Nationalelf: So soll Löws Neuanfang aussehen
Eine Reform unter alter Führung ist schwierig, das weiß der Bundestrainer. In München erklärt er, wie er es schaffen will.
Wenn Joachim Löw am Donnerstagabend in der Münchner Fußball-Arena von der Coachingzone aus der deutschen Nationalmannschaft beim Treiben zuschaut, werden ziemlich genau zehn Wochen vergangen sein seit dem aberwitzigen Südkoreaspiel in Kasan, durch das sich der Titelverteidiger als Gruppenletzter von der WM in Russland verabschiedete. Viele Fußballfans haben heute noch die Bilder aus jener für den deutschen Fußball so verhängnisvollen wie ungeheuerlichen Nacht vor Augen. Bilder eines rat- und hilflosen Teams samt seines Vorturners. Mehr noch als die Spieler wie Thomas Müller, Sami Khedira oder Mesut Özil ist Löw das Gesicht des historischen Scheiterns gewesen. Nun will Löw wieder neue, frische Bilder in die Welt senden.
Jeder aus dem deutschen Team habe genug Zeit gehabt, sich zu hinterfragen, auch er, sagt Löw in einem fensterlosen Raum eines Hotels am Englischen Garten. Viele Journalisten, gerade die, die aus dem europäischen Ausland extra angereist sind, schauen skeptisch. Fehlt ihnen der Glaube daran, dass Löw sich noch einmal neu erfinden und die Mannschaft reanimieren kann, die vor vier Jahren Weltmeister geworden und in Russland brutal abgestürzt ist? Oder fehlt ihnen wie vielen deutschen Fußballfans einfach nur der Ausblick?
Die Spieler sind ungeduldig
„Wir Trainer sind mit uns hart ins Gericht gegangen“, sagt Löw. Bei den Spielern habe er in den ersten Tagen in München eine „positive Ungeduld“ gespürt. Eine Ungeduld, „etwas wieder gutmachen zu wollen“. Wie weit es allerdings mit der Aufbruchstimmung her ist, von der der 58-Jährige berichtet, wird sich erst in der ausverkauften Arena zeigen, wenn der entthronte Weltmeister auf seinen Nachfolger Frankreich trifft. Das ist nicht nur ein Prestigeduell, sondern zugleich der Start in die neugeschaffene Nations League – ein Wettbewerb, an deren Ende sich Mannschaften für die kommende EM qualifizieren, aber auch absteigen können.
„Wir sind nicht so naiv zu glauben, mit ein, zwei Spielen alles vergessen zu machen“, sagt Löw, der ruhig und wieder etwas sicherer formuliert als noch vor einer Woche bei seiner öffentlichen WM-Analyse. Dabei hatte er – auch weil es ohnehin nicht zu leugnen war – eine arrogante Taktik und fehlendes Feuer im Team auf seine Kappe genommen. Doch der Ausblick und tiefgreifende Veränderungen, von denen er noch unmittelbar nach dem WM- Aus gesprochen hatte, blieben aus.
Auf seiner Wiedergutmachungstour setzt Löw im Wesentlichen auf gestandenes Personal um die fünf verbliebenen Weltmeister Neuer, Boateng, Hummels, Kroos und Müller, die er namentlich hervorhebt. Sie sollen die Achse bilden. „Wir sind gewillt, ein anderes Gesicht zu zeigen“, sagt Löw. Den Schlüssel dafür glaubt er in einer Mischung aus veränderter Ansprache und modifizierter Spielweise gefunden zu haben.
Die riskante, weil nur in die Offensive gedachte und praktizierte Spielweise bei der WM soll um die Komponente defensive Stabilität ergänzt werden. Grundsätzlich will Löw keinesfalls vom klassischen Ballbesitzfußball abkehren. Man sei damit acht, neun Jahre erfolgreich gewesen, man habe „viel Freude ausgelöst“ bei den Fans, „es wäre kompletter Blödsinn“, dem jetzt abzuschwören. „Aber wir brauchen eine bessere Balance“, sagt Löw.
Als Beispiel nennt er das Verhalten der Außenverteidiger. Die werden künftig von ihm nicht mehr bist fast auf die Höhe der gegnerischen Verteidiger geschoben. Zwar dürften sie sich weiter nach vorn einschalten, aber nicht mehr so oft und vielleicht jeweils nur einer. „Wir wollen unsere Offensivkraft nicht verlieren, aber die Defensive stabilisieren“, sagt Löw. Viel konkreter mag der Bundestrainer nicht werden an diesem Tag. Allerdings verspricht er, dass der geneigte Zuschauer sehen werde, „dass die Spieler sich reinhauen und gewillt sind“. Alles Bemühen diene dabei dem Ziel, Frankreich, die für Löw beste Mannschaft der vergangenen beiden Jahre, „unter Kontrolle zu halten.
Ein heikler Neuanfang
“Wie weit das alles tragen wird, weiß noch niemand so genau. Ein Neustart unter alter Führung ist heikel. Eine vollständige Rehabilitierung für die historische Schmach von Russland ist nach Meinung des Bundestrainers ohnehin frühestens bei der Europameisterschaft 2020 möglich. Das alles wird nun endgültig ohne Mesut Özil geschehen. Der 92-malige Nationalspieler wird nie mehr für Deutschland spielen. Der Bundestrainer schließt eine Rückkehr des Spielmachers vom FC Arsenal aus. „Wenn einer so den Rücktritt verkündet, holt man ihn nicht acht oder zehn Wochen später zurück“, sagt Löw. In einer mehrteiligen Botschaft hatte Özil erklärt, dass er nicht mehr für Deutschland spielen werde, „solange ich das Gefühl von Rassismus und Respektlosigkeit verspüre“. Damit hatte der Spielmacher theoretisch die Möglichkeit eines Comebacks im Nationalteam offen gehalten. Doch Löw, dem einstigen und unverdrossenen Förderer Özils, ist es bis heute nicht gelungen, ihn ans Telefon zu bekommen. Derweil hat er Sandro Wagner an die Strippe bekommen. Diesen hatte Löw nicht in seinen WM-Kader berufen, woraufhin der enttäuschte Mittelstürmer des FC Bayern seinen Rücktritt aus der Nationalelf erklärte – nach einer Handvoll Spielen. Man habe sich ausgesprochen, aber ein Rücktritt vom Rücktritt sei auch hier kein Thema. „Und das wird so bleiben“, sagt der Bundestrainer. Joachim Löw und die Spieler wissen, dass nun wieder mehr von ihnen kommen muss. „Wir sind in der Bringschuld, positive Stimmung zu erzeugen“, sagt etwa Toni Kroos. Der Spiellenker des Champions-League-Gewinners Real Madrid ist gewillt, nach dem Misserfolg von Russland etwas geradezurücken. Dabei setzt Kroos auch auf die Selbstheilungskräfte innerhalb des Teams. „Jedem ist bewusst, dass man mehr reinhauen muss, um erfolgreich zu sein.“ Es hörte sich so an, als gelte das auch für den Trainer.