Wasserball: Spandaus Torhüterin Victória Chamorro: Jenseits vom Karneval
Mit Victória Chamorro im Tor geht es bei den Wasserfreundinnen aufwärts. Auch wenn sie manchmal die Sehnsucht plagt.
In Wochen wie diesen kommt schon mal Sehnsucht auf. Wenn das Tief Bennet Regen nach Berlin bläst und zu Hause die Sonne strahlt, 32 Grad im raren Schatten, wie es sich gehört für den Karneval in Rio. Vor fünf Jahren hat Victória Chamorro zum letzten Mal mitgefeiert. Bei der großen Party im Sambodromo, dem von Oscar Niemeyer in Beton gegossenen Samba-Stadion. Auch 2019 herrschte Ausnahmezustand in Rio, mit geschätzt einer Million Partygästen in der ganzen Stadt. Victória Chamorro ist am Faschingsdienstag mit der S-Bahn zum Training nach Schöneberg gefahren.
Es gibt ein Leben jenseits des Karnevals, die 22-jährige Brasilianerin verbringt es im Wasser. Seit Anfang Februar hütet sie das Tor der Wasserballerinnen von Spandau 04, nach zuvor vier Jahren an der University of Southern California und zwischendurch einem olympischen Auftritt 2016 daheim in Rio. Zu ihren Kommilitoninnen in Los Angeles gehörte Jennifer Stiefel, eine deutsche Nationalspielerin, die sich in diesem Winter Richtung Berlin veränderte. Victoria sagt, es habe nicht viel Überredungskunst erfordert, um sie von einem Engagement bei den Spandauer Wasserfreundinnen zu überzeugen. „Ich war neugierig auf Berlin.“ Sie wohnt in einem Gästehaus am Olympiastadion, sendet Selfies vom Brandenburger Tor und der Siegessäule hinaus in die Welt und staunt: „Unglaublich, so viel Geschichte“, eine ganz neue Erfahrung nach den Jahren in Rio und LA.
„Wir können niemanden mit Geld locken“, sagt Spandaus Trainer Marko Stamm. „Aber wir können Berlin bieten.“
Im April will Victória Chamorro ihr Studium der Wirtschafts- und Sozialwissenschaften fortsetzen. Sie ist in Botafogo groß geworden und hat Wasserball für Flamengo gespielt. Magische Namen für Fußballfans, aber ihr Lieblingsklub ist Vasco da Gama, „da hat Philippe Coutinho angefangen“, der sei übrigens viel besser als Neymar, „haben Sie die WM in Russland verfolgt?“ Die Frau redet gern und schnell und viel, über Fußball, Wasserball, Gott und die Welt, „seien Sie mir nicht böse, so sind wir in Brasilien nun mal“.
Und was den Wasserball betrifft: „Das Niveau in den USA war top, aber hier haben wir auch eine sehr gute Mannschaft“, woran die neue Torfrau aus Rio nicht so ganz unschuldig ist. Spandaus Bundesliga-Debüt hatte mäßig begonnen, mit allerlei Niederlagen und Gegentoren. Am 9. Februar sprang Victória Chamorro dann zum ersten Mal ins Wasser und es gab einen 15:9-Sieg beim Meister Bayer Uerdingen. In diesem Stil ging es weiter, mit Siegen über Bochum und Chemnitz, dazu musste Uerdingen sich auch im Rückspiel geschlagen geben und ein weiteres Mal im Pokal. Nach neun Spieltagen ist der Neuling die Nummer drei der Bundesliga. Am Sonntag gastiert Nikar Heidelberg in der Schöneberger Schwimmhalle, und weil sich tags zuvor die Spitzenteams von Uerdingen und Hannover duellieren, könnte Spandau auf Platz zwei vorrücken. Das verspricht einiges für die Endrunde der besten vier Teams im Mai.
Der Erfolg hat seinen Preis
Victória Chamorro und die ebenfalls mit großzügigerem Zeitbudget ausgestatteten Topspielerinnen wie Belen Vosseberg, Jennifer Stiefel oder Kana Hosya trainieren neunmal in der Woche, natürlich auch in der Karnevalswoche. Am Faschingsdienstag, nach der Rückfahrt in der S-Bahn von Schöneberg zum Olympiastadion, hat Spandaus Torfrau den Computer eingeschaltet. Facebook und Instagram bringen den Karneval aus dem sonnigen Rio ins verregnete Berlin. Bilder von den tanzenden Männern und Frauen im Sambodromo. Aber auch die Nachricht von der Schießerei ein paar Straßen weiter in der Rua Primeiro de Março, vom Aufmarsch der Militärpolizei, von verletzten Partygästen. „Ich liebe Rio, es wird immer meine Heimat sein, aber die Kriminalität auf den Straßen ist schon sehr belastend“, sagt Victória Chamorro. „Das könnt ihr euch in Berlin gar nicht vorstellen.“
So ein Leben jenseits des Karnevals hat auch seine Vorteile.