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Sven Bender (BVB) klärt den Ball auf der Linie - und rettet den BVB.
© imago/Eibner

Borussia Dortmund gegen Bayern München: Sven Bender wird zum Fußballgott 2.0

Wie einst Jürgen Kohler im Old Trafford: Sven Bender gelingt im Pokal-Halbfinale beim Sieg gegen den FC Bayern eine Grätsche fürs Geschichtsbuch

Es ist jetzt ziemlich genau fünf Jahre her, dass der Hype um die Bender-Zwillinge seinen ersten Höhepunkt erreicht hat. Die Bender-Zwillinge, das sind Lars und der zwölf Minuten jüngere Sven, der bei seinem Verein Borussia Dortmund eigentlich nur Manni gerufen wird. Im Frühsommer 2012 standen beide Benders im Aufgebot der deutschen Fußball-Nationalmannschaft für die Europameisterschaft in Polen und der Ukraine, und vielen galten die Zwillinge damals als perfekte Vertreter der fußballerischen Moderne – weil sie als defensive Mittelfeldspieler Kraft und Technik in einer Person verkörperten, respektive in zwei. „Die Benders unterscheiden sich nur in Nuancen“, hat Bundestrainer Joachim Löw damals gesagt. „Es ist kaum möglich, sie zu unterscheiden.“

Die Moderne hat sich dann doch recht schnell dagegen entschieden, wie die Benders sein zu wollen. Schon 2012 zur EM hat Löw letztlich nur einen – den Leverkusener Lars – mitgenommen. Sven hingegen wurde im letzten Schritt noch aussortiert. So einen Spielertyp wie die Benders könne man durchaus brauchen, hat Löw seine Entscheidung begründet, „aber nicht zwei“. Im Gruppenspiel gegen Dänemark war der Bundestrainer dann tatsächlich ganz froh, einen Bender zu haben, den er aushilfsweise als rechten Außenverteidiger aufbieten konnte und der dann sogar noch ein wertvolles Tor zum Weiterkommen erzielte.

"Wir sind mit dem Schrecken davon gekommen"

Seitdem aber war der Beitrag des Zwillingsbrüderpärchens zum Wohl des deutschen Fußballs recht überschaubar. Bei der WM 2014 war keiner von ihnen dabei, bei der EM 2016 auch nicht. Die Benders, seit gestern 28 Jahre alt und dem besten Fußballeralter fast schon entwachsen, sind ein bisschen in Vergessenheit geraten, was vor allem daran liegt, dass sie gefühlt dauernd verletzt sind. Ihr Spiel nimmt keine Rücksicht, nicht auf den Gegner, vor allem aber nicht auf den eigenen Körper. „Der geht mit dem Kopf dahin, wo ich den Fuß wegziehe“, hat der Dortmunder Mittelfeldspieler Nuri Sahin einmal über seinen Kollegen Sven B. gesagt. Seit Mittwochabend weiß man: Bender geht auch mit der Fußspitze dahin, wo ein Torhüter mit seinen Händen nicht hinkommt.

Am Mittwochabend hat Borussia Dortmund durch einen 3:2-Sieg beim FC Bayern München das DFB-Pokalfinale in Berlin erreicht. Marco Reus, Pierre-Emerick Aubameyang und Ousmane Dembélé, die formidablen Offensivkräfte des BVB, haben die Tore für ihre Mannschaft erzielt. Und trotzdem gab es hinterher niemanden, der den Finaleinzug nicht ursächlich mit Sven Bender und seiner Rettungsaktion auf der Torlinie in Verbindung gebracht hätte. „Wir sind mit dem Schrecken davon gekommen“, sagte Dortmunds Trainer Thomas Tuchel. Dank Sven Bender.

Es lief die 63. Minute, die Bayern führten 2:1 und hatten bereits einige gute Gelegenheiten ausgelassen, ihre Führung auszubauen, als Dortmunds Torhüter Roman Bürki ein schlimmer Patzer unterlief. Der Schweizer versuchte Julian Weigl im eigenen Strafraum anzuspielen, Thiago eroberte den Ball, spielte zu Robert Lewandowski, der wiederum auf Arjen Robben ablegte. Der Holländer hatte nur noch das Dortmunder Tor in seiner gesamten Breite und Schönheit vor sich, er zielte in die rechte Ecke, halbhoch – doch der Ball rauschte nicht ins Netz, sondern stieß mit Benders Fußspitze zusammen und von dort an den Pfosten.

Roman Bürki hat später zugegeben, dass er den Ball ganz sicher nicht gehalten hätte, nicht einmal wenn er vorschriftsmäßig auf der Linie gestanden hätte. „Wenn er keine Lust hat, den Ball zu halten, stell’ ich mich gern zur Verfügung“, scherzte Bender. Und fügte in vollem Ernst hinzu: „Genau das sind die Situationen, die du in so einem Pokalspiel brauchst“. Fünf Minuten später stand es 2:2. Weitere fünf Minuten später führten die Dortmunder 3:2. „Wir hatten in dieser Situation das glücklichere Füßchen. Wenn da das dritte Tor fällt, ist das Spiel gelaufen“, sagte Dortmunds Kapitän Marcel Schmelzer über Manni mit dem Krakenbein. „Diese Aktion war überragend!“ Vor allem war sie spielentscheidend. Trainer Tuchel sagte: „Solche Situationen beeindrucken auch einen Gegner, der so gut ist wie die Bayern.“ Sein Team hingegen habe aus ihr neue Zuversicht und neuen Mut gezogen.

Wie Jürgen Kohler im April 1997 im Old Trafford

Die Dortmunder sollten Benders Aktion auf T-Shirts und Kaffeetassen drucken und als Devotionalien in ihrem Fanshop verkaufen. Die Grätsche gehört fortan ins BVB-Geschichtsbuch, zumal sie frappierend an eine andere ikonografische Szene erinnert, die jedem BVB-Fan am Mittwoch sofort in den Kopf gekommen sein müsste. Weißt du noch: Old Trafford, April 97?

Es war auch ein Halbfinale, allerdings in der Champions League. Im eigenen Stadion hatten die Dortmunder 1:0 gegen Manchester United gewonnen, im Rückspiel gingen sie durch Lars Ricken schon nach sieben Minuten in Führung – was folgte, war eine einzige Abwehrschlacht. Man könnte auch sagen: Der Rest war Jürgen Kohler. „Jürgen Kohler war die leibhaftige defensive Disziplin Borussia Dortmunds und während des ganzen Spiels überragend“, schrieb der „Daily Telegraph“. Der Tagesspiegel feierte Kohler als „Inbegriff der Charakterfestigkeit und des Zusammenhalts“. Und Trainer Ottmar Hitzfeld bekannte: „Ohne Kohler hätten wir nicht bestehen können.“

Der damals 31-Jährige, von einer Magen-Darm-Grippe geschwächt, rettete im Old Trafford gleich dreimal auf der Linie – am schönsten und spektakulärsten war sein Einsatz in der 18. Minute. Andy Cole setzte sich auf der rechten Seite durch, passte in die Mitte. Dortmunds Torhüter Stefan Klos erwischte den Ball gerade noch mit den Fingerspitzen und veränderte dessen Flugbahn damit so, dass der Ball denkbar knapp an Kohlers Fuß vorbei flog.Der Innenverteidiger geriet ins Stolpern, stürzte zu Boden und blieb wie ein hilfloser Käfer auf dem Rücken liegen. Eric Cantona stand drei Meter vor dem Tor, er musste den Ball nur noch über die Linie stupsen – und traf die Fußsohle Kohlers, der sein Bein irgendwie noch in die Höhe gerissen hatte. Es war das linke. Genauso wie am Mittwoch bei Sven Bender.

Kohlers Grätsche war für den Gewinn des Champions-League-Titels mindestens genauso wichtig wie Rickens Lupfer im Finale gegen Juventus Turin zum 3:1-Endstand. Damals im Old Trafford bekam der Innenverteidiger den Beinamen, den er bis zu seinem Karriereende fünf Jahre später mit Würde getragen hat. „Unsere Fans haben ihn als Fußballgott ausgerufen“, sagte Dortmunds Manager Michael Meier nach dem Spiel. „Das halte ich für übertrieben. Aber im Glanz des Sieges kann man sagen: Okay.“

Im Glanz des Sieges widmete der BVB Sven Bender und seiner Rettungstat am Donnerstag einen eigenen Bericht auf seiner Homepage. Die Überschrift lautete: „Manni Bender, Fußballgott!“

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