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Mehr leere als volle Plätze. So wie hier Anfang 2018 gegen Mainz sieht es im Olympiastadion häufiger aus.
© imago/photoarena/Eisenhuth

Viele leere Plätze im Olympiastadion: So will Hertha BSC neue Zuschauer gewinnen

Hertha BSC vergibt Tickets für Bundesliga-Spiele nach dem Billigflieger-Prinzip. Andere Vereine könnten dem Beispiel folgen.

Es ist ein Thema, das Berlins Bundesligisten seit langem quält und die Sehnsucht nach einem eigenen kleineren Fußballstadion aufkommen ließ: Hertha BSC und die Zuschauer. Oft genug bleiben zehntausende Plätze leer, wenn der Klub auf Augsburg, Freiburg oder gar Schalke trifft – völlig egal, ob Hertha gerade oben mitspielt oder gegen den Abstieg kämpft.

So ist das auch in dieser Saison bisher gewesen. An einem eisigen Januarabend verirrten sich gegen Lieblingsfeind Schalke nach offiziellen Angaben gerade mal gute 40.000 Menschen ins zugige Olympiastadion mit seinen fast 75.000 Plätzen. Inoffiziell waren es noch weniger, weil alle Dauer-, Ehren- und Freikarten stets mitgezählt werden, selbst wenn die Plätze nicht in Anspruch genommen werden. Eine Woche später kamen gegen Wolfsburg dann auch ganz offiziell nicht einmal 40.000 Zuschauer in den Berliner Nebelkessel. Am kommenden Samstag zur besten Fernsehzeit um 18.30 Uhr werden es gegen  Bremen vermutlich keine 50.000 sein. „Das Olympiastadion ist zu groß für Hertha“, sagte Manager Michael Preetz unlängst dem Tagesspiegel.

Deshalb wollen der Verein und der Manager schnellstmöglich damit beginnen, ein neues Stadion mit einem Fassungsvermögen für 55.000 Zuschauer hochzuziehen. Der Plan: Die Nachfrage steigern, indem das Angebot kleiner wird. Doch vor 2025 wird es nichts mit der Arena. Deshalb versucht sich Hertha schon jetzt an einem System, das in der Bundesliga Schule machen könnte. Seit Beginn der Saison 2016/17 arbeitet der Klub im Liga-Betrieb mit dem Berliner Start-Up-Unternehmen Smart Pricer zusammen, das sich auf das sogenannte Dynamic Pricing spezialisiert hat. „Die Preise sind nicht mehr für jedes Spiel festgesetzt. Sie variieren auf Basis der Nachfrage“, sagt ein Sprecher von Smart Pricer.

Es ist ein bisschen wie bei Billigfluglinien. Jemand, der heute eine Karte bestellt, zahlt mitunter einen anderen Preis als ein anderer, der morgen bucht. Hier erhält man einen Frühbucherrabatt, dort ergattert man vielleicht noch ein Last-Minute-Ticket. Hertha ist nach Angaben des Unternehmens der erste Bundesligist, der dieses System konsequent anwendet. Man sei aber in Gesprächen mit weiteren Klubs aus der Liga. Alle erhoffen sich, dadurch wieder mehr Menschen für das Live-Erlebnis begeistern zu können.

Das ist auch notwendig, wie ein Blick auf die Statistik in der laufenden Spielzeit zeigt. Fast alle Vereine ziehen nicht mehr so viele Zuschauer an wie sonst. Den größten Rückgang hat der FSV Mainz 05 mit gut neun Prozent zu verkraften, das jüngste Heimspiel gegen Leverkusen wollten nur 21.900 Zuschauer sehen, die Stadionauslastung lag bei schwachen 66 Prozent.

2017/18 kein Spiel ausverkauft

Noch in der vergangenen Spielzeit verzeichnete Hertha die schlechteste Stadionauslastung aller Bundesligisten und absolvierte erstmals seit 1990/91 eine Saison ohne ein einziges ausverkauftes Heimspiel. Nicht mal bei den Spielen gegen den FC Bayern oder Borussia Dortmund war das Olympiastadion komplett voll. In der laufenden Spielzeit, zudem eine mit offenem Meisterschaftskampf, sind ligaweit nicht mal mehr ein Drittel aller Spiele ausverkauft. Weniger waren es in den vergangenen zehn Jahren nicht. Ein Alarmwert für die Liga.

In der vorigen Spielzeit waren 36,6 Prozent der Spiele ausverkauft. In der Saison 2010/11 waren es noch mehr als die Hälfte. Gerade in den beiden vergangenen Jahren hat die Liga Stadionzuschauer ans Fernsehen verloren – das belegen die Einschaltquoten und Aboverkäufe der Bezahlsender. Auch bei Hertha geht die Sorge um, dass immer mehr Menschen das bequeme Erlebnis auf der heimischen Couch oder der Sportsbar dem Stadion vorziehen. Trainer Pal Dardai kann das sogar verstehen. „Man kauft die Tickets, Bier, eine Bretzel und vielleicht noch eine Wurst. Dann ist man eine Menge Geld los“, sagt er.

Viele Faktoren entscheidend

Hier soll das neue Preissystem ansetzen. Wenn Spiele mit einer geringen Nachfrage anstehen, werden attraktivere Preise angeboten, so dass Berliner, Brandenburger und Touristen das Olympiastadion als echte Alternative für sich entdecken. Neben der Attraktivität des Gegners seien „das Wetter, die Jahreszeit, die Uhrzeit, der Tag des Spiels und die aktuelle Tabellensituation“ ausschlaggebend für den Ticketpreis, heißt es von der Firma Smart Pricer. Hinzu kommen historische Daten, wie etwa die Zuschauerzahlen einer Partie in der Vergangenheit. „Die Tickets für ein Spiel an einem Samstagabend um 18.30 Uhr, das sind ja meistens Topspiele, könnten zum Beispiel etwas teurer sein, als die Tickets für ein Spiel an einem Freitagabend um 20.30 Uhr“, sagt ein Sprecher der Firma.

So kommt es im Preisvergleich der einzelnen Spieltage manchmal zu minimalen, manchmal aber auch zu gigantischen Preisunterschieden. Beim Heimspiel gegen Bremen kosten die Karten im Unterrang der Gegentribüne (Block N7) 56 Euro, im Oberrang (Block 29.1) 33 Euro. Damit sind die Tickets wenige Euro teurer als beim vergangenen Heimspiel gegen Wolfsburg. Ganz anders sieht es beim Heimspiel gegen  Dortmund Mitte März aus. Da kostet eine Karte im Block N7 89 Euro, im Block 29.1 werden 59 Euro fällig.

Hertha hat in den zurückliegenden Jahren auch selbst immer wieder versucht, gegen die große Leere im heimischen Stadion anzuspielen. Seit dieser Saison bietet der Hauptsponsor in seinen Filialen zum Beispiel Ticketgutscheine für zehn Euro an. Diese können dann gegen eine Eintrittskarte eingetauscht werden. Das Angebot gilt für die Stadionblöcke L, M, O, P, 26 und 28. Es galt nicht für das Spiel gegen die Bayern im vergangenen September, ausgenommen ist auch die Begegnung gegen Dortmund im März.

Herzen des Nachwuchses gewinnen

Außerdem haben die Berliner viel Beachtung für eine in der Liga einzigartige Aktion für Kinder erhalten: Wer noch keine 14 Jahre alt ist, erhält in Begleitung eines Erwachsenen freien Eintritt zu den Heimspielen, ausgenommen auch hier die beiden Duelle mit den Bayern und Dortmund. So kann man vielleicht die Herzen des Nachwuchses gewinnen, der später dann gerne bereit ist, für Tickets und Bier und Stadionwurst zu zahlen. Hertha jedenfalls ist zufrieden mit dem Zuspruch für die Aktion.

Trotzdem täuscht das Gefühl vieler Fans nicht, dass es abgesehen von den Aktionen teurer geworden ist, sich ein Hertha-Spiel anzuschauen. Einer Studie von Smart Pricer zufolge sind die Ticketpreise durchschnittlich zwischen zwei und zehn Prozent gestiegen, seit das Unternehmen die Preisgestaltung für die meisten Blöcke im Olympiastadion übernommen hat. Weil es aber eben keine feste Preisliste für die Bundesliga-Spiele mehr gibt, bekommt der Stadiongänger davon kaum etwas mit. Hertha informiert die potenziellen Kunden auf der vereinseigenen Website zwar darüber, dass es eine Regelung entsprechend der Nachfrage gibt. „Sie überkommunizieren es aber auch nicht“, heißt es von Smart Pricer.

Thomas Herrich, der als Mitglied in Herthas Geschäftsleitung für die Bereiche Marketing und Ticketing zuständig ist, wird in der Studie folgendermaßen zitiert: „Es ist ein angenehmer Nebeneffekt, dass wir die Preiserhöhungen der Tageskarten nicht mehr kommunizieren müssen.“

Für Anhänger und Interessierte wäre eine transparentere Preisgestaltung sicher erfreulicher. Für Hertha jedoch scheint sich neben der Kinder-Aktion auch das System auszuzahlen. Im Vergleich zur vergangenen Saison kamen in dieser Spielzeit wieder knapp 4000 Zuschauer mehr pro Spiel ins Olympiastadion. Tatsächlich lockten die Spiele gegen Freiburg und gegen Hoffenheim im Vergleich zur Vorsaison 15.091 beziehungsweise 11.910 Zuschauer mehr an. Aus Vereinskreisen ist zu hören, dass das neue Preissystem ist ein wichtiger Baustein sei, um mehr Zuschauer zu gewinnen. Der wichtigste allerdings bleibt das geplante neue, reine Fußballstadion. Neben dem Olympiastadion.

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