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Ex-Nationalspieler Stefan Kretzschmar (links) ist einer der großen Fürsprecher und Förderer von Bundestrainer Christian Prokop.
© Imago

Handball-WM: Stefan Kretzschmar: "Wir schaffen das Halbfinale!"

Der frühere Nationalspieler Stefan Kretzschmar über die neue Handball-Generation, bewusste Provokationen und die Chancen der Deutschen bei der WM.

Herr Kretzschmar, pünktlich zur Handball-Weltmeisterschaft ist Ihr neues Buch „Hölleluja“ erschienen. War es ein persönliches Anliegen, eine Hommage an Ihre Sportart zu schreiben oder mangelt es dem Handball vor der Heim-WM an Öffentlichkeit und Interesse?

Zunächst einmal ging die Initiative eher vom Verlag aus, der zuletzt einige gute Sportbücher abgeliefert hat: von Hockey-Nationalspieler Moritz Fürste über den Football-Coach Patrick Esume bis hin zu den Kommentatoren Elmar Paulke und Frank Buschmann. Dann kam natürlich das Thema Handball-WM auf, von dem jeder weiß: es passiert gerade etwas in Deutschland. Im Mai ist der Verlag mit der Frage an mich herangetreten, ob ich mir vorstellen kann, ein Buch über meine Sportart zu schreiben, die sonst ja eher stiefmütterlich behandelt wird, jedenfalls in der ganz großen öffentlichen Wahrnehmung. Die Idee fand ich klasse. Mit meinem Ghostwriter, dem Hamburger Journalisten Nils Weber, war es dann ein Geschenk, einen Sommer zusammenzuarbeiten, weil wir von Beginn an auf einer Wellenlänge waren

Wie muss man sich das konkret vorstellen?

Wir haben oft bei einer Flasche Rotwein im Garten gesessen, gequatscht und nebenher das Aufnahmegerät laufen lassen. Klingt ganz lässig, im Nachhinein war es jedoch ein ziemlicher Höllenritt, weil wir wenig Zeit hatten. Mit dem Resultat bin ich aber sehr zufrieden, Nils hat genau meine Tonlage getroffen. Wenn ich mir das Buch abends greife und ein Kapitel darin lese, muss ich selbst manchmal laut lachen, obwohl es ja mein Buch ist

In einem Kapitel erzählen Sie eine Anekdote über Ihren ehemaligen Trainer Alfred Gislason, für den Sie einmal in der Champions League gespielt haben, obwohl Sie sich mit akuten Rückenschmerzen eigentlich kaum bewegen konnten. „Mann oder Maus“ habe er vor ihrer Einwechslung lediglich gefragt. Wie schwierig war es, gute Geschichten zu erzählen, ohne ehemalige Wegbegleiter und Freunde zu verprellen

Ich wollte auf keinen Fall ein Enthüllungsbuch schreiben und andere Leute in die Pfanne hauen, wie man es vielleicht vom einen oder anderen Fußballer kennt. Mein Eindruck ist sowieso, dass die Befindlichkeiten im Handball längst nicht so ausgeprägt sind. Ich habe zum Beispiel Bennet Wiegert, den Trainer des SC Magdeburg, gefragt, ob es für ihn okay ist, wenn ich ihn im Zusammenhang mit einer wilden Partynacht in Reykjavik namentlich nenne. Es könnte ja durchaus unangenehm für ihn sein, wenn seine jetzigen Spieler so eine Geschichte über ihn lesen und sagen: Schau her, unser Trainer war also ein Feierbiest! Aber Benno war tiefenentspannt und meinte nur: Kretzsche, das war eine coole Zeit, das war unsere Jugend, dazu stehe ich. Du musst nicht um den heißen Brei herumquatschen.

Gab es auch andere Fälle?

Nein. Mir ist nur aufgefallen, dass die eigene Erinnerung manchmal sehr von der meiner Wegbegleiter abweicht. Alfred Gislason zum Beispiel hat die Geschichte mit meinen Bandscheibenproblemen beim Europapokalspiel sicher ganz anders in Erinnerung. Trotzdem verbindet uns weiter mehr als eine Beziehung zwischen Spieler und Trainer, wir sind über die Jahre wirklich gute Freunde geworden. Mir ist aber auch klar, dass ich so ein Buch im Fußball wahrscheinlich nicht ohne Unterlassungsklagen hätte schreiben können.

Neulich sind Sie in einer Talkshow mit der These aufgefallen, dass sich Ihnen die Faszination eines 0:0 im Fußball nicht erschließt. Gab es einen Shitstorm?

Die Handball-Gemeinde hat mich dafür gefeiert – und das ist nunmal meine relevante Zielgruppe. Ein bisschen spiele und kokettiere ich natürlich auch mit solchen Aussagen, logisch. Wenn man hin und wieder aneckt und unpopuläre Sachen, gibt es eben auch ein Echo, das man normalerweise nicht erzielen würde. Die Fußballer verstehen so einen Spruch natürlich nicht, ist doch klar. Und es war ja auch gar nicht böse gemeint: Ich bin nach meiner Meinung gefragt worden und habe gesagt, dass mir Fußball manchmal einfach zu langweilig und im Handball meistens viel mehr los ist.

Bei der letzten Handball-WM in Deutschland im Jahr 2007 dauerte es eine gewisse Zeit, bis sich Euphorie breitmachte. Wie erleben Sie das diesmal?

Die Nachfrage ist da, die Medien stellen sich auf ein großes Event ein. Wie viele Interviews ich allein in den letzten Wochen gegeben habe! Auch die Marketing-Abteilung beim Deutschen Handball-Bund macht einen guten Job mit starken Social- Media-Auftritten. Ich glaube, Deutschland ist gut vorbereitet auf dieses Turnier. Die Hallen sind so gut wie ausverkauft, die Übertragungsrechte gesichert, jeder kann die Spiele sehen. Das ist überragend. Von den Spielern würde ich mir vielleicht ein bisschen mehr Präsenz wünschen, aber das passiert in den nächsten Wochen von ganz allein.

Der frühere Handballer Stefan Kretzschmar traut der deutschen Nationalmannschaft viel zu bei der WM.
Der frühere Handballer Stefan Kretzschmar traut der deutschen Nationalmannschaft viel zu bei der WM.
© Uwe Anspach/dpa

Im vergangenen Jahrzehnt hat der Handball-Sport in Deutschland und die Bundesliga im Speziellen eine Entwicklung raus aus kleineren Orten und hinein in die großen Städte genommen, nach Berlin, Hamburg, Stuttgart, Mannheim, Leipzig. Welche Rolle spielt dieser Umstand?

Eine ganz außerordentliche. Nichts gegen die traditionellen Standorte wie Lemgo, Gummersbach oder Großwallstadt, die haben natürlich alle ihre Daseinsberechtigung. Auch wenn es diesen Klubs immer schwerer fällt, wirtschaftlich mitzuwachsen und konkurrenzfähig zu bleiben. Die Vereine in den großen Städten haben aber einen massiven Vorteil, weil sie natürlich über eine ganz andere Basis verfügen, über ein größeres Einzugsgebiet und riesige Arenen. Da geht die Richtung hin, gar keine Frage.

Welche Chancen rechnen Sie der deutschen Mannschaft denn bei der WM im eigenen Land aus?

In der Vorrunde gehe ich davon aus, dass die Deutschen maximal das Spiel gegen Frankreich verlieren. Unter dieser Voraussetzung darf sich die Mannschaft dann in der Hauptrunde keine Niederlage mehr erlauben, das ist natürlich brutal. Aber von der Dramaturgie her kann das klappen: Selbstvertrauen in Berlin holen, in einer vollen, lauten Halle und danach auf der Erfolgswelle nach Köln. Wenn die Vorrunde kein Eiertanz wird, haben wir gute Chancen aufs Halbfinale. Aber das können sechs, sieben andere Mannschaften auch von sich behaupten, weil die Weltspitze im Handball seit Jahren verdammt eng beisammen ist.

Ihre konkrete Prognose lautet also?

Wir schaffen den Halbfinal-Einzug! Der Heimvorteil ist auf unserer Seite, es wird also auch den einen oder anderen Pfiff zugunsten der deutschen Mannschaft geben. Wichtig ist, dass sich die Mannschaft vom Publikum, von der Atmosphäre und dem ganzen Drumherum tragen lässt und diese Faktoren nicht als zusätzlichen Druck empfindet, der sie lähmen kann.

Das  Gespräch führte Christoph Dach.

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