"Keine Meinungsfreiheit in diesem Land": Stefan Kretzschmars Aussagen sind falsch und gefährlich
Stefan Kretzschmar hat zum Thema Meinungsfreiheit im Sport eine sehr spezielle Meinung. Er begeht dabei einen fatalen Denkfehler. Ein Kommentar.
Der Grat zwischen der gezielten Provokation und plumper Dummheit ist oftmals ein sehr schmaler. Das zeigen die jüngsten Aussagen der Handball-Ikone Stefan Kretzschmar zum Thema Meinungsfreiheit im Allgemeinen und Meinungsfreiheit im Sport im Speziellen.
Die Profi-Sportler würden sich heutzutage kaum noch politisch oder zu gesellschaftlichen Themen äußern, denn sie würden für jeden kritischen Kommentar sofort "eins auf die Fresse" kriegen, sagt Kretzschmar im Interview mit t-online.de. So weit, so nachvollziehbar. Der Wunsch nach mündigen Sportlern ist ein weit verbreiteter.
"Keiner steckt den Kopf mehr höher raus als er muss"
Was ein flammender Appell von Kretzschmar für mehr Mut hätte werden können, driftet dann aber in eine falsche Richtung ab: "Keiner steckt den Kopf mehr höher raus als er muss", sagt Kretzschmar. Und weiter: "Es sei denn, es ist die politische Mainstream-Meinung."
Ein Beispiel für "Mainstream" hat der ehemalige Profi vom SC Magdeburg auch parat: Toleranz für Geflüchtete und das Einsetzen für eine bunte Gesellschaft. Eine "einigermaßen kritische Meinung, auch gesellschafts- oder regierungskritisch", dürfe man "in diesem Land" jedoch nicht sagen. Meint Kretzschmar. Weil es in diesem Land "keine Meinungsfreiheit" im "eigentlichen Sinne" gebe. "Wir Sportler müssen immer mit Repressalien von unserem Arbeitgeber oder von Werbepartnern rechnen."
Nun muss man wissen, dass Stefan Kretzschmar gerne und bewusst aneckt und provoziert, um mehr Aufmerksamkeit für gewisse Themen und seinen Sport zu generieren. Man muss diese Aussagen aber auch als das einordnen, was sie sind: falsch und gefährlich. Denn es ist wichtig, dass Sportler und Trainer klar Stellung beziehen zu Themen, die für Kretzschmar "Mainstream" sind - und sich einem öffentlichen Gegenwind aussetzen.
So vertritt zum Beispiel Christian Streich, der Trainer des Fußball-Bundesligisten SC Freiburg, immer wieder klare Positionen für Toleranz und gegen Rassismus. Die deutsche Basketball-Nationalmannschaft nahm im vergangenen Herbst ein Video zum Thema #wirsindmehr auf, indem sie sich für ein buntes Deutschland einsetzt.
Kretzschmar aber entwertet die Bedeutung von Toleranz in diesen Zeiten, in denen sich immer mehr Menschen offen trauen, rechte Positionen einzunehmen. So ließ es sich die AfD Heidelberg zum Beispiel nicht nehmen, Kretzschmars Aussagen für ihre Zwecke zu missbrauchen.
Außerdem verkennt Kretzschmar, dass Sportler gerade in Deutschland sehr wohl kritische und vielleicht auch nicht unbedingt konsensfähige Meinungen vertreten dürfen. Dazu haben sie jedes Recht. Sie müssen dann aber auch mit einem entsprechenden Echo rechnen. Denn die Meinungsfreiheit hört nicht bei einer einzelnen Aussage auf, jeder darf sich vielmehr auch zu einer Meinung eine Meinung bilden und sie kundtun. So läuft das "in diesem Land". Zum Glück.
Louis Richter