Unser Zehnkampf vor der Leichtathletik-EM: Staffellauf: Vier Freunde sollt ihr sein
Beim Staffellauf müssen Timing und Technik stimmen – Voraussetzung dafür ist ein guter Teamgeist. Teil sechs unserer Serie zur Leichtathletik-EM in Berlin.
Laufen, springen, werfen – die Disziplinen der Leichtathletik sind Sport in seiner klassischsten Form. Doch sie sind schwieriger auszuüben, als sie aussehen. Bis zur Europameisterschaft vom 7. bis 12. August in Berlin probieren wir in unserer Serie „Tagesspiegel-Zehnkampf“ zehn Disziplinen unter professioneller Anleitung aus und beschreiben, worauf es dabei ankommt.
Die gute Nachricht vorab: Bei einer guten Staffel geht es nicht nur um Schnelligkeit, sondern auch viel um Teamwork. Das ist schon einmal beruhigend, waren die 100 Meter schon immer meine Horrordisziplin bei den Bundesjugendspielen. Da ist es gut zu wissen, dass es bei der 4x100-Meter-Staffel vor allem auf flüssige Übergaben ankommt – und die sind wir aus dem hektischen Alltag in der Sportredaktion ja gewöhnt.
Dieser Aspekt ist so wichtig, dass uns Trainer Willi Mathiszik erst einmal eine kleine Technikeinführung gibt. Der 34-Jährige war in seiner aktiven Karriere Hürdenläufer und ist jetzt für die Sprinter und Hürdenläufer im Berliner Leichtathletik-Verband zuständig.
Nur schnell geradeaus laufen? Weit gefehlt!
Sprintern wird häufig nachgesagt, sie müssten ja nur geradeaus laufen und sich das Rennen nicht großartig einteilen – im Gegensatz zu den Mittel- und Langstrecklern. Für den Trainer einer Staffel gilt das aber auf keinen Fall, merken wir bei Willi Mathiszik, spätestens, als er uns erklärt, wie man die Reihenfolge einer Staffel festlegt.
Denn in den weniger als 40 Sekunden, die etwa Mathisziks ehemaliger Verein, der SV Wattenscheid, bei den Deutschen Leichtathletik-Meisterschaften für die 4x100 Meter benötigte, kommt es auf die kleinsten Finessen an: So sollten der erste und der dritte Läufer eher klein sein, um die Kurven gut ausnutzen zu können. Und dass der letzte Läufer immer der schnellste sein müsse, sei mittlerweile auch kein Gesetz mehr, das hänge von den Körpertypen ab, erklärt Mathiszik.
So war Usain Bolt traditionell Jamaikas Schlussläufer, wurde in der späten Phase seiner Karriere aber gerne als dritter Läufer gesetzt: Denn je nach Position kann der Läufer länger in die Wechselzone laufen und rennt letztendlich bis zu 130 Meter. Das liegt am Aufbau der Bahn: Die Anlaufzone allein ist 10 Meter lang, dazu kommen 20 Meter Wechselzone, in denen der Stab übergeben werden muss. Reizt man die Strecke so aus, können die schnellsten Sprinter möglichst viel für ihr Team herausholen.
Wir haben also viel vor an diesem Vormittag in der Rudolf-Harbig-Halle am Olympiastadion: Technik, Taktik, Schnelligkeit sind gefragt und am Ende ein Staffellauf, bei dem alle diese Faktoren zusammenkommen. Erster Teil: Die Übergabe des Staffelstabs. In einer Reihe joggen wir versetzt hintereinander, reichen den Stab von hinten nach vorne durch. Ruft der Hintermann „Hepp!“, muss der Vordermann den Arm nach hinten ausstrecken und die Hand öffnen, der Hintermann drückt ihn dann mit Nachdruck in die Handfläche – soweit die Theorie. Was uns noch im Weg steht: Zu kurze oder lange Abstände hinter Vorder- und Hintermann, Schwierigkeiten beim Timing.
Nach ein paar Runden läuft es besser
Nach ein paar Runden läuft es besser, wie eine gut geölte Maschine ziehen wir unsere Bahnen und reichen den Staffelstab nach vorne durch, die Abstände zwischen dem „Hepp!“ und dem Gefühl des Stabs auf der Handfläche werden immer kürzer.
Zusammenarbeit ist also alles, lernen wir. Und „Staffellauf ist Chaos.“ Na dann, genau das Richtige für uns. Mit dem Chaos konfrontiert sind wir dann gleich bei der nächsten Übung. Auf der 50-Meter-Bahn sollen wir herausfinden, wie weit der Läufer vor uns an uns heranlaufen muss, damit er in der Wechselzone an den Folgeläufer herankommt. Dazu messen wir den Abstand mit unseren Füßen ab und stellen einen Kegel an der Seitenlinie auf. Bei meinen Kollegen ist der Abstand verdammt kurz, weil Johannes wie ein Hase lossprintet und im Handumdrehen in der Wechselzone ist.
Ich dagegen brauche mehr als dreißig Fußlängen Abstand, um in die Gänge zu kommen. Weitere Schwierigkeit: Der Sprintstart. Nicht nur müssen wir in eine geduckte Startposition gehen, wir müssen zusätzlich nach von unten seitlich nach hinten schauen, um zu sehen, wann unser Partner den Kegel passiert. Dann heißt es nach vorne schauen, mit Kraft lossprinten und der Versuchung widerstehen, nach hinten zu schauen, denn das würde unseren Sprint verlangsamen und den Arm bei der Übergabe zur Seite ziehen. Ein bisschen viel auf einmal.
Beim ersten Mal komme ich nicht schnell genug los und die Übergabe findet fast vor der Wechselzone statt. Und bei der letzten Übergabe verliere ich in der Startposition die Balance und komme wieder nicht schnell genug los. Mathiszik beruhigt uns: „Bei unseren Athleten wickeln wir vor dem Wettkampf manchmal Tape ums Handgelenk, damit sie wissen, mit welcher Hand sie annehmen müssen.“ Klar, links und rechts kann bei der ganzen Aufregung schon mal verwechseln.
„Bei einem Staffelteam von sechs bis sieben Athleten habe ich für alle Athletenpaarungen die Abstände in einer Tabelle stehen“, erklärt Mathiszik sein System. Dazu kommen aber noch Faktoren wie die Tagesform, die individuelle Anpassungen am Wettkampftag erfordern.
Staffellauf ist eine tolle Teambuilding-Maßnahme
Aber peu à peu setzt sich das Puzzle zusammen, wir entwickeln ein Gefühl füreinander und sind uns einig: Staffellauf ist eine großartige Teambuilding-Maßnahme. Es wird viel gelacht, kommuniziert und wir freuen uns über die schnellen Fortschritte. Die sind auch nötig, steht doch die große Prüfung schon bevor: Martin macht den Start, stellt sich in den Startblock, wo auch der dritte Läufer Julian wartet, Johannes und ich warten an der Gegengeraden der 200-Meter-Bahn auf ihn.
Zuruf von Mathiszik: Martin startet aus dem Startblock in die Kurve, erreicht Johannes. Der startet ein bisschen zu früh, Martin erreicht ihn kaum, trotzdem landet der Stab sicher in seiner Hand. Dann jagt Johannes um die Kurve zu Julian, der den Stab souverän aufnimmt. Ich stehe in der Startposition, nervös. Jetzt bloß die Balance halten, spritzig starten, Arm gerade nach hinten. Alles klappt, ich halte den Stab als letzte in der Hand, lege alles in die Kurve, sprinte auf die Zielgerade – geschafft! Genau eine Minute haben wir gebraucht, noch Luft nach oben. Aber der Teamgeist stimmt schon mal und das ist schließlich das Wichtigste.
Bisher erschienen: Dreisprung (20. Juli), Hürdenlauf (24. Juli), Kugelstoßen (26. Juli), Gehen (28. Juli), 100-Meter-Lauf (30. Juli)