nicht mehr aus. Der 71 Jahre alte Belgier ist grau geworden, er wirkt erschöpft. Zwölf Jahre stand er als Präsident an der Spitze des IOC. 2001 in Moskau übernahm er die Führung vom Spanier Juan Antonio Samaranch, als die Korruptionsaffäre um die Vergabe der Winterspiele 2002 nach Salt Lake City das IOC viel Ansehen und Glaubwürdigkeit gekostet hatte. Auf jeden Fall steht das IOC heute wieder besser da. Rogge hat für diesen Erfolg seinen Preis bezahlt. Die Arbeit und die vielen Reisen rund um die Welt haben ihm zugesetzt und ihn schneller altern lassen. Nach den Olympischen Spielen in London musste er sich einer Hüftoperation unterziehen. Aus seinem Gesicht spricht der Wunsch nach Erholung.
Die olympische Bewegung vertrat Rogge insgesamt glaubwürdig und integer. Er hatte selbst dreimal an Olympischen Spielen teilgenommen, 1968, 1972 und 1976 im Segeln. Später spielte er in der belgischen Nationalmannschaft Rugby. Er studierte Medizin und arbeitete bis zu seinem Umzug an den Sitz des IOC in Lausanne als Chirurg. Bei Olympischen Spielen verbrachte er immer ein paar Nächte im Olympischen Dorf. „Ich bin verliebt in die Atmosphäre des Olympische Dorfs“, hat er einmal gesagt.
Seine eigene Leistung als IOC-Präsident schätzt Rogge ebenso realistisch wie selbstbewusst sein. Im Gespräch mit dem Tagesspiegel in diesem Sommer in seinem Dienstzimmer in Lausanne sagte er über sein Vermächtnis: „Ich habe nur eine Hoffnung: Dass die Menschen berücksichtigen, dass ich ein starkes Erbe von Samaranch übernommen habe, und ein genauso starkes, wenn nicht sogar stärkeres Erbe an meinen Nachfolger übergeben habe.“
Zu diesem Erbe gehören finanzielle Reserven in Höhe von 900 Millionen Dollar, die neu eingeführten Olympischen Jugendspiele wie auch eine Kampfansage an Doping und Wettmanipulation. „Rogge hat sich sehr viel mehr den Bedrohungen des Weltsports gestellt als Samaranch“, sagt Helmut Digel, der durch seine Arbeit als Vizepräsident und Councilmitglied im Internationalen Leichtathletik-Verband oft mit Rogge zu tun hatte. Gleichwohl sind große Dopingfälle in Rogges Amtszeit wie der von Marion Jones oder Lance Armstrong nicht vom Kontrollsystem des Sports aufgedeckt worden, was auch Rogge als Niederlage wertet.
Dass er sich rund um die Sommerspiele 2008 in Peking die Kontrolle über die Spiele und seine Symbole von den Chinesen habe aus der Hand reißen lassen, das sieht er nicht so: „Da widerspreche ich Ihnen. Denn es gab doch einen gewaltsamen Protest gegen den Fackellauf, und diese Gewalt kam nicht von den chinesischen Organisatoren.“
Die Unterschiede zu seinem Vorgänger Samaranch hätten kaum größer sein können. Samaranch dachte politisch und war ein begabter Netzwerker. „Er konnte besser zuhören als Rogge. Rogge ist eher der Intellektuelle, er verfügt über eine hohe Intelligenz und hatte immer selbst schon Lösungen parat“, sagt Digel. Bei allen Verdiensten schreibt Digel ihm jedoch zwei Fehler zu: „Dass er Hein Verbruggen so lange mitgetragen hat“, den dopingverseuchten früheren Präsidenten des Welt-Radsportverbandes, „und dass er das Rekrutierungsproblem des IOC nicht gelöst hat. Eine Organisation, die sich so sehr aus dem Adel und Geldadel rekrutiert, hat es schwer, den Weltsport glaubwürdig zu führen.“ Seit 2002 gehört Rogge ebenfalls zum Adel, da hatte ihm der belgische König Albert II. den Titel eines Grafen verliehen.
Das IOC wird ihn nun zum Ehrenpräsidenten ernennen. Was Jacques Rogge dem IOC gegeben hat, wird vielleicht besonders deutlich, wenn man ihn mit dem anderen mächtigen Mann des Weltsports vergleicht, dem Fifa-Präsidenten Joseph Blatter.